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NATO-Speerspitze
"Wir zeigen ein Bild der Entschlossenheit"

Auch als Reaktion auf die Ukraine-Krise hat die NATO eine neue schnelle Eingreiftruppe aufgebaut. Seit Ende des Kalten Krieges habe man solche Übungen als NATO nicht mehr durchgeführt, sagte NATO-General Volker Halbauer im DLF. Das zeige die Entschlossenheit der NATO-Partner, die Verbündeten bei Bedarf zu unterstützen.

General Volker Halbauer im Gespräch mit Mario Dobovisek | 09.06.2015
    Der deutsche Kommandant Lieutenant General Volker Halbauer des I. Deutsch-Niederländische Korps salutiert in Münster bei der Übergabe des Kommandos der schnellen Eingreiftruppe der NATO (NRF)
    Der deutsche Kommandant Lieutenant General Volker Halbauer des I. Deutsch-Niederländische Korps salutiert in Münster bei der Übergabe des Kommandos der schnellen Eingreiftruppe der NATO (NRF) (picture alliance / dpa / Bernd Thissen)
    Mario Dobovisek: G7 ohne Russland, wir haben es gehört. Dabei dürfte es auch bleiben, denn die sieben mächtigen Staats- und Regierungschefs haben auf ihrem Gipfel in Elmau eher noch die Daumenschrauben angezogen, als sie Moskau gegenüber zu lockern. Die Kämpfe in der Ostukraine gehen derweil weiter. Über 40.000 Separatisten stehen der ukrainischen Armee gegenüber, sagt das Verteidigungsministerium in Kiew. Darunter sollen sich angeblich mehr als 9500 russische Soldaten befinden. Seit der Annexion der Krim haben Russlands Nachbarn Angst, zum Beispiel die NATO-Mitglieder des Baltikums. Sie fordern mehr Unterstützung ihrer Bündnispartner, und diese kommt unter anderem in Form der sogenannten Speerspitze, die ab heute ins Manöver nach Polen zieht.
    Den Bundeswehroffizier Volker Halbauer begrüße ich jetzt am Telefon. Guten Morgen, Herr Halbauer!
    Volker Halbauer: Guten Morgen, Herr Dobovisek.
    Dobovisek: Spielt die NATO in Polen Krieg gegen Russland?
    Halbauer: Wir haben ja seit dem Verteidigungsminister-Treffen im letzten Jahr im September eine Entscheidung der politischen Führung, dass wir aufgrund der veränderten sicherheitspolitischen Lage, die ausgelöst wurde durch die Krise in der Ukraine, eine Anpassung der NATO insgesamt sehen, und das wird im Moment vollzogen. Und was wir tun ist eine Übung, die der Verbesserung dieser Anpassungsfähigkeit dient, nämlich einmal die schnelle Reaktionsfähigkeit der NATO zu verbessern und das durch Übungen auch zu überprüfen und zu hinterlegen.
    Dobovisek: Wie schnell können Sie sein?
    Halbauer: Wir haben die NRF, also die schnellen Eingreifkräfte der NATO, ja schon seit einigen Jahren in der Vorbereitung und im Einsatz. Im Augenblick ist es so, dass diese schnellen Eingreifkräfte eine Reaktionsfähigkeit haben von 30 Tagen bis zu mehreren Monaten. Die Entwicklung der Sicherheitspolitik nach Ende des Kalten Krieges hat es ja erlaubt, diese Bereitschaftszeiten in dieser Form auszuplanen. Was wir jetzt wollen ist, insbesondere die Geschwindigkeit, die wir brauchen, die Zeit, die wir brauchen, um unsere NRF schnellen Eingreifkräfte verfügbar zu machen, deutlich zu reduzieren. Damit haben wir angefangen und für die Übung, die wir jetzt in Polen durchführen werden, haben wir das bereits im Mai begonnen und die Einsatzbereitschaftszeiten auf wenige Tage heruntergedrückt, so dass wir in der Lage sind, jetzt mit diesen schnell verfügbaren Kräften auch in die Übung in Polen einzusteigen.
    Dobovisek: Innerhalb von drei bis fünf Tagen soll diese sogenannte Speerspitze der NATO einsatzbereit sein, heißt es. Mal vielleicht etwas naiv gefragt, Herr Halbauer: Ist das nicht zu spät, wenn tatsächlich einmal russische Panzer die Grenze durchbrechen und im Baltikum rollen sollten?
    Halbauer: Ich denke, es gibt immer Vorwarnzeiten und Signale, wenn eine Krise entstehen könnte oder wenn eine Krise entsteht. Darauf muss man sehr achten. Das ist nicht nur eine Frage dann der verfügbaren Eingreifkräfte, sondern des gesamten Umfelds, der Rahmenbedingungen, die diese Aufklärungsergebnisse bringen. Dort ist zum einen die politische Führung, aber auch die militärische Führung mit ihren Erkenntnissen in der Pflicht, und wir als militärischen Beitrag müssen sicherstellen, dass dann zeitgerecht auf der Grundlage dieser Indikatoren am besten noch vor einer Krise diese Kräfte schnell eingesetzt werden können. Dazu dient auch die Speerspitze, die ja dann innerhalb weniger Tage mit ersten Elementen in einem Einsatzgebiet innerhalb der NATO zum Einsatz kommen soll.
    Dobovisek: Dann sprechen wir doch auch einen Moment über diese Rahmenbedingungen. Russische Soldaten üben nach Szenarien, die als Besetzung kleinerer Staaten verstanden werden könnten, hat mein Kollege Rolf Clement ja gerade berichtet. Jetzt die Übung der NATO-Speerspitze in Polen mit politischer Prominenz. Auch Verteidigungsministerin von der Leyen wird zum Abschluss der Übung, des Manövers nach Polen kommen. Ist das Säbelrasseln das richtige Signal, während auf diplomatischem Parkett nach Lösungen gesucht wird?
    Halbauer: Was wir über die letzten Monate und die letzten Jahre in Russland gesehen haben, ist die Entwicklung von einem Übungsumfeld, von Übungsrahmenbedingungen, die Russland in die Lage versetzt haben, sogenannte Snap Exercises durchzuführen, also auf Fingerschnipp eine Übung mit mehreren tausend Soldaten auch abzurufen und durchzuführen. Das haben wir in der NATO seit Ende des Kalten Krieges nicht mehr getan, und was wir, glaube ich, machen müssen und wofür auch jetzt diese Veränderung der NATO und die Anpassung der NATO dient, ist diese Befähigung, Truppenteile in der Größenordnung von mehreren tausend Soldaten auch innerhalb kurzer Zeit verfügbar zu machen und in ein Einsatzgebiet zu verlegen.
    "Eine transparent vorbereitete Übung"
    Dobovisek: Weil sich die NATO fürchtet vor Russland?
    Halbauer: Weil wir diese Möglichkeiten brauchen, denke ich, um auch reaktionsfähig zu sein und möglichst früh die notwendigen Mittel verfügbar zu haben, um zu zeigen, dass wir entschlossen sind, auch unser NATO-Territorium zu verteidigen, und entschlossen sind und auch die Fähigkeit haben, unsere Verbündeten bei Bedarf zu unterstützen.
    Dobovisek: Dann drehen wir doch den Spieß einmal gemeinsam um. Wenn über 2000 russische Soldaten in NATO-Nähe mit Politprominenz im Schlepptau ganz offensichtlich den Krieg gegen die NATO üben würden, was würden Sie dann sagen?
    Halbauer: Ich glaube, der wesentliche Unterschied, den wir haben im Augenblick, ist, dass wir das sehr transparent machen. Wir kommunizieren das, was wir tun, wir machen es öffentlich, wir haben Medien dabei, wir zeigen, was wir tun, und wir zeigen ein Bild der Entschlossenheit, die in diesem Rahmen stattfindet und die wir dann auch tatsächlich in eine Lage ummünzen können, die kein Propagandabild bietet, sondern die eine transparent vorbereitete Übung darstellt.
    Dobovisek: Wir hören, dass es bei dem Verlegen von über 2100 Soldaten quer durch Europa auch Probleme gibt. Welche sind das?
    Halbauer: Wir haben so etwas seit langer Zeit nicht mehr getan und wir haben jetzt eine Übung, die mit einer Alarmierungsphase im Mai bereits begonnen hat. Dort haben wir die Verfahren geübt und getestet. Jetzt verlegen wir innerhalb von fünf Tagen vom 8. bis zum 12. Juni Truppenteile aus neun Nationen. Sechs Züge zum Beispiel sind das, 17 Flüge, 16 Konvois, die aus Norwegen, Belgien, Deutschland, den Niederlanden, der Tschechischen Republik, Ungarn, Polen, Litauen - und ich hoffe, ich habe keinen vergessen jetzt - dann nach Polen, nach Sagan verlegen werden. Das ist eine recht komplizierte Operation, auch wenn die Truppenteile eher klein sind. Die Prozesse bleiben die gleichen, die geübt werden sollen. Da kommen solche Dinge zum Tragen wie zum Beispiel: Wenn wir aus Norwegen, aus Holland, aus Belgien kommend über Deutschland nach Polen verlegen und Waffen und Munition dabei haben, dann braucht man die entsprechenden Regularien der Nationen, dass dies auch möglich wird.
    Dobovisek: Das alles ja zur Verteidigung, Herr Halbauer. Dazu gehört auch die Abwehr feindlicher Flugzeuge oder auch Raketen. Die Bundeswehr, so hören wir, erhält ein neues Flugabwehr-System, nicht mehr Patriot, sondern Meads. Was bedeutet das aus Ihrer Sicht?
    Halbauer: Das ist eine politische Entscheidung, die hier getroffen worden ist. Als NATO-General, als der ich hier ja im Augenblick spreche, habe ich da natürlich wenig Aussagekraft dazu. Als deutscher General würde ich sagen, all das, was der Verbesserung der Leistungsfähigkeit unserer Truppe betrifft, ist zu begrüßen.
    Dobovisek: Generalleutnant Volker Halbauer von der Bundeswehr, NATO-General, in Polen kommandiert er ab heute ein Manöver der sogenannten NATO-Speerspitze, die im Zuge der Ukraine-Krise aus Furcht vor allem der östlichen Nachbarn vor Russland gegründet wurde. Vielen Dank für das Gespräch!
    Halbauer: Ich bedanke mich. Auf Wiederhören.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.