Archiv


Natürlich grau

Sie nennen sich Silverellas oder Silver Sisters: Frauen, die zu ihrer ergrauten Haarpracht stehen. Eine von ihnen, die Buchautorin Sabine Reichel, hat jetzt ein flammendes Plädoyer für das Grausein geschrieben.

Von Oliver Kranz |
    Sie ist selbst eine Silverella – groß, schlank, 66 Jahre alt und von ihrer Haarfarbe überzeugt.

    „Gefärbtes Haar sieht schlecht aus, weil es eigentlich tot aussieht. Wir dürfen nicht vergessen: Haar ist ein Naturprodukt.“

    Sabine Reichel lässt die Hand durch ihre mehr als schulterlange, silbergraue Haarpracht gleiten. Dass ausgerechnet sie ein Buch über Haare schreibt, versteht man daher sofort. Doch „Grau ist Great“ ist mehr als eitle Selbstbespiegelung.

    „Es geht um Attraktivität, Sexualität, Authentizität und es legt auch frei die Ängste des Älterwerdens, des Altwerdens: Werde ich noch gebraucht? Kann ich noch mitbestimmen? Werde ich übersehen? Das ist ein emotionales Thema.“

    Graues Haar als sichtbares Zeichen des Altwerdens entspricht nicht den Schönheitsvorstellungen unserer Zeit. Ewige Jugend ist gefragt. Von der älteren Generation wird erwartet, dass sie abtritt. Sich zum Altsein zu bekennen ist durchaus auch eine Machtfrage.

    „Wir – dazu gehöre ich ja auch – die Babyboomer, also die Generationen, die in den vierziger und fünfziger Jahren geboren sind, die mächtigste Nachkriegsgeneration überhaupt, na klar treten wir noch weniger lieb ab als vielleicht eine andere Generation. Ich denke mir, das ist auch einer der Gründe des vielen Gefärbten, um das verdecken zu wollen. Dagegen setze ich eben, dass es nicht wirklich nützt.“

    Auch das beschreibt Sabine Reichel in ihrem Buch. Gefärbtes Haar wirkt oft unnatürlich...

    „Natürliches Haar hat verschiedene Nuancen, es nimmt Licht auf. Es sieht nie gleichförmig aus, und das kann Haarfarbe kaum machen. Selbst ein geschickter Friseur kann vielleicht mit ein paar verschiedenen Farben arbeiten – aber das ist ein Aufwand und kostet ein Geld. Natürliches Haar ist halt eben lebendig.“

    „Grausein ist billiger“ heißt ein Kapitel in Sabine Reichels Buch. Sie zitiert eine Amerikanerin, die 24 Jahre lang einmal monatlich zu einem New Yorker Friseur der mittleren Preisklasse ging, um sich die Haare färben zu lassen. Gesamtkosten: 65.000 Dollar!

    „Und dann hat ihr Anlageberater ihr gesagt, was sie gewonnen hätte, wenn sie die angelegt hätte, statt sich die Haare zu färben. Da hätte sie sich ein Apartment dafür kaufen können.“

    Wer nicht zum Friseur geht, sondern selbst die Hand anlegt, spart zwar etwas, aber wirklich billig wird das Färben trotzdem nicht. Aufs Färben zu verzichten, sagt Sabine Reichel, sei ein Akt der Befreiung.

    „Wenn man davon ausgeht, dass der Grund des Färbens letztendlich ist, sich zu verschönern oder einem Schönheitsideal nachzujagen, das man sowieso nie erreicht, und sich eigentlich zu versklaven, dann ist das sein zu lassen ein großer Akt von Befreiung und Feminismus.“

    Das Grausein als Befreiungsbewegung ist ein Trend, der wie so vieles aus Amerika zu uns herüberschwappt. Auch das beschreibt Sabine Reichel in ihrem Buch.

    „Es gibt Websites, grau is beautiful oder Silver Sisters, und die tun sich auch zusammen. Das ist ein bisschen wie Kriegsgeschichten vom Schützengraben: ‚Ich war auch mal gefärbt und jetzt habe ich aufgehört.‘ Also man nimmt das ein bisschen ernst. Das Missionarische mag ich nicht und hab ich auch nicht.“

    Und trotzdem würde Sabine Reichel gern auch hierzulande einen Trend kreieren.

    „Nicht färben ist gesünder, macht die Haare nicht kaputt. Färben nützt nichts. Wer glaubt, man sieht jünger aus mit gefärbten Haaren – das stimmt zu 90 Prozent absolut nicht. Man sieht's. Und wer hübsche Haare hat, das ist bei allem Gerede über „Grau ist Great“ eine Voraussetzung: Die Haare müssen toll gepflegt sein, müssen glänzen und auch passen. Man muss ein bisschen mehr Lippenstift auflegen, dann ist Grau wirklich great und sexy und man kann gar nichts falsch machen und man ist man selber. "


    Sabine Reichel: Grau ist Great.
    Mit Stolz und Stil in ein neues Leben.
    Heyne-Verlag, 224 Seien, 8,99 Euro