Bundestagsabgeordnete dürfen Bundeswehrsoldaten auf dem türkischen Luftwaffenstützpunkt Incirlik nicht mehr besuchen. Ist Jordanien womöglich der bessere Standort? Und können sich die anderen NATO-Staaten überhaupt einen Streit mit der Türkei leisten? Sie ist mehr denn je ein wichtiger Puffer zwischen Europa und der Region Naher und Mittlerer Osten, die von Krisen und Konflikten geprägt ist.
Gesprächsgäste:
- Thomas Jäger, Professor für Internationale Politik und Außenpolitik an der Universität zu Köln
- Christoph von Marschall, Journalist, DER TAGESSPIEGEL
- Alexander S. Neu, MdB, Linke, Obmann der Linksfraktion im Verteidigungsausschuss
Jäger: Machtdemonstration der Türkei
Was die Türkei im Umgang mit deutschen Bundestagsabgeordneten mache, denen sie den Zugang zu den Bundeswehrsoldaten im Luftwaffenstützpunkt Incirlik verweigere, sei eine klare Machtdemonstration, so der Politikwissenschaftler Thomas Jäger. Die Bundesregierung müsse da handeln. Deutschland setze zu stark auf den Einfluss von Institutionen wie der NATO. Eine "Zurück-Demokratisierung" der Türkei werde nicht erfolgen. Er halte es für schwierig, so Jäger, die Türkei wieder in die NATO einzugliedern. Die Türkei profitiere von ihrer Scharnierfunktion – geopolitisch sei sie für Ex-Sowjetrepubliken genauso wichtig für die südeuropäischen Mittelmeer-Anrainer. Das Haupt-Interesse der Türkei sei es, einen eigenen kurdischen Staat zu verhindern. Zu der Diskussion innerhalb der NATO, dass jedes Bündnismitglied seine Verteidigungsausgaben innerhalb eines Jahrzehnts auf mindestens zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts steigern muss, sagte Jäger: "Es wäre besser, wenn weniger von dem Zwei-Prozent-Ziel gesprochen werde als darüber, was die NATO in Zukunft eigentlich können muss."
Von Marschall: Türkei muss wieder "Allianz-freundlicher" werden
Die Türkei schränke mit ihren Vorstößen ihren Wert für die NATO ein, befand Christoph von Marschall: "Wir sind kurz davor, dass sich NATO-Partner bzw. NATO-Staaten und deren Verbündete sich beschießen, wie es zwischen der Türkei und den mit den USA verbündeten syrischen Kurden passieren könnte". Von Marschall sieht die Türkei als nicht mehr so machtvoll, wie sie es zu Beginn der Flüchtlingskrise 2015 gewesen sei. Deutschland solle sich nicht mehr so erpressbar fühlen wie vor zwei Jahren. Da es weder einen Wertekatalog für die NATO-Aufnahme gebe noch eine Möglichkeit, ein NATO-Mitglied auszuschließen, plädierte der Tagesspiegel-Journalist: "Wir müssen die Türkei dazu bekommen, dass sie wieder Allianz-freundlicher wird." Vielleicht helfe da der Blick auf mögliche Alternativen zur NATO-Mitgliedschaft. Dann werde die Türkei schnell feststellen, dass ihre Brückenfunktion als NATO-Staat weitaus attraktiver sei als Kooperationen mit Russland oder gar dem Iran.
Neu: Deutschland zu devot im Ungang mit der Türkei
Es gebe keinen gemeinsamen Blick der NATO-Staaten auf die Türkei, so Alexander S. Neu, Obmann der Linksfraktion im Verteidigungsausschuss. Mitglieder der Bundesregierung und der Regierungsfraktionen seien, verglichen mit US-amerikanischen Vertretern, zu devot im Umgang mit türkischen Regierungsangehörigen. Neu berichtete von einem Türkei-Besuch von Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen, an dem auch Mitglieder des Verteidigungsausschusses wie er selber teilnahmen. Von der Leyen habe dem türkischen Verteidigungsminister keine Fragen gestellt, es sei klar geworden, dass die Türkei der Koch und Deutschland der Kellner im gegenseitigen Verhältnis sei. Die Türkei unter Präsident Erdogan nehme er als "neo-osmanisch" wahr, so Neu. Sie versuche sich so zu verhalten wie die USA – einerseits die Sicherheit des Militärbündnisses NATO zu haben, andererseits auch eine größtmögliche Handlungsfreiheit zu haben.