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Natura-2000-Gebiete
Schutz in Nord- und Ostsee nur auf dem Papier?

Die Bundesregierung hat 2004 zehn Meeresregionen in der Nord- und Ostsee als Natura-2000-Gebiete nach Brüssel gemeldet. Drei Jahre später gab die zuständige Europäische Kommission grünes Licht für die Gebiete - doch seitdem herrscht Stillstand bei den Schutzbemühungen.

Von Lutz Reidt |
    Am Nordseestrand an der Westküste von Dänemark nahe dem Ort Agger liegt ein Haufen vom Meer angespülter Fischernetze und Seile.
    Fischernetz an der Küste: Die Schutzziele seien nicht eindeutig definiert, monieren Kritiker. (picture alliance / dpa / Patrick Pleul)
    Gleich heißt es wieder: Krabben satt an Bord der Nordstrom 1! Carsten Noormann ist gut gelaunt. Der Fischer aus Norddeich hat in Sichtweite der Nordsee-Inseln Juist und Norderney den ersten Fangstopp eingelegt.
    "Ich meine, die Krabben sind wieder mehr geworden wie sie mal waren. Auch mehr verstreut. Früher, in den Sommermonaten hatte man sich hauptsächlich in der Küstennähe, aber mittlerweile sind sie in der ganzen Nordsee."
    Gemächlich schaukelt der Krabbenkutter mit grasgrünem Rumpf im Auf und Ab der sanften Dünung. Die Sonne brennt vom stahlblauen Himmel herab und lässt das Wasser glitzern. Es ist ein guter Tag für einen satten Fang. Im Grunde ist die Welt der Krabbenfischer in Ordnung. Dennoch ist ihre Freude getrübt. Und schuld daran sind - aus Sicht von Gerold Conradi - die Naturschützer:
    "Schieß den Menschen zum Mars und überlass der Natur die Natur! Ist so!"
    Auch Gerold Conradi ist Fischer - und er ist sauer - trotz guter Krabbenfänge. Seit 30 Jahren plagen sich die Fischer im Wattenmeer mit diversen Nationalparkverwaltungen herum, von Borkum im Westen bis Sylt im Norden. Und demnächst kommen auf der offenen Nordsee auch noch die sogenannten Natura-2000-Schutzgebiete hinzu. Insgesamt entsteht da ein Mosaik weitläufiger Schutzgebiete, das mehr als die Hälfte des deutschen Staatsgebietes in Nord- und Ostsee umfassen wird:
    "Natürlich soll die Natur geschützt werden. Sind wir alle einer Meinung. Wir leben alle davon. Aber die Fanggebiete schließen für uns, das geht nicht. Weil: Dann wird der Fischereidruck auf den anderen Stellen zunehmen. Jetzt ist die Flotte verteilt, an der ganzen Küste; haben wir aber diese geschlossenen Gebiete, dann wird sich alles auf weniger Stellen konzentrieren. Wir haben ja jetzt schon viele Gebiete, die für uns geschlossen sind, wo wir gar nicht hinkönnen. Sprich: Windparks, Kabeltrassen, Baggergebiete, Schüttstellen etc. Es sind so viele Gebiete, die für uns nicht mehr befischbar sind; und da jetzt noch diese Natura-2000-Gebiete hin? Das passt nicht."
    Zehn Meeresregionen als Natura-2000-Gebiete
    Den rechtlichen Rahmen für die Natura-2000-Gebiete liefert die Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie der Europäischen Union von 1992, kurz FFH genannt. Hier geht es darum, die natürlichen Lebensräume mit ihren wild lebenden Tieren und Pflanzen in einem zusammenhängenden Netz von Schutzgebieten zu erhalten. Deshalb hat die Bundesregierung im Jahr 2004 zehn Meeresregionen als Natura-2000-Gebiete nach Brüssel gemeldet.
    Einerseits sollen Seevögel, Meeressäugetiere und Fische geschützt werden - so etwa in der Pommerschen Bucht oder in den weitläufigen Seegebieten westlich von Sylt. Und andererseits auch international bedeutsame Lebensraumtypen, nämlich Sandbänke und Riffe auf dem Meeresgrund. In der Ostsee zählen die Oderbank und der Fehmarnbelt dazu. In der Nordsee sind es die Doggerbank sowie der Borkum-Riffgrund und das Sylter Außenriff.
    Das zuständige Bundesamt für Naturschutz bekam sehr viel Lob für diese ehrgeizigen Pläne - so auch vom Meeresbiologen Kim Detloff vom Naturschutzbund NABU:
    "Unbedingt. Das war eine richtige Entscheidung, dass sich diese Gebiete in Deutschland überlappen und man eben auch Kernzonen identifiziert hat: Lebensraumtypen - Riffe und Sandbänke - oder eben auch geschützte Arten, das sind in Deutschland vor allem auch die Meeressäuger gewesen: Seehund, Kegelrobbe, Schweinswal; oder Vogelarten wie Sterntaucher, Prachttaucher, Zwergmöwe, wo diese geballt kombiniert vorkommen; und diese Kernzonen gilt es eben auch zu schützen, auch vor menschlichen Eingriffen."
    Stillstand bei den staatlichen Schutzbemühungen
    Drei Jahre nachdem die Bundesregierung ihre zehn Natura-2000-Gebiete nach Brüssel gemeldet hatte, gab die Europäische Kommission grünes Licht dafür. Das war 2007. Doch seitdem herrscht Stillstand bei den staatlichen Schutzbemühungen. Naturschützer sprechen mittlerweile von "Paper Parks" - von Schutzgebieten ohne Schutz, die nur auf dem Papier existierten.
    Der Biologe Stephan Lutter vom WWF in Hamburg kritisiert, dass konkrete gesetzliche Vorgaben noch immer fehlten, damit zum Beispiel Schweinswale und Seevögel nicht mehr in Fischereinetzen ertrinken:
    "Es sind acht Jahre verflossen, ohne dass dort irgendeine menschliche Aktivität eingeschränkt wurde, schon gar nicht die Fischerei. Und deswegen haben wir einfach nach vielen Ansätzen bei der Bundesregierung, Lobbyarbeit zu betreiben, Überzeugungsarbeit bei Entscheidungsträgern, keinen anderen Weg mehr gesehen als eine Klage einzureichen gegen die Bundesverwaltung, die dafür zuständig ist."
    Ein Bündnis deutscher Umweltverbände hat unter Federführung des Deutschen Naturschutzrings beim Verwaltungsgericht Köln Klage eingereicht - gegen das Bundesamt für Naturschutz in Bonn, das dem Bundesumweltministerium zugeordnet ist. Zur Allianz der Kläger gehören unter anderem Greenpeace, der NABU, die Deutsche Umwelthilfe und der WWF.
    Unabhängig davon hat die EU-Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Deutschland eingeleitet. Der Grund: Die Bundesregierung hat eine wichtige Frist verstreichen lassen.
    "Die EU sieht vor, dass diese Gebiete sechs Jahre nach Anerkennung durch die Europäische Kommission einen effektiven Schutz erhalten haben. Das heißt, sie müssen nach Bundesnaturschutzgesetz umgesetzt sein; sie müssen Schutzgebietsverordnung aufweisen; und sechs Jahre danach wäre Ende 2013 gewesen; heute, anderthalb Jahre danach, haben wir diese Frist verpasst."
    Adressat des Vertragsverletzungsverfahrens ist zwar der Bund. Doch auch die Länder dürfen sich angesprochen fühlen, insbesondere Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern. Innerhalb der Zwölf-Seemeilen-Zone ist der Schutz in FFH-Gebieten Ländersache, so etwa im Greifswalder Bodden oder auch in der Wismarer und der Kieler Bucht. Bislang hat sich auch hier wenig getan.
    Für Stephan Lutter vom WWF besteht kein Zweifel: Bund und Länder seien längst keine Vorbilder mehr im europaweiten Naturschutz:
    "Genau das halten wir Deutschland vor: Auch wenn sie vorher Musterknaben waren bei der Ausweisung der Gebiete und die schnellsten; und auch die umfassendste Ausweisung gemacht haben - also: In einem Gebiet mehrere Schutzgüter kombiniert, was andere Staaten oft nicht tun, ist es jetzt eben so, dass Deutschland da links überholt wird, auf der Überholspur von anderen Staaten, die längst Fischereimaßnahmen in ihren marinen Natura-2000-Gebieten geprüft haben und bei der EU-Kommission beantragen. Dazu gehören Irland, Spanien, das Vereinigte Königreich; neuerdings auch Dänemark. Und bei uns herrscht Blockade."
    Wo sitzt die Blockade?
    Die Blockade gehe jedoch nicht vom Bundesamt für Naturschutz aus, betont Stephan Lutter. Das Amt wurde aus formalen Gründen verklagt, es ist eben zuständig für die Umsetzung der FFH-Richtlinie. Doch die eigentlichen Bremser säßen im Bundeslandwirtschaftsministerium und der zuständigen Fachbehörde, dem Thünen-Institut für Fischerei.
    Institutsleiter Christopher Zimmermann wehrt sich gegen die Vorwürfe: Die jeweiligen Schutzziele seien nicht eindeutig definiert. Die Fischerei in Bausch und Bogen aus den Natura-2000-Gebieten zu verbannen, hält er für falsch.
    "Wenn es das Schutzziel ist, die Struktur des Meeresbodens zu erhalten, dann muss man natürlich sehen, dass man keine bodenberührenden Fanggeräte zulässt; dann könnte man aber letztlich Langleinen oder Stellnetze, die den Boden fast überhaupt nicht berühren, weiter zulassen; wenn es darum geht, Seevögel zu schützen in den Natura-2000-Gebieten, dann muss man natürlich Fangmethoden vermeiden, die anerkanntermaßen gelegentlich Seevogel-Beifänge haben; dann könnte man aber auch eine Grundschleppnetzfischerei dort weiter durchführen, weil es nie Seevogelbeifänge in Grundschleppnetzfischereien gibt."
    Christopher Zimmermann plädiert dafür, jene Fangmethoden in den Natura-2000-Gebieten weiterhin zu ermöglichen, die dem jeweiligen Schutzziel nicht zuwider laufen. Hinter den Kulissen arbeiten die Referenten beider Ministerien - Umwelt und Landwirtschaft - an der Schutzgebietsverordnung. Der Fischereibiologe beschwichtigt und hofft, dass im nächsten Jahr klar sein wird, was Fischer in den Natura-2000-Gebieten jeweils dürfen und was nicht.
    An Bord seiner "Nordstrom 1" hat Krabbenfischer Carsten Noormann damit begonnen, seinen Fang in einer Trommel zu sortieren. Die größeren Krabben verschwinden in einem mattsilber schimmernden Kocher:
    "Ja, dadurch werden Sie ja haltbarer gemacht; und die müssen ja auch gekrümmt sein; die werden ja in kochendem Wasser Ruckzuck gekocht, daher die Krümmung, und auch wegen der Haltbarkeit. Und dann werden sie noch mal nach Größen sortiert, und zuletzt von Hand noch mal ausgelesen, kleine Muscheln und so was, die dazwischen sind; und dann sind sie eigentlich zum Verzehr fertig. Die Qualität ist sehr gut. Schöne, große Krabben, so wollen wir die haben."
    Um diese Krabben zu fangen, hatte die Nordstrom zuvor ihre "Schwingen" ausgefahren: Knapp zehn Meter lange Ausleger zu beiden Seiten, an denen die Fangnetze seitlich ins Wasser tauchen und über den Meeresgrund gleiten.
    Naturschützer kritisieren, dass die Kufen, auf denen so ein Fanggeschirr über den Meeresboden rumpelt, alles kaputtmachten, was da unten lebt. Demzufolge hätten Krabbenkutter in Natura-2000-Gebieten nichts zu suchen - zumindest nicht dort, wo Sandbänke und Riffgründe zu schützen seien. Doch Fischer Gerold Conradi wehrt sich:
    "Wir haben ein Rollengeschirr, das geht ganz sanft über den Meeresboden, wir dringen überhaupt nicht in den Meeresboden ein. Und viele Schiffe haben jetzt auch schon angefangen, die Kufen umzubauen auf Rollen. Das heißt, wir reduzieren da auch die Bodenberührung um über 80 Prozent. Da haben wir schon wissenschaftliche Berichte drüber. Das belgische Forschungsinstitut hat da einen Report gemacht, der liegt auch vor und die Bodenberührung haben wir um über 80 Prozent zurückgefahren."
    Durch leichtere Fanggeräte sparen die Krabbenfischer auch Sprit und damit bares Geld. Mehr Probleme haben die Plattfisch-Fischer beim Fang von Seezunge und Scholle. Hier sind es tonnenschwere sogenannte Baumkurren, die das Netz offen halten und dabei den Meeresboden durchpflügen. Schwere Metallketten scheuchen die Plattfische auf. Und beim Fang von Kabeljau und anderen Fischen in Bodennähe kommen Grundschleppnetze zum Einsatz. Übermannshohe Scherbretter aus Stahl spannen zu beiden Seiten die Netze auf. All diese Fanggeräte hinterließen Spuren auf dem Meeresboden, kritisiert der Biologe Rainer Froese vom Helmholtz-Zentrum GEOMAR in Kiel:
    "Es gibt so Zahlen: Bestimmte Stellen in der Nordsee, in der Deutschen Bucht, werden bis zu 20 Mal pro Jahr mit so einem Grundschleppnetz befischt; überall da, wo regelmäßig Grundschleppnetzfischerei betrieben wird, da ist im Grunde keine nachhaltige Struktur mehr da. Es werden zu Beginn der Saison oder wenn man in ein neues Gebiet reingeht schwere Ketten eingesetzt, sodass man sich seine Schleppstrecken freilegt. Und durch GPS haben wir heute eine so genaue Positionierung, dass wenn ich eine solche Strecke freigelegt habe, kann ich die exakt wieder befahren."
    Fischerei-Kritiker fordert schonendere Fangmethoden
    Nach Ansicht von Rainer Froese sind solche Grundschleppnetze Auslaufmodelle. Der Fischerei-Kritiker fordert schonendere Fangmethoden, die dann auch in Natura-2000-Gebieten zum Einsatz kommen dürften:
    "Wenn das kommt, müssen wir davon ausgehen, dass nicht das gesamte Gebiet geschlossen wird, sondern dass man verschiedene Zonen einteilen wird, in denen auch weiterhin Fischerei stattfinden darf. Solche Fischerei wird anders sein als heute, sie wird schonender sein, weil wir ja von einem Naturschutzgebiet sprechen, aber nach wie vor wird es da Fischerei geben; zum Beispiel mit Fallen oder mit Leinen oder Ähnlichem."
    Auch die Naturschutzverbände wollen die Fischerei nicht vollständig aus den Natura-2000-Gebieten verbannen. Die Verbände-Allianz fordert allerdings, dass mindestens die Hälfte der Gebiete verschont wird von jeglichen Entnahmen: Sei es Öl oder Gas, Kies oder eben auch Fisch.
    Und der Fisch, der in den Schutzgebieten durchaus mit schonenden Methoden gefangen werden darf, soll dann auch der kleinen Küstenfischerei vorbehalten bleiben, meint Kim Detloff vom NABU:
    "Die Umweltverbände wollen die Fischerei nicht abschaffen. Und wir sehen auch gerade in der handwerklichen, familiengeführten Fischerei die Zukunft. Aber auch dort gibt es eben ökologische Probleme, die wir in den Griff kriegen müssen."
    Diese handwerkliche Fischerei in der Ostsee setzt vor allem auf Stellnetze. Mehr als 90 Prozent der Fischer fangen damit Hering und Dorsch, Butt und Flunder - aber leider auch Seevögel. Und manchmal sogar Schweinswale, die sich darin verfangen.
    Thomas Koldevitz ist Boddenfischer. Um halb vier Uhr morgens hat er den kleinen Hafen von Gager auf Rügen verlassen. An der Südostspitze der Insel vorbei steuert er seinen Kutter "Seeadler" Richtung Süd-Süd-Ost, durch eine finstere, mondlose Nacht, hinaus auf den Greifswalder Bodden.
    Seine Stellnetze stehen rund eine Stunde entfernt. Wie Gardinen schweben sie senkrecht unter der Wasseroberfläche, hunderte Meter lang und bis in gut vier Meter Tiefe. Darin verfangen sich nur Heringe und sonst nichts, sagt Koldevitz. Keine Schweinswale und keine Robben:
    "Wenn ein Schweinswal da ´reinkommt, in den feinen Netzen, die wir haben - wenn der sich mal verheddern sollte, der reißt sich ja ´raus. Auch eine Robbe: Die geht da dran und pflückt sich was ab, die sind ja so vorsichtig, die verhaken sich gar nicht da drin. Also, das passiert nicht. Im Netz selber, da passiert gar nichts."
    Forschungen haben bestätigt: Schweinswale verfangen sich eher in den grobmaschigen Stellnetzen der Dorschfischer, draußen in der Ostsee. Das Beifang-Problem der Heringsfischer im Greifswalder Bodden sind dagegen tauchende Seevögel - aber nur hin und wieder könne das passieren, beteuert Thomas Koldevitz:
    "Natürlich kann das passieren. Es kann auch passieren, dass mal ein Reh vors Auto läuft. Oder ein Wildschwein, oder sonst was. Das kann alles passieren; aber wir setzen ja nicht, um Vögel totzumachen; wir setzen einfach da, um Fisch zu fangen und um zu überleben. Um unsere Familien zu ernähren - darum geht es doch eigentlich. Das gab es früher schon mal, dass da ein Vogel auf dem Netz war, das ist alles richtig; ich sage ja auch nicht, dass es nicht stimmt, aber wir bringen hier nicht zigtausend Vögel um, das stimmt nicht."
    Seevögel und Stellnetze
    20.000 Seevögel sollen jedes Jahr in den Stellnetzen ertrinken, besagt eine Studie des Bundesamtes für Naturschutz aus dem Jahr 2011. Eine unzulässige Schätzung, eine grobe Hochrechnung, die auf einer unzulänglichen Datengrundlage beruhe, kritisieren die Fischer. Dass die Zahl übertrieben sei, möge zwar stimmen, aber schuld daran seien nicht die Forscher, beteuert Kim Detloff vom NABU:
    "Das liegt daran, dass nicht alle Fischer bereit waren, Beobachter mit an Bord zu nehmen, die wirklich Beifang charakterisieren können; insofern hat man mit wenigen Fischern zusammengearbeitet, hat diese Zahlen hochgerechnet; und jetzt wird diese Studie kritisiert von Seiten der Fischerei, die sich der Zusammenarbeit verweigert hat; und das ist leider eine Situation, mit der wir seit Jahrzehnten kämpfen, dass alleine die Fischerei diese Daten über Fischereiaufwand besitzt: Wo wird mit welchem Gerät wie viel gefischt? Und welchen Beifang gibt es? Sie teilen diese Daten nicht, kritisieren aber jegliche Form von Schätzungen. Das ist eine Sackgasse, aus der wir unbedingt herauskommen müssen."
    Christopher Zimmermann vom Thünen-Institut sieht das ähnlich. Gemeinsam mit dem WWF hatten die Forscher ein weiteres Projekt begonnen: Mit Kameras an Bord von Boddenfischern haben sie versucht, das Ausmaß des Seevogelbeifangs zu dokumentieren. Das Problem ist nur, dass der Videoversuch nicht lange genug lief, um die Ergebnisse seriös hochzurechnen. Der Versuch wurde abgebrochen, weil die Fischer nicht mehr bereit waren, sich beim Fang filmen zu lassen. Pech für die Forscher. Aber auch Pech für die Fischer! Christopher Zimmermann ist in der Natura-2000-Diskussion eigentlich aufseiten der Fischer, doch jetzt fehlen ihm belastbare Daten. Und damit auch die Argumente, um den Fischfang mit Stellnetzen in Schutzgebieten zu rechtfertigen:
    "Nach Vorsorgeansatz muss man leider sagen: Wenn es keine belastbaren Daten gibt, dann muss man annehmen, dass das Schlimmste passiert und dann natürlich die Fischerei ausschließen. Das heißt: Die Fischerei hat aus unserer Sicht ein starkes Eigeninteresse nachzuweisen, dass die tatsächlichen Seevogel-Beifänge viel geringer sind als man im schlimmsten Fall annehmen kann. Und da ist jetzt die Frage: Wie weist man das nach? Und wir haben eine Methode entwickelt, mit der man das vernünftig nachweisen kann. Und je länger man wartet, desto später erzielt man diese Ergebnisse."
    Thomas Koldevitz hat mit seiner Seeadler die Stellnetze im Greifswalder Bodden erreicht. Über eine mannshohe Winde an der Backbord-Seite saust das lang gezogene, orangefarbene Netz aufs Vorderdeck, silbergrau schimmernde Heringe zappeln jetzt auf den Planken. Vögel haben sich nicht im Netz verfangen:
    "Haste ja gesehen: Nicht einer! Weder Seevogel noch untermaßige Fische im Heringsnetz. Das ist eindeutig, dass kaum Vögel in den Netzen sind."
    Zumindest heute nicht. Es ist aber auch nicht die Zeit des Vogelzuges; im Frühjahr kann das anders aussehen.
    Die "Seeadler" nimmt Kurs stramm nach Nord, zurück nach Gager. Im Gegenlicht der Morgensonne ist das Kliff am Zickerschen Höft zu erkennen, ein markanter Sandsteinfelsen im Südosten von Rügen.
    "Und jedes Mal siehst du das, wenn wir ein bisschen mehr Regen haben, dann bricht immer viel ab. Das spült dann aus, und irgendwann fällt das von oben ab. Und die Bäume, die dann genau an der Ecke stehen, an der Kante - das bricht dann runter. Es ist die letzten 20 Jahre sehr viel abgegangen, also abgebrochen. Das Wasser holt sich schon das, was es braucht vom Land. Da kann man machen, was man will. Die Welt wird kleiner."