Den MINT-Fächern wird heute geradezu eine Schlüsselfunktion zugesprochen. Denn es heißt, wenn man in die Bildung dieser Schulfächer großflächig investiere, würde es zukünftig um Deutschland gut stehen. Stichwort: Fachkräftemangel. Zu lesen unter anderem im Koalitionsvertrag oder dem Positionspapier "Mit MINT den Standort Deutschland sichern" aus der Feder der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände. Doch genau bei diesem Gedanken rümpfen Didaktiker an der Universität Halle die Nase. Denn damit gerate – so die Kritik - pädagogisches Denken und Handeln unter Effizienzanspruch, in das Fahrwasser einer zunehmenden Ökonomisierung.
"Es gibt die ersten Ansätze, dass die MINT-Bildung die auf englisch STEM abgekürzt wird: Science, Technology, Engineering, Mathematics, durch STEAM zu nennen. Das A würde dann für Arts stehen."
Also Kunst, so der Hochschullehrer und Didaktiker Martin Lindner. Sein Markenzeichen: Hornbrille und Glatze. Bevor er in die Bildungsforschung wechselte, war er zehn Jahre lang Studienrat an einem Rendsburger Gymnasium. Seit 2010 lehrt er an der Martin Luther Universität Halle.
"Diese Ansätze kommen jetzt aus den USA. Sie sind sehr vielversprechend, ich würde mich denen in keiner Weise verschließen wollen. Wir haben auch die ersten Ansätze schon in Workshops ausprobiert. Indem wir Darstellungen einbauen, die von Theater geprägt sind oder von Podiumsdiskussionen, wo wir durchaus andere Methoden als nur das Messen oder naturwissenschaftliche Auswerten üben."
Nicht nur Zahlen und Fakten vermitteln
Man wolle, unterstreicht Martin Lindner, bereits von früh an bei der schulischen Wissensvermittlung in den naturwissenschaftlichen Fächern, kulturelle Aspekte mit einfließen lassen. Angestrebt wird ein diskursiverer, ein kreativerer Unterricht der naturwissenschaftlichen Schulfächer, der sich eben nicht nur an Zahlen und Fakten entlanghangeln solle, betont der aus Neapel stammende, derzeit in Halle arbeitende Doktorand Francesco Cuomo.
"Die Lehrer, die Naturwissenschaften lehren, die sollten die Schüler damit begeistern, dass Naturwissenschaften sehr kreativ sind. Nicht nur die Kunst oder die Literatur."
Und wolle die MINT-Fächern aus dem engen Korsett der Naturwissenschaften befreien, ergänzt, Cuomo. Daher sollten qualitative empirische Methoden mehr in den Unterricht einfließen. Sie würden – unterstreicht Francesco Cuomo – helfen, den Sinn so manches naturwissenschaftlichen Phänomens besser zu verstehen. Goethe und Physik oder Gauguin und Astronomie, sind eben keine Gegensatzpaare, sondern seien zusammenzudenken.
"Ist in unserer globalisierten Welt eine sehr, sehr gute Idee", meint Informatiklehrer Helge Hinze. In seinem Unterricht an der Integrierten Gesamtschule Regine Hildebrandt in Magdeburg-Neustadt unternimmt er gerne sozialethische Ausflüge, um seinen Schülern die Auswirkungen der digital vernetzten Welt, wie beispielsweise den NSA-Skandal zu erklären.
Mit aktuellen Aspekten kann man die Schüler besser begeistern
"Natürlich, was aktuelle Themen betrifft, da sind die Schüler sehr stark interessiert, das wollen sie auch genauer wissen und hinterfragen das auch. Fragen uns Lehrer auch, wie verhalte ich mich, wenn jetzt beispielsweise WhatsApp meine Daten an Facebook weiterverkauft usw. Das ist schon wichtig für die Schüler, in der Hinsicht kann man es auch ausweiten."
Doch ob das kreative Lernen in den MINT-Fächern in den Schulen schnell Einzug halte, daran zweifelt der Magdeburger Lehrer Hinze.
"Weil es gibt natürlich Kollegen, die sagen, lasst mich damit zufrieden, ich habe das schon jahrelang so gemacht. Und ich mache es auch weiter so. Ich bin eher der Typ, beziehungsweise nehme es für mich in Anspruch, ein bisschen kreativer zu sein und auch mal auszubrechen."
Eine Vorgehensweise ganz nach den Vorstellungen der Hallenser Didaktiker.
Doch bis das an den Schulen allgemein übliche Praxis werde, müsse man noch so einige dicke Bretter bohren, betont Bildungsexperte Lindner von der Martin Luther Universität Halle. Denn dazu müsste das Curriculum der Lehreraus- und Fortbildung, die Rahmenlehrpläne für die MINT-Fächer von Grund auf neu justiert werden.
"Wenn wir sagen, dass sind wichtige Tendenzen, die müssen eingebracht werden, dann ist dass ein ganz, ganz weiter Weg. Und da würde ich sagen, fünf bis zehn Jahre sind da eine Zeit, die man einkalkulieren muss."