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"Natürlich war es eine Korruptionsaffäre"

Er selber sei bei Siemens nicht mit Korruption in Berührung gekommen, sagt der ehemalige Vorstandsvorsitzende und Aufsichtsratschef, Heinrich von Pierer. Der Vergleich, bei dem er fünf Millionen Euro an Siemens zahlte, habe ihm und seiner Familie einen langwierigen Prozess erspart.

Heinrich von Pierer im Gespräch mit Gerwald Herter |
    Gerwald Herter: Mr. Siemens wurde Heinrich von Pierer genannt. 1969 wurde er Justiziar, 1988 Leiter des Unternehmensbereichs Energieerzeugung, 1992 Vorstandsvorsitzender und 2005 Vorsitzender des Aufsichtsrats, zweifellos eine glänzende Karriere. Doch 2007 trat von Pierer im Zusammenhang mit der Siemens-Korruptionsaffäre zurück. "Gipfel-Stürme" heißt seine Autobiografie, die er gestern vorgestellt hat, und jetzt ist er bei uns am Telefon. Guten Morgen, Herr von Pierer.

    Heinrich von Pierer: Guten Morgen!

    Herter: Herr von Pierer, in Ihrem Buch schreiben Sie von der "sogenannten Korruptionsaffäre" bei Siemens. Ging es gar nicht um Korruption, war es keine Affäre, oder ging es vielleicht auch gar nicht um Siemens?

    von Pierer: Nein, nein. Natürlich war es eine Korruptionsaffäre. Ich weiß nicht, wie Sie das jetzt im Zusammenhang da zitieren. Das war eine Korruptionsaffäre und da gibt es ja gar keinen Anlass, das auch anders auszudrücken.

    Herter: Siemens hat gegenüber der amerikanischen Börsenaufsicht eingeräumt, das ist in Ihrem Buch zu lesen, dass zwischen 1999 und 2006 zweifelhafte Zahlungen in Höhe von 1,3 Milliarden Euro geleistet wurden. Hatte Korruption bei Siemens also System?

    von Pierer: Ich glaube, dass zu dem Thema jetzt wirklich alles gesagt worden ist und auch wirklich von allen, und ich habe dazu Stellung genommen, so weit ich diese Dinge beurteilen kann. Was in Amerika gesagt worden ist im Rahmen eines Vergleichs, der dort geschlossen worden ist, das weiß ich auch alles nur aus der Zeitung. Also ich kann das jetzt weiter gar nicht kommentieren.

    Herter: Geht es nicht um Einzelfälle, Herr Pierer?

    von Pierer: Ich kann auch Einzelfälle nicht kommentieren, weil sie mir in der Weise nicht bekannt sind, meistens aus der Zeitung, und auch die Stellungnahme von Siemens, die drüben in den USA abgegeben worden ist, die ist mir ja nie zugänglich gemacht worden.

    Herter: Aber Sie haben ja sicher eine persönliche Auffassung. Ihrer persönlichen Ansicht nach, hatte Korruption System bei Siemens?

    von Pierer: Ich bedauere die Affäre, ich habe das mehrfach gesagt. Ich bedauere die ganzen Vorgänge. Ich kann auch das, was Sie zurecht als zweifelhafte Zahlungen ja bezeichnet haben – das ist ja offenbar auch die Terminologie, die Siemens da gebraucht -, ich kann das gar nicht weiter kommentieren, weil mir die Einzelheiten dieser Umstände nicht bekannt sind. Wie gesagt, im Wesentlichen aus Zeitungen und aus irgendwelchen Gerichtsurteilen, die ja auch veröffentlicht worden sind. Mehr kann ich dazu nicht sagen. Und ich meine, Sie haben in Ihrem Vorspann gesagt, ich hätte Schadenersatz geleistet. Also der Vergleich, der mit Siemens abgeschlossen worden ist, ist abgeschlossen worden, um einen streitigen Sachverhalt nicht vor Gericht auszutragen. Das wollte ich mir und meiner Familie in den nächsten sechs, acht Jahren nicht zumuten. Ich wollte aber auch, dass Siemens ein solcher Prozess erspart bleibt, was offenbar auch die Siemens-Meinung war. Das Wort Schadenersatz kommt in dem Vergleich nicht vor.

    Herter: Fünf Millionen Euro haben Sie gezahlt an Siemens. Das ist doch eine beträchtliche Summe!

    von Pierer: Ja, das ist eine beträchtliche Summe und es ist mir auch schwer gefallen, einen solchen Vergleich abzuschließen. Aber in meinem Alter die nächsten sechs, acht Jahre einen Prozess zu führen, so lange hätte der ganz bestimmt gedauert, gegen ein mächtiges Unternehmen, dem auch ganz andere Möglichkeiten zur Verfügung stehen als einer Einzelperson, das auch mit den Kosten eines solchen Prozesses ganz anders zurecht kommen kann als ich, das wollte ich wie gesagt mir und meiner Familie nicht zumuten, und ich wollte wieder ein selbstbestimmtes Leben führen, und das ist ja auch seit einem Jahr jetzt wieder der Fall.

    Herter: Schadenersatz, diesen Ausdruck weisen Sie zurück. War das eine Art Lösegeld?

    von Pierer: Wie Sie das jetzt kommentieren – ich meine, da können Sie jetzt viele Begriffe finden dafür. Es war eine Zahlung um einen streitigen Sachverhalt - und ich betone, es war ein streitiger Sachverhalt – nicht vor Gericht austragen zu müssen.

    Herter: 1969 wurden Sie Justiziar bei Siemens, später haben Sie, ich habe es erwähnt, den Unternehmensbereich Energieerzeugung geleitet. Wann sind Sie denn zum ersten Mal mit Korruption bei Siemens in Berührung gekommen?

    von Pierer: Ich bin selber gar nicht mit Korruption bei Siemens in Berührung gekommen und habe das ja auch in einem Interview in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" ganz deutlich gesagt, wo mir eine ähnliche Frage gestellt worden ist. In meiner Zeit, mir wurde nie von einem Kunden gesagt, er möge Geld haben, um einen Auftrag mit uns abzuschließen. Und das Buch, das ich geschrieben habe, über das Sie ja eigentlich auch mit mir reden wollten, behandelt ja natürlich auch die Korruptionsaffäre. Aber das Buch ist aus einem ganz anderen Motiv heraus geschrieben und ich habe ja diese Überlegungen, das Buch zu schreiben, schon vor fünf Jahren angestellt, habe dann diese Überlegung natürlich wieder zurückgestellt, weil diese Korruptionsaffäre dazwischen gekommen ist. Aber das Buch befasst sich mit einem Teil Industriegeschichte, deutscher Industriegeschichte.

    Herter: In Ihrem Buch, Herr von Pierer, schreiben Sie von "politischer Verantwortung", die Sie übernehmen. Siemens ist kein Staat, kein Bundesland, keine Kommune, ein Konzern. Was verstehen Sie in diesem Zusammenhang unter politischer Verantwortung?

    von Pierer: Ich glaube, das müssten Sie eher Ihre Kollegen in den Medien fragen. Ich selber habe auch immer wieder ein Problem, das Thema politische Verantwortung in der Politik, das da ja schon manchmal sehr weit gefasst wird, auf Unternehmen zu übertragen. Aber ich meine, das hat in der Diskussion gerade um die Korruptionsaffäre bei Siemens und um meine Rolle als Vorstandsvorsitzender und Aufsichtsratsvorsitzender eine große Rolle gespielt und man hat mir ja nahegelegt, die politische Verantwortung zu übernehmen. Aber ich würde das ähnlich sehen wie Sie und das Wort "politisch" in dem Zusammenhang eher in Anführungsstriche setzen.

    Herter: Schuldig fühlen Sie sich überhaupt nicht?

    von Pierer: Ich habe mehrfach nun gesagt, dass ich diese Affäre sehr bedauere, dass ich vor allem bedauere, dass da auch so viele Mitarbeiter in Mitleidenschaft gezogen worden sind. Ich habe einen Vergleich mit Siemens abgeschlossen und dabei einen streitigen Sachverhalt nicht ausgetragen. So ist die Situation.

    Herter: Glauben Sie, dass Siemens heute vor Korruption gefeit ist?

    von Pierer: Siemens hat ja erklärt, dass Siemens nur noch saubere Geschäfte macht, und ich glaube, dass das ein klares und eindeutiges Statement ist.

    Herter: Das war der Autor und frühere Siemens-Aufsichtsrats- und –Vorstandsvorsitzende Heinrich von Pierer im Gespräch mit dem Deutschlandfunk. Danke, Herr von Pierer.

    von Pierer: Danke sehr, Herr Herter.

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