Dass eine einzige Twitter-Botschaft ausreichen kann, Tage oder gar Wochen diplomatischer Knochenarbeit zunichte zu machen, bewies Donald Trump nach dem G7-Gipfel in Kanada: Aus der Präsidenten-Maschine "Air Force One" heraus verweigerte der US-Präsident nachträglich seine Zustimmung zum hart errungenen Abschluss-Dokument des Treffens. Der Chef der "International Crisis Group", Robert Malley, hält es für durchaus möglich, dass Trump sich ähnlich beim NATO-Gipfel kommende Woche verhält, wie er dem ARD-Studio Brüssel sagte:
"Wenn Trump das jetzt wiederholt, dann treten wir in eine Phase gewaltiger Unsicherheit und großer Risiken ein. Wenn er nämlich Grundannahmen, wie Nationen zusammenarbeiten sollten, in Frage stellt."
Dass er keine Probleme hätte, sich im Handelsstreit mit der EU auf den Kriegspfad zu begeben, hat der US-Präsident bereits klargestellt. Er sieht die Europäer hier eher als Rivalen, denn als Partner. Auch beim Iran-Atom-Abkommen und der Klimapolitik liegt man über Kreuz. So tief ist das Zerwürfnis, dass selbst der auf Ausgleich innerhalb des Bündnisses bedachte NATO-Generalsekretär warnt: "Es ist nicht in Stein gemeißelt, dass die transatlantische Freundschaft ewig währt."
Trump könnte im großen Stil Truppen abziehen
So kurz vor dem Gipfel - auf dem er Erfolge sehen will - verstärkt und verschärft der US-Präsident seine Forderungen nach höheren Militär-Ausgaben der Europäer und insbesondere der Deutschen: Nicht nur mit Tweets, auch mit Briefen, die er in zahlreiche europäische Hauptstädte sandte, darunter Berlin, wie die New York Times berichtete. Im Raum steht auch die Drohung, Trump könne im großen Stil Truppen aus der Bundesrepublik abziehen, wenn man den Geschäftsmann mit leeren Händen nach Hause fahren lasse. Crisis-Group-Präsident Malley bescheinigt Trump, richtige Fragen zu stellen, aber die gefährlichste aller Antworten zu geben:
"Er sieht die Vorteile der NATO und überhaupt mehrseitiger Vereinbarungen nicht. Man kann durchaus Fragen an die NATO haben, aber das Bündnis als Hindernis wahrzunehmen und bestimmten Ländern zu drohen, wenn ihre Militärausgaben zu niedrig sind, ist der schlechteste Weg, mit einem berechtigten Anliegen umzugehen."
Im Brüsseler NATO-Hauptquartier verweist man stets darauf, dass man Trumps Forderungen nach höheren Ausgaben durchaus teile. Gleichzeitig hätten aber die Europäer und Kanada seit 2014 insgesamt 87 Milliarden Dollar zusätzlich investiert und damit zuletzt eine Menge erreicht. Dass dies den US-Präsidenten beeindruckt, ist nicht zu erkennen. In Europa fürchtet man nun gar, dass Trump sich mit Russlands Präsident Putin, den er wenige Tage nach dem NATO-Gipfel trifft, besser verstehen könnte als mit seinen eigentlichen Alliierten.
"Putin wird sich genau ansehen, inwieweit er einen noch tieferen Keil zwischen die anderen NATO-Staaten und die USA treiben kann. Das käme ihm sehr gelegen."
Erst der NATO-Gipfel, dann der Gipfel Trumps mit Putin - beide könnten dafür sorgen, dass die über Jahrzehnte errichtete Nachkriegsarchitektur noch mehr als ohnehin schon ins Wackeln gerät.