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"Natürlich ist Frau Schavan ins Mark getroffen"

Bildungsministerin Annette Schavan sollte nicht zurücktreten, findet der Vorsitzende des Innenausschusses des Bundestags, Wolfgang Bosbach. Die Entscheidung der Uni Düsseldorf, ihr den Doktortitel abzuerkennen, sei bisher nur vorläufig.

Wolfgang Bosbach im Gespräch mit Tobias Armbrüster |
    Tobias Armbrüster: Es ist heute Morgen das politische Thema in Berlin: Annette Schavan und ihr aberkannter Doktortitel. Gestern Abend hat die Universität Düsseldorf entschieden, Frau Schavan den Titel zu entziehen. Grund: vorsätzliche Täuschung durch Plagiat. Die Ministerin hat sofort angekündigt, die Entscheidung anzufechten.
    Am Telefon ist jetzt Wolfgang Bosbach, der Vorsitzende des Innenausschusses im Deutschen Bundestag. Schönen guten Morgen, Herr Bosbach.

    Wolfgang Bosbach: Guten Morgen.

    Armbrüster: Herr Bosbach, sollte Frau Schavan heute zurücktreten?

    Bosbach: Nein, das sollte sie nicht. Das letzte Wort hat nicht die Universität in Düsseldorf; das letzte Wort haben die Gerichte. Frau Schavan hat bereits angekündigt, Klage erheben zu wollen gegen die Entscheidung der Uni Düsseldorf. Jetzt folgt ein rechtsförmliches Verfahren und dessen Verlauf und Ergebnis sollte man in aller Ruhe abwarten. Ich kann verstehen, dass Frau Schavan um ihren Doktortitel kämpft. Damit kämpft sie ja auch um ihren Ruf, um ihre wissenschaftliche Reputation. Und man sollte jetzt wirklich in aller Ruhe und Gelassenheit abwarten, wie ein Gericht entscheidet.

    Armbrüster: Aber ist die wissenschaftliche Reputation nicht seit gestern Abend dahin, seitdem ihre Universität gesagt hat, für sie gilt der Doktortitel nicht mehr?

    Bosbach: Das ist eine vorläufige Entscheidung, keine endgültige, und ob diese Entscheidung Bestandskraft erlangt, ob sie rechtskräftig wird, das entscheidet nicht die Universität in Düsseldorf. Das entscheiden die Gerichte. Natürlich ist Frau Schavan ins Mark getroffen. Jeder der sie kennt, der weiß doch, wie viel Wert sie auf eine wirklich saubere Arbeit legt, auf wissenschaftliche saubere Arbeit, wie penibel sie ist. Und sie hat sich ja in allen Ämtern, die sie bisher inne hatte, auch weit über die Partei- oder Fraktionsgrenzen hinaus gerade ihre Reputation dadurch erworben, dass sie ganz betont sachlich ist und auch in ihrer Amtsführung. Ich weiß nicht, ob es jemals Kritik gegeben hat. Dass sie das in besonderer Weise betrifft, dass sie sich ins Mark getroffen fühlt, dafür habe ich Verständnis. Aber das wäre jedenfalls für mich kein Grund, dass man, bevor überhaupt eine erste gerichtliche Entscheidung vorliegt, ihren Rücktritt fordert.

    Armbrüster: Also die CDU steuert jetzt auf eine Auseinandersetzung, auf eine gerichtliche Auseinandersetzung um den Doktortitel von Frau Schavan zu. Kann die Union das zum jetzigen Zeitpunkt gebrauchen?

    Bosbach: Uns allen wäre es doch lieber, wenn es diese Auseinandersetzung, jetzt diese gerichtliche Auseinandersetzung zwischen Frau Schavan und der Uni Düsseldorf, nicht geben müsste. Aber dass das jemand sagt, ich möchte die Entscheidung einer unabhängigen Instanz, ob die Entscheidung der Uni Düsseldorf richtig ist oder nicht, das ist das gute Recht von Frau Schavan. Und ich kann mich auch nur wundern über die Berichterstattung in den letzten Monaten. Für jeden Straftäter gilt, bis zur rechtskräftigen Entscheidung gilt die Unschuldsvermutung. Aber bei Frau Schavan wird sofort unterstellt, dass die Entscheidung der Universität Düsseldorf richtig ist. Ob sie richtig ist, entscheiden die Gerichte. Frau Schavan hatte in den letzten Monaten - das spricht für die Union und nicht dagegen - große Solidarität, große Unterstützung in der Partei, und die wird sie auch nicht verlieren.

    Armbrüster: Es war ja nun nicht irgendeine Entscheidung und irgendein Gremium, das da gestern getagt hat, sondern es war der Fakultätsrat der zuständigen Düsseldorfer Fakultät an der Universität dort. Haben die Leute dort in dem Rat nicht die Kompetenz, über so einen Fall zu entscheiden?

    Bosbach: Es geht nicht um die Frage, ob sie Kompetenz haben oder nicht, sondern es geht um die Frage, ob diese Entscheidung einer rechtlichen Nachprüfung Stand hält oder nicht. Sie können doch jetzt nicht sagen, wenn jemand eine Baugenehmigung erstreitet, haben die Beamten im Rathaus nicht genügend Kompetenz, um zu beurteilen, ob die Baugenehmigung erteilt werden muss oder nicht. Das ist die Entscheidung der unabhängigen Gerichte, die warten wir jetzt in Ruhe ab. Frau Schavan bekommt den Anspruch auf rechtliches Gehör, sie wird ihre Sicht der Dinge im Sachlichen, im Tatsächlichen und im Rechtlichen darlegen und dann werden die Gerichte entscheiden.

    Armbrüster: Was glauben Sie, was ist die Botschaft, die von diesem Fall ausgeht, an junge Studierende, an junge Doktoranden?

    Bosbach: Dass sie sich auf keinen Fall unter Ausnutzung einer fremden geistigen Leistung einen universitären Abschluss oder einen akademischen Grad erschummeln können. Und ich darf mal daran erinnern: Die Promotion stammt aus dem Jahre 1980. Jetzt nach 33 Jahren wird überprüft, ob sie unter Ausnutzung einer fremden geistigen Leistung diesen Doktortitel erworben hat oder nicht. Wir haben heute ganz andere Möglichkeiten, so etwas nachzuprüfen. Das heißt: Diejenigen, die heute studieren, die Fälle, die wir bereits gehabt haben, werden Anlass genug sein zu sagen: Achtung, wir müssen aufpassen, dass wir nur die eigene geistige Leistung auf den Prüfstand stellen und uns nicht geistige Leistungen anderer zu Nutze machen. Aber dass Frau Schavan sagt: Ich habe nicht getäuscht, ich habe nicht betrogen, möglicherweise Flüchtigkeitsfehler, die können aber nicht das Ergebnis haben, dass die gesamte wissenschaftliche Arbeit als solche in Frage gestellt und in Bausch und Bogen verworfen wird. Ob diese Argumentation einer rechtlichen Nachprüfung Stand hält oder nicht, das entscheidet nicht die Uni Düsseldorf, das entscheiden auch nicht die Medien, sondern das entscheiden die Gerichte.

    Armbrüster: Herr Bosbach, dann will ich noch mit Ihnen über ein anderes Thema sprechen, das seit gestern die Bundes- und auch die Landespolitik in Deutschland beschäftigt. Bayern und Hessen haben angekündigt, Klage einzureichen gegen den Länderfinanzausgleich, der ja seit Jahrzehnten dafür sorgt, dass auch die ärmeren Länder, die ärmeren Bundesländer in Deutschland mit Geld versorgt werden von den Geberländern. Wenn dieser Finanzausgleich jetzt angefochten wird, heißt das dann, dass die Solidarität unter den Bundesländern am Ende ist?

    Bosbach: Nein, das heißt es nicht, denn es gibt ja keinen Zweifel daran, dass es auch bei einem neuen modifizierten Länderfinanzausgleich auch weiterhin Geberländer und Nehmerländer geben wird. Das war immer so und das wird auch in Zukunft immer so sein. Das heißt, die wirtschaftlich starken, die wirtschaftlich erfolgreichen Bundesländer werden immer einen solidarischen Beitrag leisten und auch leisten müssen. Aber die Lage, die wir heute haben, dass drei Länder Geberländer sind und dass Bayern über 40 Prozent der gesamten Zahllast der drei Geberländer trägt und auf der anderen Seite 13 Länder Nehmerländer sind, die sich zum Teil Leistungen erlauben, die sich die Geberländer aus finanziellen Gründen gar nicht erlauben können, dass das nicht auf Dauer so bleiben kann, für diese Argumentation habe ich Verständnis. Der entscheidende Punkt ist für mich: Gibt es eigentlich genügend ökonomische, wirtschaftliche Anreize, den Status als Nehmerland zu verlassen oder den Zuschussbedarf zu reduzieren? Oder sagt man sich, wenn wir uns jetzt enorm anstrengen, Infrastruktur-Ansiedlung, Förderung von Gewerbe, von Industrie, macht das eigentlich Sinn, oder verlieren wir dann, wenn wir die eigene Steuerkraft erhöhen, enorm an Zuschüssen aus dem Länderfinanzausgleich. Lohnt sich das für uns - das ist eine wichtige Frage. Es muss der ökonomische Anreiz bleiben, aus eigener Kraft wirtschaftlich stark zu sein.

    Armbrüster: Die Geberländer zeigen dann immer auf den Fall Berlin. Das Land, so heißt es dann immer, sei ein regelrechtes Geldloch, das immer nur nimmt, aber niemals auf die eigenen Beine kommt. Wie lange soll das mit Berlin so weitergehen als Nehmerland?

    Bosbach: Diese Frage müsste man an Berlin richten. Wenn man natürlich einen Satz bejubelt wie "Arm, aber sexy", dann stellt sich die Frage, ob das sozusagen jetzt schon der Status von Berlin auf Dauer bleiben soll. Berlin ist eine faszinierende Metropole, ist eine wirkliche Weltstadt, aber Berlin leistet sich auch viel. Dann muss aber auch Berlin selber viel leisten, dann muss man eine attraktive Standortpolitik machen. Dann muss Berlin ein attraktiver Standort werden auch für Gewerbe, für Industrie, für Großunternehmen. Solange Berlin geteilt war, solange wir nicht die Wiedervereinigung hatten, hatte Berlin einen besonderen Status aufgrund der isolierten Lage. Berlin wurde in besonderer Weise gefördert. Aber jetzt als Bundeshauptstadt, 20 Jahre nach der Wiedervereinigung, muss doch Berlin die eigene Kraft haben, auch das Selbstbewusstsein haben zu sagen, wir wollen nicht länger der mit Abstand, der mit weitem Abstand größte Kostgänger der Republik sein.

    Armbrüster: Wolfgang Bosbach war das, der Vorsitzende im Innenausschuss des Deutschen Bundestages. Besten Dank für das Gespräch heute Morgen, Herr Bosbach.

    Bosbach: Ich danke Ihnen!

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