Im größten Handelssaal der Republik herrscht geschäftiges Treiben. Mehr als 500 Händler für Aktien, Devisen, Derivate, Anleihen und Rohstoffe verteilen sich im sogenannten Handelshaus der Commerzbank auf 4000 Quadratmeter. Es ist ein riesiger Saal, vollgestellt mit langen Reihen von Schreibtischen, darauf jeweils vier bis sechs Computerbildschirme, über die ganze Kolonnen von Zahlen laufen. Kellner mit Kaffeewagen – wie im Flugzeug – sind in den Gängen dazwischen unterwegs, sie verteilen Snacks und Getränke, damit keiner der Händler für derartige Banalitäten seinen Arbeitsplatz verlassen muss. Mitten drin sitzt Daniel Briesemann, Rohstoffhändler bei der Commerzbank. Normalerweise ein ruhiger und unaufgeregter Job. Seit 2008 aber ist alles anders:
"Salopp gesagt, bei uns klingeln viel öfters die Telefone als noch vor einem Jahr. Wir haben uns auch räumlich verändert, wir sind in die Mitte des Handelssaals gerutscht. Viele, viele Anfragen, die wir bekommen."
Als in den USA ab 2007 die Immobilienblase platzte, Banken gerettet werden mussten und die Wirtschaft ins Straucheln geriet, griff in Washington die US-Notenbank FED ein. Ihr Mittel gegen die Krise: Sie gab der Finanzwirtschaft Geld. Viel Geld. Billiges Geld, praktisch ohne Zinsen. Die Notenbank flutete damit die Märkte, um die US-Wirtschaft zu retten – und seitdem ist bei Briesemann und seinen Kollegen der Teufel los:
"Gerade die US-Notenbank FED, aber auch andere Notenbanken rund um den Globus, haben mit der Ausweitung der Liquidität in den Märkten dazu beigetragen, dass viel Geld zur Verfügung stand, dass investiert werden wollte, und man hat schlicht und ergreifend nach noch attraktiven Anlagealternativen gesucht. Und in einem sehr niedrigen Zinsumfeld kam man da relativ schnell auf Rohstoffe. Und von daher kann man sagen: Ja, die Ausweitung der Liquidität hat zu einer Rohstoffpreis-Rallye geführt und letztendlich zu einem Anstieg der Inflation – zumindest zu einer Erwartung des Anstiegs einer Inflation."
Die Erwartung einer Inflation treibt Anleger meist in Rohstoffe. Bestes Beispiel: Gold. Die Angst vor der Entwertung des Papiergeldes lässt auch Privatleute in Scharen Gold kaufen – seit Jahren springt der Preis für das Edelmetall von einem Rekordhoch zum nächsten – denn die Menschen haben Angst davor, dass ihr Geld bald weniger wert ist. Da tröstet wohl der Gedanke an etwas Wertvolles, das man in der Hand halten kann.
"Inflation, die - Ursprung: lateinisch für = Aufblähung. Eine Inflation ist der Prozess einer anhaltenden Steigerung des Preisniveaus einer Volkswirtschaft, der über eine tolerierbare Marge hinausgeht und über einen längeren Zeitraum anhält. Verursacht wird eine Inflation durch die Aufblähung oder Vermehrung der Geldmenge, die innerhalb eines Währungsraums im Umlauf ist."
Diese Definition aus dem Wirtschaftslexikon trifft es heute nicht mehr vollständig. Inflation hat viele Gründe – und besonders in diesen Zeiten viele Gesichter. Auch die Inflation im Euroraum ist gestiegen – nicht weil die Europäer ebenfalls mehr Geld gedruckt hätten. Die Europäische Zentralbank in Frankfurt achtet streng darauf, dass die Inflationsrate in Europa nicht zu stark steigt. Im Gegensatz zur FED in den USA hat die EZB die Zinsen lange Zeit auf einem vergleichsweise hohen Niveau belassen – und damit auch die Spekulation auf Rohstoffe gebremst, die mit billigem Geld zu niedrigen Zinsen stets schnell um sich greift. Aber es gibt, zum Beispiel, mehr Dollar. Und auf den Rohstoffmärkten weltweit wird in Dollar gehandelt. In dieser Währung bezahlt auch Brieselang Öl, das er auf dem Markt, zum Beispiel an der Börse in Chicago einkauft.
"Es besteht, unserer Meinung, eine Wechselwirkung zwischen Inflation und Rohstoffen – die auch durchaus in die andere Richtung gehen kann. Sprich: Steigende Rohstoffpreise führen zu steigender Inflation. Dies kann jeder von uns selbst sehen. Als Beispiel sei hier genannt die Tankstelle. Steigende Benzinpreise, die kommen nämlich letztendlich von steigenden Ölpreisen – im Endeffekt ist das auch eine Form von Inflation."
Die Weltmärkte, ob für Rohstoffe, Aktien oder Devisen, sind längst eng miteinander verflochten. Ein Markt zieht andere mit nach oben – oder nach unten. Der Rohölpreis ist einer von vielen Indikatoren, mit denen Statistiker die Inflation messen. Als Grundsatz gilt dabei: Je besser die Wirtschaft läuft, desto größer die Gefahr einer "galoppierenden" Inflation. Also einer, die außer Kontrolle zu laufen droht. China hat damit in letzter Zeit schon böse Erfahrungen gemacht. Als die Weltwirtschaft Ende 2008 am Boden lag, war das Land weltweit das Einzige, dessen Wirtschaft trotzdem lief. Sofort stürzten sich Anleger rund um den Globus auf den chinesischen Markt: investierten im Reich der Mitte, nahmen bei chinesischen Banken Kredite auf – und trieben so die Geldmenge nach oben. Das viele Geld im Land führte dazu, dass die Preise rasant stiegen - bis Peking die Notbremse zog und die Zinsen drastisch heraufsetzte.
"Wir haben die höchste Inflation momentan seit drei Jahren, die steigenden Mieten und die gestiegenen Nahrungsmittelpreise tragen hier zu einer maßgeblichen Teuerung bei. Und gerade die steigenden Lebensmittelpreise sind es, die die Unruhen in der Bevölkerung schüren. Und davor hat die Regierung Angst. Und deshalb hat man auch die Inflationsbekämpfung zum obersten Ziel der Regierung gemacht."
Wenn in China der sprichwörtliche Sack Reis umfällt, interessiert das inzwischen auch Händler in Deutschland. Das Problem, das Viola Stork, Expertin für China bei der Landesbank Helaba, in Peking beobachtet hat, möchte sich die Europäische Zentralbank gerne ersparen. Für die EZB ist die Preisstabilität in Europa die wichtigste Aufgabe. Ihr Auftrag ist es, eine grassierende Inflation zu vermeiden. Dazu hebt oder senkt sie in der Regel die Leitzinsen – je nachdem wie gut oder schlecht die Wirtschaft im Euroraum läuft. Und im Normalfall reicht diese Maßnahme auch aus – doch normale Zeiten haben wir gerade nicht. Und genau da beginnt der Streit der Experten. Denn China kann sich leisten, wovon die Zentralbanker in Europa nur träumen können: die Zinsen zu erhöhen! Die Europäische Zentralbank dagegen musste wegen der Finanz- und Schuldenkrise die Zinsen sogar senken, obwohl die Inflation im Euroraum bereits über der angepeilten Marke von zwei Prozent liegt. Mit der Zinssenkung stellt die EZB dem Finanzmarkt billiges Geld zur Verfügung. Das heißt: Jede Bank kann sich von ihr zu historisch niedrigen Zinsen Geld leihen und dieses dann weitergeben. Euro, die Investoren wie Hedgefonds oder auch Investmentbanken wiederum anlegen. Zum Beispiel in Rohstoffe wie Weizen, Öl oder Industriemetalle. Die Investoren kaufen diese Produkte lediglich virtuell auf und müssen nun nur darauf warten, dass sich deren Preis erhöht - weil sich durch die Aufkäufe das Angebot auf dem Markt automatisch verknappt. Eine Tankerladung Rohöl beispielsweise kann während einer Reise vom Persischen Golf nach Amsterdam mehrfach den Besitzer wechseln und gewinnt dabei immer weiter an Wert. Bis der Tanker in Amsterdam dann seine Ladung löscht, hat sich die Gewinnspirale für die Investoren immer höher gedreht. Zusätzlich kauft die EZB den Banken ihre Staatsanleihen ab, was wiederum Geld freisetzt. Es sind Staatsanleihen aus hoch verschuldeten Ländern wie Griechenland, Spanien oder Italien, die im Wert weiter sinken. Zum Ausgleich dafür entzieht die EZB den Banken normalerweise Liquidität, indem sie die wöchentliche Geldvergabe an die Institute beschränkt. Der Grund: Die Geldmenge, die im Euroraum zirkuliert, soll stets gleich bleiben, damit die EZB die Inflationsrate unter Kontrolle halten kann. Zurzeit aber funktioniert das nicht! Weil es momentan auch den europäischen Banken sehr schlecht geht, leiht ihnen die EZB zusätzlich billiges Geld – praktisch zinslos. Die Folge: Die Geldmenge erhöht sich, die Inflation steigt. Die EZB dreht also selbst an der Spirale, die sie eigentlich aufhalten sollte. Es bleibt ihr nur nichts anderes übrig – wenn die europäische Finanzwirtschaft nicht zusammenbrechen soll. US-Banker trauen ihren europäischen Kollegen schon seit Monaten nicht mehr über den Weg. Die Europäer bekommen – außer von der EZB – von kaum jemandem noch Geld geliehen. Die Inflation kommt! Stefan Riße, früher Journalist, inzwischen Vermögensverwalter, hat bereits vor zwei Jahren ein Buch mit diesem Titel geschrieben und bleibt bei der Meinung, die er schon 2009 vertreten hat.
"Für die Sparer bahnt sich ein natürlich Drama an. Wir stehen vor der Situation, wo wir die klassische Frage beantworten müssen: Pest oder Cholera. Ich weiß nicht, was schlimmer ist. Aber wir haben nur die Möglichkeit: entweder, so wie es in den 30er-Jahren passiert ist: gnadenloses Sparen mit furchtbarer Rezession. Oder: Wir nehmen die Inflation. Die meiner Meinung nach auch der sozial verträglichere Weg ist, weil sie nur den Besitzenden trifft."
Besitzende sind jedoch nicht nur Reiche, sondern alle Sparer. Die sparsame schwäbische Hausfrau, die etwas auf die hohe Kante gelegt hat. Oder Rentner, deren Altersversorgung von ihrer Rentenversicherung abhängt. Betroffen sind aber auch Kleinverdiener, die sich steigende Lebenshaltungskosten am wenigsten leisten können. Natürliche Inflation gibt es immer, sie gehört zum Wechselspiel der Wirtschaft dazu. Eine Inflation durch die bewusste Ausweitung der Geldmenge gezielt herbeizuführen, wäre jedoch eine künstliche Inflation. Ökonomen läuft bei solchen Planspielen der kalte Schauer über den Rücken. Einer, der die Interessen gerade von Sparern vertritt, ist Michael Heise. Als Chefvolkswirt der Allianz steht er für ein Unternehmen, das sein Geld damit verdient, dass Menschen ihr Erspartes nicht nur auf dem Konto, sondern zum Beispiel auch in Versicherungen oder Renten anlegen.
"Wir sollten nicht versuchen, künstlich Inflation zu schaffen – im Übrigen haben wir eine Inflation, die zwar im Wesentlichen rohstoffpreisbedingt ist – damit im Übrigen auch konjunkturschädlich ist. Und da brauchen wir das Feuer sicherlich nicht weiter anzuschüren. Das wäre sicherlich kontraproduktiv. Weil das am Ende auch die Zinsen an den Kapitalmärkten nach oben treiben würde, wenn die Anleger hier eine große Inflationsfurcht bekämen."
Die Furcht vor einer Inflation allein genügt schon, um Märkte zu bewegen. Das Klima in der Wirtschaft ändert sich schnell, wenn sich Unternehmen Sorgen um eine Ausweitung der Inflation machen. Der Geschäftsklimaindex ifo, der am Vormittag veröffentlicht wurde, kann solche Sorgen jedoch zur Zeit nicht widerspiegeln. Die Unternehmen blicken optimistischer in die Zukunft als Volkswirte gedacht hätten. Die sehen die Wirtschaft zum Teil vor einer Rezession, was die Rohstoffpreise drücken und damit eine stärkere Inflation unwahrscheinlicher machen würde. Der Wert des Geldes ist dabei für jedes Unternehmen von großer Bedeutung. Denn die Preise für die eigenen Produkte muss ein Unternehmen oft schon Monate im Voraus festlegen. Explodieren dann aber beispielsweise die Rohstoffpreise, verteuert sich die Produktion - und die eigentlich erhoffte und kalkulierte Gewinnspanne ist dahin. Vor allem rohstoffabhängige und weltweit tätige Betriebe haben mit diesem Problem zu kämpfen. Beim Chemiekonzern BASF beschäftigt sich aus diesem Grund eine ganze Abteilung damit, solche Entwicklungen vorher zu sehen. Auch Ausgaben wollen geplant werden. Denn Investitionen rechnen sich, sobald eine Inflation kommt. In diesem Fall wird die Rückzahlung der bestehenden Kredite für die Unternehmen einfacher. Andererseits müssen sie mit steigenden Zinsen für künftige Kredite rechnen. Die sie befürchten müssen, wenn die Zentralbank eine drohende Inflation nur mit Zinserhöhungen abwenden kann. Auch Konsumenten reagieren. Und auch sie sind noch gelassen - was aus der Konsumklimastudie abzulesen ist, die das Marktforschungsunternehmen GfK am Morgen in Nürnberg veröffentlicht hat. In der Studie wird die Verbraucherstimmung – also Einkommenserwartung und Anschaffungsneigung – analysiert. In beiden Punkten sind die Konsumenten zuversichtlich. Sie erwarten mehr Geld und wollen mehr ausgeben, was die Inflationsrate erhöhen könnte. Konsum- und Geschäftsklima sind wichtige Indikatoren auch für die Börsen, die abwägen müssen zwischen den volkswirtschaftlichen Daten und der Stimmung bei Unternehmen und Verbrauchern. Weshalb Ökonomen wie Andreas Scheuerle von der Deka-Bank zwischen tatsächlicher und gefühlter Inflation unterscheiden. Schon bei der letzten Umfrage hatte sich das Konsumklima in Deutschland nämlich wieder gebessert. Und das, obwohl die EZB derzeit Geld in den Finanzmarkt pumpt, die Geldmenge damit also aufbläht und die Inflation logischerweise steigt. Ein Widerspruch, der dem Analytiker Scheuerle ein Lächeln entlockt.
"Ich glaube, die entscheidende Größe, die sich jetzt am Markt geändert hat, ist die Inflationswahrnehmung. Das ebbt jetzt etwas ab, und damit wird eine wesentliche Spaßbremse gelockert. Klar ist: Die Inflation ist nicht gesunken, aber die Zuwächse sind geringer geworden. Das hat geholfen. An dieses Niveau haben sich die Verbraucher inzwischen jetzt gewöhnt."
Es könnte aber sein, dass sich die Verbraucher bald schon an ein neues Niveau gewöhnen müssen. Denn quer durch Europa wird mit einem Gedanken gespielt, der immer mehr Politikern gefällt. Vor allem in den hoch verschuldeten Staaten wie Spanien, Portugal, Griechenland, aber auch in Italien und sogar Präsident Nicolas Sarkozy aus Frankreich. Aus all diesen Ländern wird die Forderung nach einem ungebremsten Ankauf europäischer Staatsanleihen durch die EZB laut – mit dem Ziel, den Markt für Staatsanleihen zu beruhigen. Das würde zwar Inflation in der gesamten Eurozone bedeuten, für die Schuldenstaaten aber hätte genau das einen angenehmen Nebeneffekt: Sie könnten ihre Schulden leichter abzutragen. Denn: Die Höhe ihrer Schulden bliebe zwar gleich, weil aber der Euro weniger wert wäre, wenn davon mehr zur Verfügung stehen würde, könnten sie ihre Schulden schneller als bislang gedacht abbezahlen. Ein Vorgang, den die Deutsche Bundesbank verhindern will. Schon aus historischer Sicht ist das ihre Aufgabe. Die schwarz-gelbe Regierung in Berlin steht in dieser Frage geschlossen hinter ihr. Buchautor Stefan Riße glaubt aber nicht daran, dass sich diese Position auf Dauer halten lässt.
"Wir Deutschen haben dieses Schreckgespenst der Hyperinflation im Kopf. Weil wir eben diese großen Inflationen erlebt haben, 1923. Im Besonderen aber die verdeckte Inflation nach dem Zweiten Weltkrieg, die das gesamte Ersparte aufgefressen hat. Aber Entschuldigung: Das war nach zwei verlorenen Kriegen! Ich bin mir sehr sicher, dass hinter verschlossenen Türen und unter Ausschluss der Deutschen Bundesbank die Staaten auf den Gipfeltreffen über diese Thematik deutlich reden. Und sich auch überlegen, wie man damit umgeht und ob man das kontrollieren kann. Ob das wirklich so zu steuern ist, weiß kein Mensch. Wir befinden uns da auf absolutem Neuland. Das hat es so noch nicht gegeben: eine solche Verschuldung, so tiefe Zinsen dazu. Das heißt, wir experimentieren am offenen Herzen. Und wir können nur hoffen, dass die Operation gelingt; sprich, dass die Inflation nicht außer Kontrolle gerät."
Für Experimentierfreude ist die Bundesbank jedoch nicht bekannt. Ihre Vertreter gehören im Rat der Europäischen Zentralbank zu den konservativsten, sie werden allerdings im Rat regelmäßig überstimmt. Bundesbankchef Axel Weber hatte deshalb im Frühjahr seinen Job hingeschmissen. Am Wochenende erst gab auch EZB-Chefvolkswirt Stark, ebenfalls ein Deutscher, zu, dass er im Herbst aus genau dem gleichen Grund zurückgetreten war. Ihm ging der Ankauf der Staatsanleihen von Schuldenstaaten durch die EZB zu weit. Doch die Mehrheit im Rat entschied anders. Vermieden werden könnte eine Inflation durch striktes Sparen. Dass das weder in Deutschland noch in den anderen Eurostaaten auf Dauer durchzuhalten ist, darauf wird an den Finanzmärkten längst spekuliert. Es gibt bereits Wetten darauf, wann die Europäische Zentralbank ihre Stabilitätspolitik aufgeben wird. Die Frage lautet dabei längst nicht mehr, ob sie es tut. Die Spekulanten sind sich sicher, dass die EZB ihren Stabilitätskurs über kurz oder lang aufgeben muss. Für Autor Stefan Riße wäre dieser Schritt - auch aus historischer Sicht -der einzig mögliche.
"Wenn Sie ganz genau hingucken, dann sehen Sie, dass in der Weimarer Republik unter dem Reichskanzler Heinrich Brüning und seinem Reichsbankpräsidenten Hans Luther, eine gnadenlose Sparpolitik gemacht wurde. So wie wir sie jetzt von Griechenland und den anderen Peripheriestaaten Europas verlangen. Diese Spar- und Stabilitätspolitik hat die Arbeitslosigkeit in der Weimarer Republik auf Rekordniveau getrieben, und Heinrich Brüning wurde abgelöst durch Adolf Hitler."
Damals nach dem Ersten Weltkrieg war Deutschland von den Siegermächten zu horrenden Reparationszahlungen verpflichtet worden – was die Stimmung innerhalb der Bevölkerung hierzulande zusätzlich aufgeheizt hatte. Mit dem damaligen Deutschland vergleichbar ist die Situation in Griechenland, Spanien oder Italien heutzutage natürlich nicht. Aber auch dort nimmt Riße – und nicht nur er – eine aufgeheizte Stimmung wahr, die sich in den Umfragen zugunsten extremer politischer Parteien niederschlägt.
"Und wenn wir nach Griechenland gucken, dort sind die Parteien am extremen linken und rechten Rand auf dem Vormarsch. Die Faschisten dort, die vom Märchen von Auschwitz und Dachau sprechen, das muss man sich mal vorstellen, liegen in den Umfragen bei acht Prozent. Und die Stalinisten liegen in Umfragen ebenfalls bei acht Prozent. Das heißt, wer mit übertriebener Sparpolitik zu Werke geht, der gefährdet den sozialen Frieden."
Einen Königsweg aus der Krise kennt keiner, auch die Ideen des Buchautors Riße sind nicht mehr als Vorschläge. Die Warnungen der Ökonomen haben ebenfalls Gewicht: Wie Michael Heise von der Allianz kann sich auch David Milleker, Chefvolkswirt bei der Union Investment, mit der Idee einer künstlichen Inflation – befördert durch den Staatsleihenankauf der EZB - nur schwer anfreunden.
"Auf der einen Seite: Ja, es hilft beim Schuldenabbau. Auf der anderen Seite: Es hilft halt nicht, wenn die Inflation extrem anzieht und dadurch ein neuer Verunsicherungsfaktor auftritt. Also von daher: Die Zentralbank muss gucken, dass das Wasser nicht zu heiß und nicht zu kalt ist. Aber, nochmal: Ohne Europäische Zentralbank als Teil einer europäischen Krisenlösung wird es wahrscheinlich nicht gehen."
Sicher ist: Einfach wird es in keinem Fall. Eine Grundlehre der Volkswirtschaft zum Thema Inflation, die jeder Student schon in den Grundsemestern eingebläut bekommt, lautet: Wer mit der Inflation flirtet, muss sie auch heiraten. Noch nie in der Geschichte der Weltwirtschaft ist es gelungen, eine künstlich herbeigeführte Inflation zu beherrschen. Soweit die Gesetze der Wirtschaftslehre. Doch die scheinen längst schon pure Theorie. Denn eine Erfahrung, die an den Finanzmärkten derzeit auch fast täglich gemacht wird, lautet: Die alten Gesetze und Regeln gelten neuerdings nicht mehr.
"Salopp gesagt, bei uns klingeln viel öfters die Telefone als noch vor einem Jahr. Wir haben uns auch räumlich verändert, wir sind in die Mitte des Handelssaals gerutscht. Viele, viele Anfragen, die wir bekommen."
Als in den USA ab 2007 die Immobilienblase platzte, Banken gerettet werden mussten und die Wirtschaft ins Straucheln geriet, griff in Washington die US-Notenbank FED ein. Ihr Mittel gegen die Krise: Sie gab der Finanzwirtschaft Geld. Viel Geld. Billiges Geld, praktisch ohne Zinsen. Die Notenbank flutete damit die Märkte, um die US-Wirtschaft zu retten – und seitdem ist bei Briesemann und seinen Kollegen der Teufel los:
"Gerade die US-Notenbank FED, aber auch andere Notenbanken rund um den Globus, haben mit der Ausweitung der Liquidität in den Märkten dazu beigetragen, dass viel Geld zur Verfügung stand, dass investiert werden wollte, und man hat schlicht und ergreifend nach noch attraktiven Anlagealternativen gesucht. Und in einem sehr niedrigen Zinsumfeld kam man da relativ schnell auf Rohstoffe. Und von daher kann man sagen: Ja, die Ausweitung der Liquidität hat zu einer Rohstoffpreis-Rallye geführt und letztendlich zu einem Anstieg der Inflation – zumindest zu einer Erwartung des Anstiegs einer Inflation."
Die Erwartung einer Inflation treibt Anleger meist in Rohstoffe. Bestes Beispiel: Gold. Die Angst vor der Entwertung des Papiergeldes lässt auch Privatleute in Scharen Gold kaufen – seit Jahren springt der Preis für das Edelmetall von einem Rekordhoch zum nächsten – denn die Menschen haben Angst davor, dass ihr Geld bald weniger wert ist. Da tröstet wohl der Gedanke an etwas Wertvolles, das man in der Hand halten kann.
"Inflation, die - Ursprung: lateinisch für = Aufblähung. Eine Inflation ist der Prozess einer anhaltenden Steigerung des Preisniveaus einer Volkswirtschaft, der über eine tolerierbare Marge hinausgeht und über einen längeren Zeitraum anhält. Verursacht wird eine Inflation durch die Aufblähung oder Vermehrung der Geldmenge, die innerhalb eines Währungsraums im Umlauf ist."
Diese Definition aus dem Wirtschaftslexikon trifft es heute nicht mehr vollständig. Inflation hat viele Gründe – und besonders in diesen Zeiten viele Gesichter. Auch die Inflation im Euroraum ist gestiegen – nicht weil die Europäer ebenfalls mehr Geld gedruckt hätten. Die Europäische Zentralbank in Frankfurt achtet streng darauf, dass die Inflationsrate in Europa nicht zu stark steigt. Im Gegensatz zur FED in den USA hat die EZB die Zinsen lange Zeit auf einem vergleichsweise hohen Niveau belassen – und damit auch die Spekulation auf Rohstoffe gebremst, die mit billigem Geld zu niedrigen Zinsen stets schnell um sich greift. Aber es gibt, zum Beispiel, mehr Dollar. Und auf den Rohstoffmärkten weltweit wird in Dollar gehandelt. In dieser Währung bezahlt auch Brieselang Öl, das er auf dem Markt, zum Beispiel an der Börse in Chicago einkauft.
"Es besteht, unserer Meinung, eine Wechselwirkung zwischen Inflation und Rohstoffen – die auch durchaus in die andere Richtung gehen kann. Sprich: Steigende Rohstoffpreise führen zu steigender Inflation. Dies kann jeder von uns selbst sehen. Als Beispiel sei hier genannt die Tankstelle. Steigende Benzinpreise, die kommen nämlich letztendlich von steigenden Ölpreisen – im Endeffekt ist das auch eine Form von Inflation."
Die Weltmärkte, ob für Rohstoffe, Aktien oder Devisen, sind längst eng miteinander verflochten. Ein Markt zieht andere mit nach oben – oder nach unten. Der Rohölpreis ist einer von vielen Indikatoren, mit denen Statistiker die Inflation messen. Als Grundsatz gilt dabei: Je besser die Wirtschaft läuft, desto größer die Gefahr einer "galoppierenden" Inflation. Also einer, die außer Kontrolle zu laufen droht. China hat damit in letzter Zeit schon böse Erfahrungen gemacht. Als die Weltwirtschaft Ende 2008 am Boden lag, war das Land weltweit das Einzige, dessen Wirtschaft trotzdem lief. Sofort stürzten sich Anleger rund um den Globus auf den chinesischen Markt: investierten im Reich der Mitte, nahmen bei chinesischen Banken Kredite auf – und trieben so die Geldmenge nach oben. Das viele Geld im Land führte dazu, dass die Preise rasant stiegen - bis Peking die Notbremse zog und die Zinsen drastisch heraufsetzte.
"Wir haben die höchste Inflation momentan seit drei Jahren, die steigenden Mieten und die gestiegenen Nahrungsmittelpreise tragen hier zu einer maßgeblichen Teuerung bei. Und gerade die steigenden Lebensmittelpreise sind es, die die Unruhen in der Bevölkerung schüren. Und davor hat die Regierung Angst. Und deshalb hat man auch die Inflationsbekämpfung zum obersten Ziel der Regierung gemacht."
Wenn in China der sprichwörtliche Sack Reis umfällt, interessiert das inzwischen auch Händler in Deutschland. Das Problem, das Viola Stork, Expertin für China bei der Landesbank Helaba, in Peking beobachtet hat, möchte sich die Europäische Zentralbank gerne ersparen. Für die EZB ist die Preisstabilität in Europa die wichtigste Aufgabe. Ihr Auftrag ist es, eine grassierende Inflation zu vermeiden. Dazu hebt oder senkt sie in der Regel die Leitzinsen – je nachdem wie gut oder schlecht die Wirtschaft im Euroraum läuft. Und im Normalfall reicht diese Maßnahme auch aus – doch normale Zeiten haben wir gerade nicht. Und genau da beginnt der Streit der Experten. Denn China kann sich leisten, wovon die Zentralbanker in Europa nur träumen können: die Zinsen zu erhöhen! Die Europäische Zentralbank dagegen musste wegen der Finanz- und Schuldenkrise die Zinsen sogar senken, obwohl die Inflation im Euroraum bereits über der angepeilten Marke von zwei Prozent liegt. Mit der Zinssenkung stellt die EZB dem Finanzmarkt billiges Geld zur Verfügung. Das heißt: Jede Bank kann sich von ihr zu historisch niedrigen Zinsen Geld leihen und dieses dann weitergeben. Euro, die Investoren wie Hedgefonds oder auch Investmentbanken wiederum anlegen. Zum Beispiel in Rohstoffe wie Weizen, Öl oder Industriemetalle. Die Investoren kaufen diese Produkte lediglich virtuell auf und müssen nun nur darauf warten, dass sich deren Preis erhöht - weil sich durch die Aufkäufe das Angebot auf dem Markt automatisch verknappt. Eine Tankerladung Rohöl beispielsweise kann während einer Reise vom Persischen Golf nach Amsterdam mehrfach den Besitzer wechseln und gewinnt dabei immer weiter an Wert. Bis der Tanker in Amsterdam dann seine Ladung löscht, hat sich die Gewinnspirale für die Investoren immer höher gedreht. Zusätzlich kauft die EZB den Banken ihre Staatsanleihen ab, was wiederum Geld freisetzt. Es sind Staatsanleihen aus hoch verschuldeten Ländern wie Griechenland, Spanien oder Italien, die im Wert weiter sinken. Zum Ausgleich dafür entzieht die EZB den Banken normalerweise Liquidität, indem sie die wöchentliche Geldvergabe an die Institute beschränkt. Der Grund: Die Geldmenge, die im Euroraum zirkuliert, soll stets gleich bleiben, damit die EZB die Inflationsrate unter Kontrolle halten kann. Zurzeit aber funktioniert das nicht! Weil es momentan auch den europäischen Banken sehr schlecht geht, leiht ihnen die EZB zusätzlich billiges Geld – praktisch zinslos. Die Folge: Die Geldmenge erhöht sich, die Inflation steigt. Die EZB dreht also selbst an der Spirale, die sie eigentlich aufhalten sollte. Es bleibt ihr nur nichts anderes übrig – wenn die europäische Finanzwirtschaft nicht zusammenbrechen soll. US-Banker trauen ihren europäischen Kollegen schon seit Monaten nicht mehr über den Weg. Die Europäer bekommen – außer von der EZB – von kaum jemandem noch Geld geliehen. Die Inflation kommt! Stefan Riße, früher Journalist, inzwischen Vermögensverwalter, hat bereits vor zwei Jahren ein Buch mit diesem Titel geschrieben und bleibt bei der Meinung, die er schon 2009 vertreten hat.
"Für die Sparer bahnt sich ein natürlich Drama an. Wir stehen vor der Situation, wo wir die klassische Frage beantworten müssen: Pest oder Cholera. Ich weiß nicht, was schlimmer ist. Aber wir haben nur die Möglichkeit: entweder, so wie es in den 30er-Jahren passiert ist: gnadenloses Sparen mit furchtbarer Rezession. Oder: Wir nehmen die Inflation. Die meiner Meinung nach auch der sozial verträglichere Weg ist, weil sie nur den Besitzenden trifft."
Besitzende sind jedoch nicht nur Reiche, sondern alle Sparer. Die sparsame schwäbische Hausfrau, die etwas auf die hohe Kante gelegt hat. Oder Rentner, deren Altersversorgung von ihrer Rentenversicherung abhängt. Betroffen sind aber auch Kleinverdiener, die sich steigende Lebenshaltungskosten am wenigsten leisten können. Natürliche Inflation gibt es immer, sie gehört zum Wechselspiel der Wirtschaft dazu. Eine Inflation durch die bewusste Ausweitung der Geldmenge gezielt herbeizuführen, wäre jedoch eine künstliche Inflation. Ökonomen läuft bei solchen Planspielen der kalte Schauer über den Rücken. Einer, der die Interessen gerade von Sparern vertritt, ist Michael Heise. Als Chefvolkswirt der Allianz steht er für ein Unternehmen, das sein Geld damit verdient, dass Menschen ihr Erspartes nicht nur auf dem Konto, sondern zum Beispiel auch in Versicherungen oder Renten anlegen.
"Wir sollten nicht versuchen, künstlich Inflation zu schaffen – im Übrigen haben wir eine Inflation, die zwar im Wesentlichen rohstoffpreisbedingt ist – damit im Übrigen auch konjunkturschädlich ist. Und da brauchen wir das Feuer sicherlich nicht weiter anzuschüren. Das wäre sicherlich kontraproduktiv. Weil das am Ende auch die Zinsen an den Kapitalmärkten nach oben treiben würde, wenn die Anleger hier eine große Inflationsfurcht bekämen."
Die Furcht vor einer Inflation allein genügt schon, um Märkte zu bewegen. Das Klima in der Wirtschaft ändert sich schnell, wenn sich Unternehmen Sorgen um eine Ausweitung der Inflation machen. Der Geschäftsklimaindex ifo, der am Vormittag veröffentlicht wurde, kann solche Sorgen jedoch zur Zeit nicht widerspiegeln. Die Unternehmen blicken optimistischer in die Zukunft als Volkswirte gedacht hätten. Die sehen die Wirtschaft zum Teil vor einer Rezession, was die Rohstoffpreise drücken und damit eine stärkere Inflation unwahrscheinlicher machen würde. Der Wert des Geldes ist dabei für jedes Unternehmen von großer Bedeutung. Denn die Preise für die eigenen Produkte muss ein Unternehmen oft schon Monate im Voraus festlegen. Explodieren dann aber beispielsweise die Rohstoffpreise, verteuert sich die Produktion - und die eigentlich erhoffte und kalkulierte Gewinnspanne ist dahin. Vor allem rohstoffabhängige und weltweit tätige Betriebe haben mit diesem Problem zu kämpfen. Beim Chemiekonzern BASF beschäftigt sich aus diesem Grund eine ganze Abteilung damit, solche Entwicklungen vorher zu sehen. Auch Ausgaben wollen geplant werden. Denn Investitionen rechnen sich, sobald eine Inflation kommt. In diesem Fall wird die Rückzahlung der bestehenden Kredite für die Unternehmen einfacher. Andererseits müssen sie mit steigenden Zinsen für künftige Kredite rechnen. Die sie befürchten müssen, wenn die Zentralbank eine drohende Inflation nur mit Zinserhöhungen abwenden kann. Auch Konsumenten reagieren. Und auch sie sind noch gelassen - was aus der Konsumklimastudie abzulesen ist, die das Marktforschungsunternehmen GfK am Morgen in Nürnberg veröffentlicht hat. In der Studie wird die Verbraucherstimmung – also Einkommenserwartung und Anschaffungsneigung – analysiert. In beiden Punkten sind die Konsumenten zuversichtlich. Sie erwarten mehr Geld und wollen mehr ausgeben, was die Inflationsrate erhöhen könnte. Konsum- und Geschäftsklima sind wichtige Indikatoren auch für die Börsen, die abwägen müssen zwischen den volkswirtschaftlichen Daten und der Stimmung bei Unternehmen und Verbrauchern. Weshalb Ökonomen wie Andreas Scheuerle von der Deka-Bank zwischen tatsächlicher und gefühlter Inflation unterscheiden. Schon bei der letzten Umfrage hatte sich das Konsumklima in Deutschland nämlich wieder gebessert. Und das, obwohl die EZB derzeit Geld in den Finanzmarkt pumpt, die Geldmenge damit also aufbläht und die Inflation logischerweise steigt. Ein Widerspruch, der dem Analytiker Scheuerle ein Lächeln entlockt.
"Ich glaube, die entscheidende Größe, die sich jetzt am Markt geändert hat, ist die Inflationswahrnehmung. Das ebbt jetzt etwas ab, und damit wird eine wesentliche Spaßbremse gelockert. Klar ist: Die Inflation ist nicht gesunken, aber die Zuwächse sind geringer geworden. Das hat geholfen. An dieses Niveau haben sich die Verbraucher inzwischen jetzt gewöhnt."
Es könnte aber sein, dass sich die Verbraucher bald schon an ein neues Niveau gewöhnen müssen. Denn quer durch Europa wird mit einem Gedanken gespielt, der immer mehr Politikern gefällt. Vor allem in den hoch verschuldeten Staaten wie Spanien, Portugal, Griechenland, aber auch in Italien und sogar Präsident Nicolas Sarkozy aus Frankreich. Aus all diesen Ländern wird die Forderung nach einem ungebremsten Ankauf europäischer Staatsanleihen durch die EZB laut – mit dem Ziel, den Markt für Staatsanleihen zu beruhigen. Das würde zwar Inflation in der gesamten Eurozone bedeuten, für die Schuldenstaaten aber hätte genau das einen angenehmen Nebeneffekt: Sie könnten ihre Schulden leichter abzutragen. Denn: Die Höhe ihrer Schulden bliebe zwar gleich, weil aber der Euro weniger wert wäre, wenn davon mehr zur Verfügung stehen würde, könnten sie ihre Schulden schneller als bislang gedacht abbezahlen. Ein Vorgang, den die Deutsche Bundesbank verhindern will. Schon aus historischer Sicht ist das ihre Aufgabe. Die schwarz-gelbe Regierung in Berlin steht in dieser Frage geschlossen hinter ihr. Buchautor Stefan Riße glaubt aber nicht daran, dass sich diese Position auf Dauer halten lässt.
"Wir Deutschen haben dieses Schreckgespenst der Hyperinflation im Kopf. Weil wir eben diese großen Inflationen erlebt haben, 1923. Im Besonderen aber die verdeckte Inflation nach dem Zweiten Weltkrieg, die das gesamte Ersparte aufgefressen hat. Aber Entschuldigung: Das war nach zwei verlorenen Kriegen! Ich bin mir sehr sicher, dass hinter verschlossenen Türen und unter Ausschluss der Deutschen Bundesbank die Staaten auf den Gipfeltreffen über diese Thematik deutlich reden. Und sich auch überlegen, wie man damit umgeht und ob man das kontrollieren kann. Ob das wirklich so zu steuern ist, weiß kein Mensch. Wir befinden uns da auf absolutem Neuland. Das hat es so noch nicht gegeben: eine solche Verschuldung, so tiefe Zinsen dazu. Das heißt, wir experimentieren am offenen Herzen. Und wir können nur hoffen, dass die Operation gelingt; sprich, dass die Inflation nicht außer Kontrolle gerät."
Für Experimentierfreude ist die Bundesbank jedoch nicht bekannt. Ihre Vertreter gehören im Rat der Europäischen Zentralbank zu den konservativsten, sie werden allerdings im Rat regelmäßig überstimmt. Bundesbankchef Axel Weber hatte deshalb im Frühjahr seinen Job hingeschmissen. Am Wochenende erst gab auch EZB-Chefvolkswirt Stark, ebenfalls ein Deutscher, zu, dass er im Herbst aus genau dem gleichen Grund zurückgetreten war. Ihm ging der Ankauf der Staatsanleihen von Schuldenstaaten durch die EZB zu weit. Doch die Mehrheit im Rat entschied anders. Vermieden werden könnte eine Inflation durch striktes Sparen. Dass das weder in Deutschland noch in den anderen Eurostaaten auf Dauer durchzuhalten ist, darauf wird an den Finanzmärkten längst spekuliert. Es gibt bereits Wetten darauf, wann die Europäische Zentralbank ihre Stabilitätspolitik aufgeben wird. Die Frage lautet dabei längst nicht mehr, ob sie es tut. Die Spekulanten sind sich sicher, dass die EZB ihren Stabilitätskurs über kurz oder lang aufgeben muss. Für Autor Stefan Riße wäre dieser Schritt - auch aus historischer Sicht -der einzig mögliche.
"Wenn Sie ganz genau hingucken, dann sehen Sie, dass in der Weimarer Republik unter dem Reichskanzler Heinrich Brüning und seinem Reichsbankpräsidenten Hans Luther, eine gnadenlose Sparpolitik gemacht wurde. So wie wir sie jetzt von Griechenland und den anderen Peripheriestaaten Europas verlangen. Diese Spar- und Stabilitätspolitik hat die Arbeitslosigkeit in der Weimarer Republik auf Rekordniveau getrieben, und Heinrich Brüning wurde abgelöst durch Adolf Hitler."
Damals nach dem Ersten Weltkrieg war Deutschland von den Siegermächten zu horrenden Reparationszahlungen verpflichtet worden – was die Stimmung innerhalb der Bevölkerung hierzulande zusätzlich aufgeheizt hatte. Mit dem damaligen Deutschland vergleichbar ist die Situation in Griechenland, Spanien oder Italien heutzutage natürlich nicht. Aber auch dort nimmt Riße – und nicht nur er – eine aufgeheizte Stimmung wahr, die sich in den Umfragen zugunsten extremer politischer Parteien niederschlägt.
"Und wenn wir nach Griechenland gucken, dort sind die Parteien am extremen linken und rechten Rand auf dem Vormarsch. Die Faschisten dort, die vom Märchen von Auschwitz und Dachau sprechen, das muss man sich mal vorstellen, liegen in den Umfragen bei acht Prozent. Und die Stalinisten liegen in Umfragen ebenfalls bei acht Prozent. Das heißt, wer mit übertriebener Sparpolitik zu Werke geht, der gefährdet den sozialen Frieden."
Einen Königsweg aus der Krise kennt keiner, auch die Ideen des Buchautors Riße sind nicht mehr als Vorschläge. Die Warnungen der Ökonomen haben ebenfalls Gewicht: Wie Michael Heise von der Allianz kann sich auch David Milleker, Chefvolkswirt bei der Union Investment, mit der Idee einer künstlichen Inflation – befördert durch den Staatsleihenankauf der EZB - nur schwer anfreunden.
"Auf der einen Seite: Ja, es hilft beim Schuldenabbau. Auf der anderen Seite: Es hilft halt nicht, wenn die Inflation extrem anzieht und dadurch ein neuer Verunsicherungsfaktor auftritt. Also von daher: Die Zentralbank muss gucken, dass das Wasser nicht zu heiß und nicht zu kalt ist. Aber, nochmal: Ohne Europäische Zentralbank als Teil einer europäischen Krisenlösung wird es wahrscheinlich nicht gehen."
Sicher ist: Einfach wird es in keinem Fall. Eine Grundlehre der Volkswirtschaft zum Thema Inflation, die jeder Student schon in den Grundsemestern eingebläut bekommt, lautet: Wer mit der Inflation flirtet, muss sie auch heiraten. Noch nie in der Geschichte der Weltwirtschaft ist es gelungen, eine künstlich herbeigeführte Inflation zu beherrschen. Soweit die Gesetze der Wirtschaftslehre. Doch die scheinen längst schon pure Theorie. Denn eine Erfahrung, die an den Finanzmärkten derzeit auch fast täglich gemacht wird, lautet: Die alten Gesetze und Regeln gelten neuerdings nicht mehr.