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Naturschutztagung
Umweltrecht und Öko-Bluffs

Deutschland rühmt sich, im Umweltschutz besonders streng zu sein. Doch Kritiker sprechen von "Öko-Schummelei" durch Unternehmen oder gar von der "Ära des Öko-Bluffs". Auch auf den Bodensee-Naturschutztagen, einer großen Fachtkonferenz ehrenamtlicher Naturschützer, war die Durchsetzung von Umweltrecht ein Thema.

Von Thomas Wagner |
    Wo ist sie geblieben, die reine Luft in Deutschlands Städten?
    "Heute sind die NO2-Grenzwerte von Dieselmotoren so niedrig, dass eigentlich Stickoxid-Probleme nicht mehr auftauchen sollten, dass Umweltzonen entbehrlich werden müssten. Die Realität ist, das sehen Sie am Straßenbild von Stuttgart, ist die, dass Sie gerade bei Stickoxiden eine ganz hohe Konzentration an den Verkehrsadern haben."
    Wie kann das zusammengehen - hier die niedrigen Grenzwerte für Motoren, dort der hohe Schadstoff-Ausstoss derselben Motoren? Jürgen Resch, Geschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe, kennt die Antwort:
    "Die Automobilindustrie hält diese Grenzwerte ein, aber nur in der 20-minütigen Prüfung."
    Und keineswegs im regulären Fahrbetrieb. Da sieht es nach einer aktuellen Untersuchung des "International Council on Clean Transportation" ganz anders aus:
    "Die haben die allerneusten Diesel-Pkw aus neuester Fertigung untersucht und kommen zu einer 600-fachen Überschreitung der Grenzwerte im Realbetrieb. Das sehen wir als Betrug am Bürger an", ohne dass, so Jürgen Resch, Umweltbehörden in irgendeiner Form darauf reagierten.
    Eine, sagt Chef der Deutschen Umwelthilfe, "Öko-Schummelei" erster Güte. Und davon kann er Dutzende aufzählen. Zum Beispiel die Geschichte jener Supermarktketten, die angeblich komposttierbare Plastik-Tüten auf den Markt gebracht haben.
    "Wir haben das entsprechend verfolgt und nachgewiesen, dass sich diese Kunststoffe genauso wenig abbauen wie die anderen Plastiktüten. Die dauern Jahrzehnte."
    "Ära des Öko-Bluffs"
    Ganz abgesehen von Schummeleien großer Autohersteller, die nach den Erkenntnissen der Deutschen Umwelthilfe mit viel zu niedrigeren Benzin-Durchschnittswerten werben, ganz abgesehen auch von jenen Billig-Motorsägen aus Asien, die ohne funktionierende Katalysatoren auf den deutschen Markt gebracht wurden. Eines, so Jürgen Resch, sei allen Fällen gemeinsam:
    "Was passiert? Nichts! Diese Beispiele verbindet, dass in keinem Fall Behörden aktiv werden. Die zuständigen Behörden in Deutschland schweigen und werden nicht aktiv."
    Und deswegen sieht Resch einen nach seinen Worten verhängnisvollen Trend immer stärker werden, "dass die Ära der Ökologie in eine Ära des Öko-Bluffs übergeht."
    Da gelte es, gegenzusteuern - zum Beispiel durch die Einführung eines eigenen Unternehmens-Strafrechts nach dem Vorbild beispielsweise der USA oder Frankreich, wo Verstöße gegen Umweltrecht mit horrenden Geldstrafen geahndet werden. Bricht der Staat selbst, wie bei der Umsetzung der europäischen Luftreinhalte-Regelung, das von ihm mitgeschaffene Umweltrecht, müßten auch die Umweltverbände noch mehr als bisher den Rechtsweg bestreiten. 300 Prozesse führt die Deutsche Umwelthilfe ohnehin schon jedes Jahr - im Schnitt jeden Arbeitstag ein Prozess, und das keineswegs aus purer Streitlust.
    "Die Quote der verlorenen Fälle liegt bei zwei bis drei Prozent. Das heißt, wir überlegen uns genau, welche Fälle wir verfolgen."
    Positive Beispiele
    Allerdings: Wenn es um Einhaltung des Umweltrechtes geht, sei ein pauschales Eindreschen auf die Wirtschaft nicht gerechtfertigt, meint Antje von Dewitz, Geschäftsführer des Textilherstellers Baude im Bodenseekreis. Sie wird auf den Naturschutztagen in Radolfzell als nachhaltige, umweltbewußte Vorzeige-Unternehmerin gefeiert. Als Beispiel nennt sie das sogenannte Textil-Bündnis von Entwicklungshilfe-Minister Gerd Müller, das für menschenwürdige Produktionsbedingungen in Textilfabriken in Entwicklungsländern führen soll, dem aber viele deutsche Unternehmen bisher noch nicht beigetreten sind. Antje von Dewitz:
    "Also die Problematik war, dass da zu viel Schwarz-Weiß-Malerei betrieben wurde, dass die Unternehmen ganz groß und öffentlich abgestraft wurden für ihr Verhalten. Und die haben dann gesagt: Nein, so nicht. Schwarz-Weiß-Malerei und Überzeichnungen böser Unternehmen hilft dabei nicht, wobei ich durchaus der Meinung bin, dass Umweltsünder auch abgestraft werden."
    "Furchtbar, es schreckt mich ganz furchtbar. Wenn man das wieder so direkt hört, kriegt man doch einen großen Schreck."
    Viele der 500 Teilnehmer der Bodensee-Naturschutztage in Radolfzell reagieren, wie hier Gudrun Mau aus Öhningen, dennoch entsetzt über die aufgezeigten Fälle von Verstößen gegen geltendes Umweltrecht ohne behördliches Einschreiten. Selber könne man nur mit einem veränderten Verbraucherverhalten reagieren.
    "Man muss bewusst kaufen. Aber das tun halt viele auch nicht. Nur billig, billig, billig. Es ist einfach eine schwierige Sache."
    Bewusst kaufen, ob das reicht, bezweifelt Jürgen Resch von der Deutschen Umwelthilfe. Denn Untätigkeit bei Verstößen gegen geltendes Umweltrecht seien ihm auch dort untergekommen, wo er es nicht vermutet hat - beispielsweise in den Amtsstuben der grün-roten Landesregierung Baden-Württemberg. Die sei aufgefordert werden, gegen den größten Autobauer im Land, die Daimler AG vorzugehen, wegen Werbung mit, so Resch, angeblich zu niedrigen Durchschnittsverbrauchswerten für die S-Klasse. Allerdings, so Jürgen Resch:
    "Da haben wir erst einmal gehört, die Landesregierung sei gar nicht zuständig, sondern die Stadt. Und die Stadt sagt: die Landesregierung. Und deshalb haben wir bei beiden Anzeige erstattet. Sie schieben es weiterhin auf jeweils den anderen. Und beide sagen sie: Wir werden nichts machen gegen Daimler. Wir wollen die nicht verärgern. Ich habe so ein bisschen Probleme mit meinem Rechtsverständnis, warum man hier nicht mal ein klares Zeichen setzen kann."