In Ecuador hat die Natur bereits Verfassungsrechte. Das führte 2021 erstmalig dazu, dass dort Pläne zum Kupfer- und Goldabbau gestoppt wurden. Das Land führt damit eine weltweite Bewegung an, die das Existenzrecht der Natur verteidigen will.
Welche Rechte hat die Natur bisher in Deutschland?
1994 wurde die Staatszielbestimmung "Umweltschutz" in das Grundgesetz aufgenommen und 2002 um den Tierschutz ergänzt. So heißt es in Artikel 20a Grundgesetz: "Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung durch die Gesetzgebung und nach Maßgabe von Gesetz und Recht durch die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung." Somit versteht die Verfassungsordnung die Natur als ein Objekt, das bewahrt werden muss.
Diese Auffassung spiegelt auch die aufsehenerregende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom Frühjahr 2021 wider. Beim sogenannten Klimabeschluss hatten die Karlsruher Richter festgestellt, dass die Bundesrepublik nicht genug getan hat, um die selbstgesteckten Ziele beim Klimaschutz zu erreichen. Das Gericht sah dabei Menschen in ihren Rechten verletzt. Die Freiheit künftiger Generationen sei gefährdet, wenn der Klimaschutz nicht ernster genommen werde.
Das deutsche Rechtssystem ist also anthropozentrisch. Im Mittelpunkt steht der Mensch. Er ist Träger von Rechten, aber auch von ihm geschaffene Institutionen – juristische Personen wie Verbände, Unternehmen etc. – können Grundrechte haben. Das deutsche Rechtssystem sieht aber nicht vor, dass die Natur – also Flüsse, Tiere, Bäume, Seen etc. – Träger von Rechten ist und diese auch einklagen kann. Dann würde man von einem ökozentrischen Rechtssystem sprechen.
Wie sieht das Konzept der Natur als Rechtssubjekt aus?
Seit Jahrzehnten gibt es eine Diskussion darüber, der Natur den Status eines Rechtssubjekts zuzubilligen, zum einen aus ethischen Überlegungen heraus, zum anderen aus der Erfahrung heraus, dass selbst die Umweltgesetze, die bereits bestehen, oft nur schleppend umgesetzt werden.
Vertreter dieses Gedankens erhoffen sich also einen konsequenteren Umweltschutz. Auch weil das Konzept vorsieht, dass jeder und jede im Namen der Natur klagen kann. Dadurch kommt es, so die Hoffnung, zu einer breiteren Diskussion in der Gesellschaft über Umweltschutz einerseits und zu einer besseren Umsetzung der bestehenden Gesetze andererseits, weil jede und jeder zum Anwalt seines nachbarschaftlichen Ökosystems werden kann.
Der Vater des Konzepts: Christopher Stone
Als Vater des Konzepts, in dem die Natur als Rechtssubjekt festgeschrieben werden soll, gilt der 2021 verstorbene US-amerikanische Umweltschützer Christopher Stone. Sein 1972 veröffentlichter Text „Should Trees Have Standing?“ – sinngemäß übersetzt „Sollten Bäume klagen können?“ – wurde motiviert durch einen Rechtsstreit, der um ein Gletschertal in Kalifornien geführt wurde.
Die Naturschutzorganisation „Sierra Club“ klagte gegen die Pläne von „Walt Disney Enterprises“, dort ein Ski-Ressort zu errichten – mit dem Argument, die Erschließung des Tales würde irreparable Schäden verursachen. Das Bezirksgericht entschied, dass die Klage der Naturschutzorganisation nicht zulässig sei, weil deren Rechte nicht verletzt worden seien.
Der Fall landete schließlich vor dem US Supreme Court, der die Klage auch ablehnte. Allerdings stimmte einer der Richter, William O. Douglas, gegen seine Kollegen und sprach sich für die Idee von Stone aus.
Das Verbandsklagerecht als erste Folge der Bewegung
In den folgenden Jahren sollten noch weitere Naturschutzverbände ähnliche Klagen in den USA anstrengen, woraus schließlich 1978 das Instrument der Verbandsklage entstand. Ein Instrument, das es auch in Deutschland gibt. 2002 wurde das Klagerecht von der rot-grünen Regierung in einem Bundesgesetz geregelt und immer wieder erweitert. Das heißt, Vereine und Verbände haben die Klagebefugnis, nicht nur die Verletzung eigener Rechte geltend zu machen, sondern auch die Rechte der Allgemeinheit.
Doch Vertreter der Rechte für die Natur bemängeln, dass die aktuelle Gesetzeslage in Deutschland nicht ausreiche, um die Natur konsequent zu schützen. Der Soziologe Frank Adloff erhofft sich mit einer Neuregelung auch ein neues Verhältnis zur Natur, „weil tatsächlich hier immer wieder auch die Eigeninteressen natürlicher Entitäten berücksichtigt, abgeglichen werden müssen mit den menschlichen Bedürfnissen. Dann würde so etwas wie eine Waffengleichheit - juristisch gesehen - hergestellt werden können.“
Welche Länder gewähren der Natur Grundrechte?
Insbesondere in latein- und südamerikanischen Staaten wird der Natur bereits ein anderer Status zugesprochen als hierzulande. Nicht zuletzt indigene Traditionen spielen dabei eine Rolle. In Ecuador etwa wird die Natur mit "Pachamama" - "Erdmutter" - gleichgesetzt. Die "Erdmutter", in der sich das Leben realisiert und reproduziert.
Seit 2008 hat in Ecuador die Natur Verfassungsrechte, die kontinuierlich im Rahmen der Rechtsprechung ausgestaltet werden. Artikel 71 der ecuadorianischen Verfassung besagt, dass die Natur, die Pachamama, ein Recht auf Existenz, Erhalt und Regeneration hat. Dabei ist egal, ob es sich um ein Schutzgebiet handelt oder nicht. Es ist auch egal, ob es ein ganzes Ökosystem, ein Fluss oder auch nur ein einzelnes Tier ist. Und: Alle Bürger, Gemeinden und Nationen können im Namen der Natur diese Rechte vor Gericht einfordern.
Das führte 2021 erstmalig dazu, dass Pläne zum Kupfer- und Goldabbau im Land gestoppt wurden. Während der Präsidentschaftswahlen am 20. August 2023 entschieden die Einwohner außerdem über zwei Umwelt-Referenden. Sie stimmten klar für ein Ende der Erdölförderung in Naturschutzgebieten. Nach Auszählung von 98 Prozent der Wahlurnen stimmten fast 60 Prozent für den Schutz des Yasuní-Regenwaldes. Für den Schutz der Region Choco stimmten zu diesem Zeitpunkt 68 Prozent. Damit führt Ecuador eine weltweite Bewegung an, die das Existenzrecht der Natur verteidigen will.
In Europa ist Spanien Vorreiter. Im September 2022 wurde die Salzwasserlagune Mar Menor als eigenes Rechtssubjekt anerkannt und wurde so zum ersten Ökosystem in Europa mit eigenen Rechten.
Urteil erkennt Rechte der Natur an: Ist das wegweisend?
Verschiedene Initiativen in Deutschland wie das Netzwerk "Rechte der Natur" setzen sich dafür ein, dass auch die Natur juristische Rechte bekommt - und sich vor Gericht in Zukunft wehren kann. Bislang schien diese Idee wie eine ferne Vision. Das hat sich zuletzt geändert: Das Landgericht Erfurt entschied in einem Prozess zum Dieselskandal im Spätsommer 2024, dass durch die Manipulationen der Autokonzerne Natur geschädigt wurde, die durch europäische Abgas-Richtlinien geschützt sei. Das Gericht berief sich in seinem Urteil auf die Europäische Grundrechts-Charta und leitete aus ihr Eigenrechte der Natur ab. Der verklagte BMW-Konzern müsse mehr Schadensersatz an den Kläger zahlen.
Für den Rechtswissenschaftler Tilo Wesche ist das ein Urteil mit weitreichen Folgen. Er spricht von einem Paradigmenwechsel. Das Urteil des Landgerichts Erfurt führe etwas vor, was von jeder Rechtsprechung in Europa nachgeahmt werden könne, weil sich das Gericht eben auf höchststufiges Unionsrecht berufe. "Damit ist grundsätzlich möglich, so wie in Erfurt, dass in jedem EU-Mitgliedsstaat in Berufung auf die europäische Grundrechtecharta der Natur Rechte verliehen werden können“, so der Rechtswissenschaftler.
Verfechter, die für die Natur als Rechtssubjekt kämpfen, schöpfen aus dem Thüringer Urteil Hoffnung. Doch ob so ein Recht in Deutschland kommen wird, ist nach wie vor ungewiss.
Was spricht gegen die Idee der Natur als Rechtssubjekt?
Denn es gibt auch Kritiker der Idee der Natur als Rechtssubjekt. Katja Gelinsky, Juristin bei der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung, findet es richtig, dass das Rechtssystem in Deutschland anthropozentrisch ist. Nur Menschen seien Akteure. Dieses Kernprinzip könne man nicht einfach ändern, indem man weitere Rechte vergibt.
"Es ist immer der Mensch, der der Natur etwas zuteilt. Daran kommt man nicht vorbei", so Gelinsky. "Wenn man der Natur Rechte zubilligt, dann läuft das auf eine Fiktion hinaus. Da hätte ich die Sorge, dass man sich selbst täuscht."
Auch der Bonner Rechtsprofessor Klaus Ferdinand Gärditz sieht das Konzept kritisch. Er befürchtet vor allem, dass die grundgesetzlich garantierte Menschenwürde in ihrer Bedeutung gefährdet werde, wenn Rechte der Natur anerkannt würden.
Gärditz sieht darüber hinaus keinen praktischen Nutzen darin, wenn Verbände stellvertretend für Tiere, Pflanzen oder Biotope vor Gericht ziehen könnten. Das sei bereits heute über die Verbandsklage möglich.
Der Jurist sieht keinen Gewinn darin, wenn nicht "als Sachwalter eines Gemeininteresses", sondern als "Anwälte des Blaukehlchens" geklagt werde. "Diese fingierten Eigenrechte der Natur bewirken zunächst mal nichts, was jenseits einer vielleicht symbolischen Aufwertung irgendeinen Effektivitätsgewinn bringt“, so Gärditz.
ckr, Tobias Krone, Peggy Fiebig, Alisa Schröter