Bei dem für Mittwoch geplanten NATO-Russland-Rat müsse unvoreingenommen miteinander gesprochen werden, sagte der frühere Botschafter in Moskau im Deutschlandfunk. Der Gedanken der friedlichen Koexistenz müsse in den Vordergrund gerückt werden. Von Studnitz betonte, wenn der Ukraine-Konflikt nicht ausgeklammert werde, könne es über Jahre hinweg immer wieder Auseinandersetzungen geben.
Das komplette Interview zum Nachlesen:
Thielko Grieß: "Wir sind uns einig: Wir stehen füreinander ein. Wir nehmen die Befürchtungen unserer osteuropäischen Alliierten ernst." Das ist der Tenor des NATO-Gipfels, der am Wochenende in Warschau, in Polen zu Ende gegangen ist. Konkrete Beschlüsse unter anderem: Je 1.000 Soldaten soll es geben für die drei baltischen Republiken, Estland, Lettland, Litauen. Und für Polen. Die Bundeswehr wird eines dieser Bataillone führen. Russland und Europa, Russland und die NATO, dieses Verhältnis, dieses schwierige Verhältnis wird auch die heute beginnende Woche weiter prägen. Am Mittwoch, übermorgen tagt der NATO-Russland-Rat, ein Gremium, in dem beide Seiten sich austauschen oder auszutauschen versuchen. Und der Petersburger Dialog will ebenfalls in dieser Woche versuchen, das Gespräch zwischen Russland und Deutschland zu beleben.
- Am Telefon ist jetzt Ernst-Jörg von Studnitz, zwischen 1995 und 2002 deutscher Botschafter in Moskau, heute noch Mitglied des Petersburger Dialogs und Ehrenvorsitzender des Deutsch-Russischen Forums. Das ist eine weitere zivilgesellschaftliche Brücke zwischen beiden Ländern. Guten Morgen, Herr von Studnitz.
Ernst-Jörg von Studnitz: Guten Morgen, Herr Grieß!
Grieß: Wer stoppt die Spirale der Aufrüstung?
von Studnitz: Das ist eine sehr schwierige Frage. Wenn erst einmal angefangen worden ist, dann bedarf es einer gemeinsamen Vereinbarung, um diese Spirale einzuhalten, wie wir es ja in den späten 80er-Jahren gesehen haben. Wir sind leider an diesem Punkt gegenwärtig noch nicht wieder angekommen, dass so viel gegenseitige Vernunft eingetreten ist, dass man sagt, wir müssen dieser Spirale, die eingesetzt hat, die ja von beiden Seiten betrieben wird, Einhalt gebieten.
Grieß: Wer ist unvernünftig?
von Studnitz: Unvernünftig sind natürlich beide Seiten, wenn man sieht, dass hier zwei Interessengegensätze aufeinanderstoßen. Das eine ist die amerikanische Mission, eine Weltordnung etablieren und unterhalten zu können und zu wollen. Und die andere Mission ist die der Russen, dass alle Slawen unter einem Dach sein müssen. Das ist der Unruhefaktor, den wir in Osteuropa gegenwärtig wahrnehmen. Die russische Politik, die putinsche Politik der sogenannten russischen Welt, dass alle Russisch sprechenden in den Verantwortungsbereich der russischen Führung, der russischen Regierung gehören, ist ein Unruhefaktor, der diese Bewegung in Osteuropa ausgelöst hat.
Grieß: Herr von Studnitz, und Deutschland ordnet sich willfährig amerikanischen Weltordnungsideen unter?
von Studnitz: Deutschland hat eine sehr schwierige Position, die genau versuchen muss, den beiderseitigen Interessen irgendwo gerecht zu werden. Ich will nicht sagen, eine willfährige Unterordnung unter die amerikanischen Ambitionen. Wohl aber haben wir natürlich Verpflichtungen innerhalb der NATO, die wir erfüllen müssen und die wir erfüllen wollen.
Grieß: Wäre es besser, sie nicht zu haben?
von Studnitz: Davon kann nicht die Rede sein. Deutschland ist viel zu klein alleine, um eine solche Aufgabe schultern zu können. Deutschland braucht eine feste Verankerung im westlichen Bündnis und diese feste Verankerung im westlichen Bündnis ist letztlich auch im russischen Interesse. Man darf nicht vergessen, dass bei der Vereinbarung über die deutsche Wiedervereinigung in den Jahren '89/'90 die Frage der Zuordnung Deutschlands eine ganz entscheidende Rolle gespielt hat. Die Frage, die damals der amerikanische Außenminister Baker Gorbatschow gestellt hat, wollen Sie denn ein Deutschland, das nicht eingebunden ist und damit eigene Wege gehen kann. Oder ist Ihnen das lieber, dass ein Deutschland fest verankert ist in einem Bündnis wie der NATO. Und das hat am Ende dazu geführt, dass die Russen dann auch zugestimmt haben, dass Deutschland in der NATO bleiben sollte.
Grieß: Michail Gorbatschow hat sich am Wochenende zu Wort gemeldet. Jedenfalls wird er so von der Agentur Interfax zitiert. Michail Gorbatschow, der letzte Staats- und Parteichef der Sowjetunion. Er spricht von Kriegstreiberei und meint damit nicht sein eigenes Land, Russland als Nachfolge der Sowjetunion, sondern den Westen. Sollten wir da nicht innehalten, angesichts dieser Worte?
von Studnitz: Schauen Sie, natürlich kann Gorbatschow seine Herkunft, sein eigenes Land nicht verleugnen. Und er sieht, dass gegenwärtig Impulse gesetzt worden sind vom Westen, die den von Moskau ausgehenden Beunruhigungen in Osteuropa entgegengesetzt sind. Das kann man als Kriegstreiberei bezeichnen. Nur es ist nicht der erste Ausgangspunkt gewesen.
Grieß: Aber das müsste er ja auch wissen. Weiß er ja sicher auch.
von Studnitz: Natürlich weiß er das auch. Die Frage ist, was dann auch offiziell gesagt wird. Das muss man natürlich auch immer in Rechnung stellen.
Grieß: Er ist falsch zitiert worden, meinen Sie?
von Studnitz: Nein, das glaube ich gar nicht, sondern ich meine nur, dass er natürlich eine Vorstellung hat, was Russland sein sollte und wo Russland stehen sollte. Und er fühlt sich darin irritiert durch das, was der Westen tut. Das ist mir schon klar.
Grieß: Herr von Studnitz, schauen wir nach vorne auf diese Woche. Der NATO-Russland-Rat, ich habe ihn angesprochen, soll am Mittwoch tagen. Beide Seiten treffen sich da, sitzen am Tisch. Wie würden Sie dieses Treffen vorbereiten?
von Studnitz: Zurückkehren zu vernünftiger Politik
von Studnitz: Die Vorbereitung dieses Treffens ist vor allen Dingen, dass man gewillt ist, wirklich über die zugrunde liegenden Probleme einmal einen unvoreingenommenen Gedankenaustausch miteinander zu pflegen. Das heißt, dass man von der unvernünftigen Politik zu einer vernünftigen Politik zurückkommt. Eine vernünftige Politik würde bedeuten zum Beispiel, dass man den wichtigen Gedanken, der ja einmal für das Verhältnis Ost-West beherrschend gewesen ist in den 70er- Jahren, 80er-Jahren, der Koexistenz, dass man diesen Gedanken wieder in den Vordergrund rückt. Man muss einfach zu einem Punkt kommen, wo beide Seiten gewillt sind, sich ein wenig zurückzunehmen und von ihren im Grunde genommenen ausgreifenden, ins Interessengebiet des anderen ausgreifenden Ideen und politischen Vorstellungen Abstand zu nehmen.
Grieß: Eine friedliche Koexistenz, darüber muss gesprochen werden?
von Studnitz: Das wäre jedenfalls ein Ziel, was man erzielen müsste, um diese sich überschneidenden Interessenkonflikte im östlichen Europa zu beseitigen.
Grieß: Und was passiert mit der Ostukraine?
von Studnitz: Das ist zum Beispiel ein Punkt mit der Ostukraine, wo beide Seiten sich am Ende werden zurücknehmen müssen. Russischerseits ist es erforderlich, dass die russische Intervention, die nie zugegeben ist, tatsächlich zurückgenommen werden muss, dass andererseits aber Kiew, wozu es bisher nicht bereit ist, bereit sein muss, die Belange derjenigen Kräfte, die sich dort als Separatisten aufführen, in Rechnung zu stellen. Es war ja interessant, dass die so sehr gefeierte ukrainische Pilotin Nadija Sawtschenko jetzt gesagt hat, wir müssen mit den Leuten reden, wir müssen den Leuten Amnestie anbieten. Das ist der richtige Weg! Das ist aber gegenwärtig in Kiew nicht akzeptabel und dahin müssen wir kommen.
Grieß: Im aktuellen "Spiegel" ist ein Interview zu lesen mit Sergey Karaganov, einem Kreml-Berater, Herr von Studnitz. Darin heißt es unter anderem: "Wir, Russland, wir wollen den Status einer Großmacht. Wir können darauf leider nicht verzichten. Wir möchten das Zentrum eines großen Eurasien sein, einer Zone von Frieden und Zusammenarbeit. Zu diesem Eurasien wird auch der Subkontinent Europa gehören." Gehört zur Zukunft, dass Europa die Größe des Nachbarn anerkennt und auch anerkennt, dass es einfach kleiner ist?
von Studnitz: So sehe ich das nicht. Ich meine, so wie Karaganov das schildert, entspricht es gegenwärtigem russischen politischen Denken, dass sie eine Hoheit für den eurasischen Kontinent für sich beanspruchen. Die Frage ist, wo ziehen wir die Grenzen dieses eurasischen Kontinents. Und die gegenwärtige Auseinandersetzung zeigt, dass die Ukraine aus diesem Konflikt ausgeklammert werden muss. Wenn das nicht geschieht, dann wird es über Jahre hinweg Konflikte geben, und dass auch zum Beispiel die russischen Minderheiten in den baltischen Staaten nicht in diesen Bereich einbezogen werden dürfen.
Grieß: Ernst-Jörg von Studnitz, einst deutscher Botschafter in Moskau. Herr von Studnitz, danke für das Gespräch.
von Studnitz: Bitte schön, Herr Grieß.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.