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Naturschützer und Grenzöffner

Thüringer und Franken sprechen zwar unterschiedliche Mundarten, haben aber vieles gemeinsam: jahrhundertealte Traditionen wie die Porzellan- und Glasherstellung, die Wein- und Bierkultur sowie eine Schwäche für gebratene Würste, fürs Wandern und die Blasmusik! Für Jahrzehnte kappte die innerdeutsche Grenze zwischen DDR und Bundesrepublik Straßen und Zugverbindungen, Handels- und Wirtschaftskontakte und trennte Familien und Freunde.

Von Anke Pieper |
    Wo die Feriengebiete Thüringer Wald und Frankenwald aufeinandertreffen, liegt heute neben Harz und Elbtal eine von drei deutschen Modellregionen des Grünen Bandes. 20 Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs sorgen Touristiker und Naturschützer gemeinsam dafür, dass Reste der Grenzanlagen wie auch seltene Biotope erhalten und Besuchern mithilfe von neuen Wanderrouten und Themenwegen erlebbar gemacht werden.


    Es ist früher Morgen auf der Grenze zwischen Thüringer Wald und Frankenwald. Tau durchnässt die Hosenbeine. Die robusten Lochbetonplatten, über die der Weg läuft, haben das DDR-Regime überdauert und sehen aus, als könnten sie noch ein paar Jahrzehnte halten.

    Der Biologe Stefan Beyer von der Ökologischen Bildungsstätte Mitwitz ist oft hier unterwegs. Er ist seit Jahrzehnten bestens vertraut mit Fauna und Flora in der Region. Der Naturschützer lauscht aufmerksam dem Gesang der Vögel, späht durchs Fernglas, zückt dann sein Palmtop, und es ertönt eine Audiodatei.

    "Das ist der Fitis, das ist ein relativ kurzer Gesang, der in der Tonhöhe abfällt, der kurz ist, melodisch. Man hört ihn im Bereich von Bäumen und Gebüschen, am Waldrand, der freien Feldflur und auch hier im Grenzstreifen ist der Fitis eine recht häufige Vogelart. Ziäziäziä, das ist der Baumpieper... ein typischer Vogel der Waldränder und der halb offenen Kulturlandschaft, jetzt hören wir ihn wieder , ziäziäziä, er ist inzwischen in einige rote Listen aufgenommen. "

    Stefan Beyer entdeckt bald darauf ein Braunkehlchen auf einem Baum. Doch es bleibt stumm und fliegt davon. Das Braunkehlchen ist so etwas wie das "Symboltier" des Grünen Bandes. Der unscheinbare Vogel schätzt die von Grenzern geschaffenen waldfreien Brachen. Neue Straßen, Landwirtschaft und der wieder vorrückende Wald engen ihn erneut ein. Die Naturschützer kämpfen deshalb zäh um den Erhalt von Magerrasen und Zwergstrauchheide. Eine große Zahl stark gefährdeter Tier- und Pflanzenarten lebt in solchen Biotopen am Grünen Band, bisher stehen allerdings nur Teile davon unter Naturschutz. Rund 500 Meter war der eigentliche Grenzstreifen mit den Grenzanlagen breit. Dahinter verlief ein bis zu fünf Kilometer breites Sperrgebiet, das nur unter strengen Auflagen betreten werden durfte.

    Vom Patrouillenweg aus kontrollierten DDR-Grenzsoldaten Zäune, Hundefreilauf, Lichtsperren, Minenfelder und Selbstschussanlagen. Vom Wahnsinn der gegen die eigenen Bürger gerichteten Todesfallen ist fast nur noch dieser harmlos wirkende Weg geblieben - und die Erinnerung der Zeitzeugen.

    Urlauber können auf markierten Wander- und Radtouren an Orte mit jeweils ganz eigener Wende-Geschichte gelangen. Die Touren folgen nicht stur dem Grenzverlauf, sondern mäandern von hüben nach drüben. Unterwegs lernt man, wie die Grenzöffnung außerhalb Berlins verlief. Zwar konnten DDR-Bürger ab dem 9. November 1989 an Grenzübergängen passieren. Die Grenze bestand jedoch, wie die beiden deutschen Staaten, zunächst weiter und wurde auch weiter bewacht. Wer auf die andere Seite wollte, musste große Umwege auf sich nehmen. Die Ungeduld vor allem bei den Bewohnern des Sperrgebiets wuchs. Erich Eckart aus Heinersdorf bei Sonneberg erzählt, wie bei ihm in Dorf die Grenze noch im November durch eine Demonstration geöffnet wurde.

    "In Berlin war das ja bekanntlich am 9. November, bei uns hier hat sich da noch gar nichts getan. Die offiziellen Übergänge in Probstzella und so waren geöffnet. Bei uns hat sich noch gar nichts bewegt. Wir haben dann am 19. November organisiert, dass wir hier die Grenze zwar nicht mit Gewalt, aber mit sanftem Druck öffnen."

    Erich Eckhart ist 1940 geboren und hat sein ganzes Leben im Sperrgebiet verbracht. Er hat in einer LPG gearbeitet und musste auf seinen Fahrten zwischen Äckern, Vieh und Ställen im Sperrgebiet seinen Ausweis täglich mehrmals den immer gleichen Grenzsoldaten vorlegen. Für den 19. November 1989 nachmittags um 14 Uhr verabredete er sich mit anderen aus dem Dorf. Auch die Musikkapelle kam. Hunderte Dorfbewohner marschierten auf die Grenze los. Die Kapelle spielte und von der anderen Seite der Mauer, aus Pressig, hörte man ebenfalls Musik. Die schwer bewaffneten Grenzsoldaten bildeten eine Kette vor den Grenzanlagen, um sie zu schützen und warteten nervös auf einen Befehl.

    "So ging's dann weiter. 'Aufmachen! Aufmachen!' - Musik hüben, Musik drüben. Das war Wahnsinn! Die Musik ist immer weiter gegangen. Um 15:08 Uhr ist diese Grenze geöffnet worden. Das war nicht so einfach, wie es sich jetzt anhört. Da war die Stasi, das ging hin bis zu Morddrohungen. Keiner hat gewusst, wie es endet. Das war nicht so, wie man das jetzt so dahinredet, so schön."

    In Heinersdorf bestand die Grenze nicht aus Zäunen, wie außerhalb Berlins sonst zumeist, sondern aus einer Mauer, die jeglichen Sichtkontakt mit den bayerischen Nachbarn unterbinden sollte. Erich Eckart wollte die Mauer offen haben, aber ganz verschwinden sollte sie nicht, sondern als Mahnmal bleiben. Der Zeitzeuge engagiert sich heute in einem lokalen Geschichtsverein, er erzählt Schülern und Reisegruppen vom Leben an der Grenze. - Und in Heinersdorf blieben - eingeklemmt zwischen dem neuen Gewerbegebiet und der Straße - tatsächlich noch 33 Meter Mauerrest von ehemals 750 Metern stehen.

    Einige Kilometer weiter auf einer Passhöhe steht das Naturpark-Informationszentrum Spechtsbrunn. Ute Baumfelder leitet es und begrüßt die Besucher auf dem Vorplatz mit Blick auf eine Straßenkreuzung und einen Wegweiser mit zahlreichen Wanderzielen.

    "Wir stehen hier an einem Punkt, wo wir vor 20 Jahren erschossen worden wären, denn hier oben verlief die innerdeutsche Grenze.

    Wir befinden uns hier am Standort Kalte Küche, das ist ein überlieferter Name, Kalte, das kommt aus dem Fränkischen, das bedeutet Grenze, Kochel - Kapelle, hier stand mal eine Kapelle, bis zu Zeiten von Martin Luther. Hier oben ging mal eine bedeutende Heer- und Handelsstraße entlang, eine wichtige Verbindung zwischen Nord und Süd, nämlich zwischen den großen Handelsstädten Nürnberg und Leipzig und dort hat sie auch jeweils geendet. Wir sind hier genau 696 Meter hoch.

    Wir stehen hier sozusagen immer noch auf Grenzgebiet, denn hier oben verlaufen die Landkreisgrenzen zwischen dem Landkreis Sonneberg in diese Richtung, dem LK Saalfeld-Rudolstadt und Landkreis Kronach, die beiden Freistaaten Bayern und Thüringen grenzen unmittelbar aufeinander.

    In unserem Zentrum sind gleich drei Naturparks vertreten: Naturpark Thüringer Wald, Frankenwald/Obere Saale, und Naturpark Frankenwald."

    Wir begeben uns mit zwei Zeitzeugen auf den Rennsteig, einen Kult-Weg deutscher Wanderfreunde. Ein Teil des Rennsteigs lag auf der Grenzlinie oder im Sperrgebiet und war nicht begehbar.

    Ein fränkisch-thüringisches Freundespaar, Falk Wick aus Tettau und sein Thüringer Freund Wolfgang Wiegand erinnern sich an die Zeit kurz nach der Wende, als Abschnitte des Rennsteigs zunächst gesperrt blieben. Erst ab dem 1. Juli 1990 hatte die Grenze zwischen DDR und Bundesrepublik mit dem Eintritt der Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion endgültig ausgedient. So lange warteten die beiden nicht ab.

    "Mein Name ist Wolfgang Wiegand, ich bin Jahrgang 1948, bin in Hasenthal geboren, war ein echtes Kind des Sperrgebietes, hab immer sehnsüchtig runtergeschaut nach Tettau. Hier war der Sicherungszaun und ein elektronisch gesichertes Tor. Der freigewordene Rennsteig hatte noch einen Umweg über Kleintettau, das hat uns gestört, da hatten wir eine Wandergruppe, da haben wir den direkten Weg freigemacht. Aber das soll der Falk Wick erzählen, denn der Falk Wick von bayerischer Seite war überall dabei. Wir sind gleich nach der Grenzöffnung Freunde geworden."

    "Mein Name ist Falk Wick, ich komm aus Tettau, das ist die bayerische Seite. Die Grenzöffnung habe ich zu Hause erlebt. Wir konnten es abends gar nicht glauben. Wir waren ganz überrascht. Ich hatte dann vom 10. November um 5 Uhr 45 früh die ersten drei Personen bei mir in der Wohnung, bis zum 30. März 1990 hatte ich genau 600 Personen bei mir in der Wiederholung aus Thüringen und Sachsen. Und das waren so tolle Erlebnisse. Und einer der Ersten war Wolfgang Wiegand. Und wir haben bei mir im Wohnzimmer besprochen, wir könnten ja hier den Grenzübergang von Hasenthal nach Tettau, den sogenannten Glasmachersteig, öffnen."

    Die Wanderung führt von der Passhöhe in einen schönen Laubwald und dann an eine große Weide, auf der Rinder träge in der Sonne liegen. Teile eines Grabens sind zu sehen, es ist der ehemalige KFZ-Sperrgraben, der das Durchfahren der Grenze hier an der Schleifenwiese verhindern sollte.

    Im April 1990 war das Grenzregime schon mürbe geworden, sodass die Wandergruppe den Zaun aufschneiden, den Kfz-Sperrgraben zuschütten und unbehelligt die Grenze überschreiten konnten. Die Minen waren in diesem Abschnitt schon vor 1989 geräumt worden.

    "An diesem Graben, der ziemlich tief war, haben wir den Zaun durchschnitten, haben Bretter und Hölzer rangefahren, damit die Leute hier herüberkönnen. Dann sind wir von Bayerischem Gebiet rüber nach Thüringen. ...habe ich zusammen mit dem Herrn Wiegand die Grenze durchschnitten."

    Der Weg wurde nach den Glasmachern benannt, weil die Glasmacherei in dieser Gegend ebenso wie die Porzellanherstellung eine lange Tradition und bis heute wirtschaftliche Bedeutung hat.

    "Wenn mich Leute gefragt haben nach Tettau, wo liegt das und was ist das für ein Ort, wenn es eine Dame war, dann habe ich gesagt, würden sie so gut sein und ihre Handtasche einmal aufmachen und nehmen die Parfümflasche heraus und drehen sie um. Auf dem Boden steht dann wahrscheinlich entweder TG für Tettau Glas oder CAH für Carl August Heinz, weil 95 Prozent der Flakonflaschen von ganz Deutschland wurden hier in der Großgemeinde Tettau hergestellt. Seit 1661 besteht hier die Glashütte in Kleintettau. Deshalb gibt es auch den Glasmachersteig."

    Mit dabei auf der Wanderung ist wiederum der Biologe Stefan Beyer, der nun auf eine Senke zeigt.

    "Hier sehen wir ein Feuchtgebiet im Grünen Band, momentan sieht man sehr schön das Wollgras fruchten, das scheidige Wollgras, das in sehr nassen Feuchtwiesen und Flachmooren vorkommt, macht einen besonderen Wert aus für den Naturschutz. Es hat sich noch eines dieser Moor-Restchen erhalten. Wir haben da eine ganze Reihe von seltenen Arten festgestellt, bei Reptilien wurde hier Kreuzotter, Schlingnatter gefunden, als gefährdete Reptilienarten. Wir haben jetzt auch im Rahmen vom Erprobungs- und Entwicklungsvorhaben 'Erlebnis Grünes Band' nachgeschaut, welche Arten sind da, die wir jetzt erleben können. Wir haben einige Vogelarten bestätigen können, wie den Wiesenpieper oder die Heidelerche, haben bei Tagfaltern den Sumpfwiesenperlmuttfalter gefunden und auch die Sumpfschrecke kommt hier noch vor."

    Es ist später Nachmittag. Wir haben einen kleinen Ausschnitt der Landschaften erkundet, die das Grüne Band verbindet und Menschen getroffen, die sich dafür engagieren. Wir sind etliche Male zwischen Thüringen und Bayern hin- und hergewechselt, manchmal ohne dies zu bemerken. Nach Nadel- und Mischwald geht es jetzt hinaus auf eine große Wiese, durch die sich gemütlich plätschernd ein Bach schlängelt. Naturschützer sorgen dafür, dass sich das Braunkehlchen, das Symboltier des Grünen Bandes, hier in Zukunft noch wohler fühlt.

    "Wir sind noch in Bayern, laufen allerdings jetzt Richtung Thüringen. Zur Grenze sind es jetzt noch 200, 300 Meter. Hier ist so ein kleiner Bachlauf mit umgebenden Feuchtwiesen, kleineren Niedermoorstandorten. Momentan blüht die Sumpfdotterblume hier am Bach. Ein Teil der Fichtenbestände wird vom Landschaftspflegeverband Frankenwald entfernt, um Vernetzung herzustellen hier an diesen Feuchtwiesenparzellen...das ist auf bayerischer Seite hier schon recht gut gelungen, auf Thüringer Seite setzt sich das dann fort...um das Grüne Band auch für das Braunkehlchen, diese wiesenbrütende Vogelart wieder attraktiver zu machen."

    Der Tag klingt einige Kilometer weiter nördlich aus mit einem Panoramablick auf Berge, Wälder und Grünes Band. In einem kleinen Ort, der für Jahrzehnte vor allem durch seinen Grenzbahnhof bekannt war: Probstzella.

    Die 3500 Einwohner blickten knapp 40 Jahre auf die Grenzanlagen am Berghang vor ihnen. Heute verläuft dort eine grüne Narbe. Der letzte intakte DDR-Grenzbahnhof wurde vor wenigen Monaten abgerissen. Nach Probstzella kommt man heute, um das "Haus des Volkes" zu sehen. Dieses denkmalgeschützte, sechsstöckige Kultur- und Veranstaltungszentrum aus den 20er Jahren hat der Probstzellaer Dieter Nagel 2003 mit Partnern ersteigert und detailgetreu restaurieren lassen:

    "Das ist ein ganz besonderes Gebäude, das größte Bauhaus-Denkmal Thüringens, vielleicht das einzige, das so im Grünen liegt 1925 ist der Bauantrag eingereicht worden für dieses Objekt, 1927 im Mai war die Einweihungsfeier."

    Das "Haus des Volkes" wird heute wieder ähnlich genutzt wie vor 80 Jahren, ein großer Saal bietet bis zu 1000 Personen Platz. Restaurant und Café liegen in der obersten Etage. In den Stockwerken darunter befinden sich ein Hotel im Bauhausstil und eine sehenswerte Ausstellung zum Grünen Band. Dieter Nagel deutet vom Fenster aus auf Berge, Wälder und die alte Grenzlinie und schaut dann auf die Bahnhofstraße herunter, einem Schauplatz der Grenzöffnung im November 1989.

    "Das war wie für alle DDR-Bürger ein ganz besonderer Tag, ne ganz besondere Erfahrung, ne ganz besondere Stimmung, die bis heute noch nicht ganz verklungen ist. Das waren riesige Schlangen von Trabis, Wartburgs, Skodas und Moskvichs hier durch Probstzella. Über den Straßen sind Dampfwolken aufgestiegen. Aber das hat niemanden gestört. Dieses Ereignis, diese Grenze nach so vielen Jahren wieder verschwinden zu sehen, das hat alle entschädigt für die Strapazen. Man konnte die Straße ja zu Fuß fast nicht mehr überqueren. Und das von früh bis spät abends und das wochenlang."
    Grünes Band
    Grünes Band (Grünes Band)