Moskau habe bereits im Kaukasuskrieg 2008 und jetzt auf der Krim gezeigt, "dass es zu seinen vertraglichen Verpflichtungen, Grenzen in Europa nicht mit Gewalt zu verändern, nicht steht", sagt Klaus Naumann, früherer Generalinspekteur der Bundeswehr im Deutschlandfunk. Eine mögliche Stationierung könne erwogen werden, "wenn Russland deutliche Indizien dafür liefern würde, dass es Truppen in der Nähe der Grenzgebiete der NATO-Mitgliedsstaaten zusammenzieht".
Der Konflikt zwischen Russland und der Ukraine allein sei jedoch kein Grund, diese dauerhafte Stationierung vorzunehmen, sagte Naumann. Die Ukraine gehöre nicht dem Militärbündnis an; die Mitgliedsstaaten hätten also keinerlei Verpflichtungen gegenüber der Ukraine.
Die bereits erfolgte Verlegung von NATO-Truppen nach Polen und ins Baltikum sowie die Ankündigung einer dauerhaften Stationierung im Fall einer Verschärfung der Lage in Osteuropa sei "keine Eskalation, das ist vernünftiges Krisenmanagement", sagte der General a. D. Naumann. Er wies die Kritik am Verhalten der NATO gegenüber Russland seit dem Zusammenfall der Sowjetunion zurück. Die NATO-Osterweiterung um Länder wie Polen und Tschechien sei beispielsweise nicht gegen Moskau gerichtet; sie sei vielmehr "eine Versicherung, dass an der Westgrenze Russlands nichts gegen Russland geschehen wird".
Klaus Naumann, am 25. Mai 1939 in München geboren, war von 1991 bis 1996 Generalinspekteur der Bundeswehr. Von 1996 bis 199 war der General a. D. außerdem Vorsitzender des NATO-Militärausschusses.
Das vollständige Interview mit Klaus Naumann:
Peter Kapern: Am Telefon ist nun General a.D. Klaus Neumann, der frühere Vorsitzende des NATO-Militärausschusses. Herr Naumann, was halten Sie von den Ideen des NATO-Oberbefehlshabers, NATO-Truppen in den Mitgliedstaaten Ost-Europas dauerhaft zu stationieren?
Klaus Naumann: Das ist eine Möglichkeit, die man erwägen könnte, wenn Russland deutliche Indizien dafür liefern würde, dass es Truppen in der Nähe der Grenzgebiete der NATO-Mitgliedsstaaten zusammenzieht. Ob es derartige feste Erkenntnisse gibt, kann ich, da ich nur noch auf öffentliche Quellen angewiesen bin, nicht beurteilen. Ohne das hielte ich allenfalls Vorbereitungen für eine denkbare Stationierung für sinnvoll, weil Russland sowohl 2008 wie jetzt auf der Krim gezeigt hat, dass es zu seinen vertraglichen Verpflichtungen, Grenzen in Europa nicht mit Gewalt zu verändern, nicht steht.
Kapern: Das heißt, die Ukraine-Krise allein wäre noch kein Anlass für die Stationierung von NATO-Truppen Ihrer Meinung nach?
Naumann: Die Ukraine ist kein Bündnisland und die Bündnisstaaten haben keinerlei Verpflichtung gegenüber der Ukraine. Das alleine würde in meinen Augen nicht ausreichen.
Kapern: Gleichwohl gibt es ja möglicherweise in den neuen NATO-Mitgliedsstaaten in Osteuropa das Verlangen, NATO-Truppen stationiert zu bekommen, also in jenen Ländern, die erst vor 25 Jahren dem Moskauer Machtbereich entkommen sind und die nun große Sorgen haben, etwa in den baltischen Republiken, Moskau könnte auch dort übergriffig werden.
Naumann: Das ist eine verständliche Sorge. Das steht im Zusammenhang mit dem, was ich zu Beginn sagte, dass Moskau leider gezeigt hat, dass es zu seinen vertraglichen Verpflichtungen nicht steht und dass es Grenzen gewaltsam verändert. Deswegen muss man den Bündnismitgliedern die notwendige Rückversicherung geben, darf aber gleichzeitig auch nichts tun, was Russland als eine Eskalation ansehen würde. Wir müssen ja versuchen, die Krise, um die Ukraine mit nichtmilitärischen Mitteln zu lösen.
Kapern: Wie gibt man solche Rückversicherungen? Nur durch Worte, nicht durch Taten?
Naumann: Worte allein reichen natürlich nicht, aber da ist ja nun auch schon einiges geschehen. Es sind unter Beachtung der mündlichen Vereinbarung mit Russland, keine Truppen dauerhaft in den neuen NATO-Ländern zu stationieren, ja Signale gegeben worden durch die Verlegung von amerikanischen, aber auch von anderen Kräften nach Polen, die zeitweise Verlegung von Kräften in die baltischen Staaten, die Erhöhung der Luftverteidigungsfähigkeit durch Verlegung von Luftstreitkräften, ich glaube, nach Polen und ich meine wohl auch in die baltischen Staaten und dann die Marinetätigkeiten in der Ostsee. Das sind Signale und wenn man nun noch ergänzend dazu Vorbereitungen trifft und das den Russen auch mitteilt, dass man sich auf die dauerhafte Stationierung einstellt, sollte es eine Verschärfung geben, das ist dann keine Eskalation, sondern das ist vernünftiges Krisenmanagement. Aber ich wäre auch sehr dafür, dass man über all diese Schritte im NATO-Russland-Rat spricht. Dazu ist das Instrument ja geschaffen worden.
Kapern: Aus der Diskussion in der deutschen Öffentlichkeit, Herr Naumann, aber auch zum Beispiel aus der Hörerpost, die wir sehr verstärkt in letzter Zeit bekommen, lässt sich herauslesen, dass viele Menschen hierzulande der Meinung sind, die NATO habe sich Russland gegenüber seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion schlecht und wenn nicht gar aggressiv verhalten, zum Beispiel durch die Aufnahme neuer Mitgliedsländer, die früher zum Imperium der UDSSR gehörten. Ist der NATO in dieser Hinsicht tatsächlich etwas vorzuwerfen?
Naumann: Meiner Ansicht nach nicht. Ich war ja Vorsitzender des NATO-Militärausschusses, als wir die erste NATO-Osterweiterung gemacht haben, damals um Polen, Tschechien und Ungarn. Wir haben das der Russischen Föderation in aller Deutlichkeit mitgeteilt. Wir haben auch mit ihnen gemeinsam Lösungen gesucht, die ihnen verdeutlichen, dass diese Erweiterung sich nicht gegen Russland richtet, sondern dass man, wenn man so will, in der Erweiterung sogar eine Versicherung sieht, dass an der Westgrenze Russlands nichts gegen Russland geschehen wird. Dazu wurde zum Beispiel der NATO-Russland-Rat damals geschaffen, 1997/98.
Kapern: Dieser NATO-Russland-Rat, der auf einem Partnerschaftsvertrag aus dem Jahr 1997 fußt, der hat ja nun diese aktuelle Krise nicht verhindern können. Was sind solche Instrumentarien dann also wert, wenn sie nicht einer Eskalation vorbeugen können?
Naumann: Herr Kapern, wenn ein Gegenspieler nicht bereit ist, eine friedliche Lösung zu suchen und zum Dialog zurückzufinden, wie wir es im Fall der Krim gesehen haben, und zwar einseitig und wirklich eindeutig von Seiten Russlands, dann hilft natürlich der beste Rat nichts. Das heißt aber nicht, dass man das Instrument wegwerfen soll, sondern dass man hier durch das Spiel von Eskalation und Deeskalation wieder einen Weg zurückfindet zum diplomatischen Umgang miteinander, denn niemand von uns will eine Rückkehr in den Kalten Krieg. Und ich möchte auch noch mal in aller Deutlichkeit sagen: In der Russischen Föderation sollte man sich darüber im Klaren sein, Russland braucht den Westen mehr, als wir Russland brauchen.
Klein: General a.D. Klaus Naumann im Gespräch mit dem Deutschlandfunk.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.