Die Luft im Monument Valley ist staubtrocken. Das Thermometer zeigt schon in den frühen Morgenstunden 29 Grad Celsius an, die Sonne brennt am wolkenlosen Himmel auf die karge Landschaft, die Luft flimmert am Horizont. Der Wetterbericht hat sogar einen Sandsturm angekündigt – und trotzdem wartet Erwin im Schatten auf seine heutigen Gäste. Selbst bei einem Sandsturm seien wir sicher in seinem Vierradantrieb, sagt der kräftig gebaute, Mitte 40-jährige Mann.
"Hallo, herzlich willkommen im Monument Valley, wir starten unsere Tour heute und kehren später wieder hier zum Zeltplatz zurück. Viel Vergnügen!"
Kluft zwischen Tourismus und Tradition
Zum guten Glück wechselt Erwin bald auf Englisch, denn die Sprache der Navajos ist selbst den weißen Amerikanern total unzugänglich. Erwin hat auch einen Navajo-Namen, den er aber erst nach einer Weile verrät:
"Meine Großeltern haben mir meinen Namen gegeben. Zwar ist mein offizieller Name amerikanisch, aber meine Großeltern nannten mir irgendwann meinen Navajo-Namen. Die Namenstradition ist hier so tief verwurzelt wie die Formationen im Felsen, also uralt. Doch dann kam die Freikirche der Siebten-Tags-Adventisten, in den 1950er bis 1960er Jahren in das Navajo-Gebiet und erteilte allen Navajos englische Namen, weil sie die Namen in unserer Sprache nicht aussprechen konnten."
Dass Erwin seinen Navajo-Namen eigentlich nicht preisgeben wollte, zeigt die Kluft zwischen dem Geschäft mit den Touristen und dem starken Zusammenhalt untereinander.
"Das Monument Valley ist wegen der Felsgiganten weltberühmt geworden. Menschen aus aller Welt kamen hierher, drehten Filme in dieser Kulisse und trugen sie in die Welt hinaus. Diese Berühmtheit bringt uns scharenweise Touristen hierher."
John Wayne und die große Freiheit
Die Cowboy-Filme mit John Wayne & Co transportieren ein Bild der unendlichen Freiheit: Der einsame Cowboy auf seinem muskulösen Pferd durchquert die rote Steinwüste. Und die Wirkung dieser Filme ließ nicht lange auf sich warten: In den 20er-Jahren erfolgte der Startschuss für den Tourismus, die Naturforscher und für die Filmindustrie im Monument Valley.
Erwin ist hier in der roten Sandwüste geboren und aufgewachsen. Er bezeichnet die große Weite, die steilen Felswände und massiven Steinblöcke als seine "Range", sein Gebiet also, wo er mit allem vertraut ist. Das natürlichste Fortbewegungsmittel war und ist heute noch für ihn der Pferderücken. Als Navajo kannst du hier alles machen, meint er mit einem Lachen auf den Lippen.
Wir brechen auf, der quietschenden Vierradantrieb schüttelt uns auf der holprigen Piste durch. Erwin stimmt uns auf das Indianerland ein.
Verbannung in die Wüste und zwangsweise Christianisierung
Dass diese Freiheit nicht immer gewährleistet war, deutet Erwin nur am Rande an: Die Navajos wurden in diese trockene Wüste verbannt, Missionare zwangen ihren den christlichen Glauben auf, ihre eigene Sprache durften sie nicht mehr sprechen. Während des Zweiten Weltkrieges mussten sie aber wiederum mit ihrer eigenen Sprache der Militärkommunikation dienen. Der amerikanische Funk wurde von den Kriegsfeinden abgehört, und so brauchte man eine Geheimsprache. Dafür wurden die Navajos eingesetzt. Weil niemand auf der Welt ihre Sprache verstand, benutzte man sie also sogenannte Codetalkers.
Aber Erwin möchte nicht über die vergangenen Kämpfe um Anerkennung und Gleichberechtigung sprechen: Vielmehr möchte er Momentaufnahmen machen von den mehr als 300.000 Navajos, die heute in den USA leben.
Sagen und Legenden der Navajos
Riesige Felsblöcke aus Sandstein ragen in den Himmel, mehrere 100 Meter hoch. Wenn wir aus unserem Auto steigen und den Kopf in den Nacken legen, haben wir das Gefühl, dass wir zu Ameisen-Größe geschrumpft sind. Das Naturwunder kam zustande, als vor über 50 Millionen Jahren Wind und Wasser den Felsen des riesigen Tieflandbeckens erodieren ließen und die weichen Oberflächen und Schichten des Felsen stetig abtrugen. Und weil die unregelmäßige Struktur mal hier eine Felsenkette, mal dort eine Art Säule oder einen Bogen in dieser flachen Ebene freiließ, kann man sich mit ein bisschen Fantasie mal hier ein geschnitztes Gesicht, mal dort einen fliegende Adler oder eine Blume ausdenken. Aber Erwin stellt diese Felsenformationen anders vor: ein Kamelhöcker, ein Elefantenbuckel, ein schlafender Drache. Sind diese Figuren wirklich Assoziationen amerikanischer Ureinwohner?
"Harry Goulding und später die Siebten-Tags-Adventisten, die hier im Indianerland angekommen sind, benannten die Felsen nach Tieren von anderen Kontinenten. Sie brachten den Navajos anhand von Büchern bei, wie ein Elefant oder ein Kamel aussieht.
Die ursprünglichen Sagen und Legenden der Navajos, die über die Generationen hinweg weitererzählt wurden und heute noch werden, drehen sich um das Gleichgewicht der Natur. Sie kommen gänzlich ohne Elefanten und Kamele aus.
"Die großen Geschichten handeln von Mutter Erde und Vater Himmel. Der Zeitpunkt, zu dem man Geschichten erzählt, ist von der Jahreszeit abhängig. Während im Winter die Insekten unter die Erde gehen, darf die Sage von Mutter Erde und Vater Himmel weitergegeben werden."
Bei welchen Gelegenheiten treffen sich die Stammesangehörigen und überliefern die alten Geschichten?
"Die Sommerzeremonie unter den Navajos wird mit viel Gesang und Tanzen eingeläutet: Alle Navajos kommen auf Pferden aus allen Himmelsrichtungen zusammen. Dann wird ein Höhenfeuer gemacht, die Geschichten der Sommerzeit werden weitererzählt, alle singen und tanzen. Der Anblick ist grandios."
Auf dem direkten Weg in die Moderne
Inzwischen steht die Sonne hoch am Himmel: Die Luft flimmert, es ist absolut windstill, die Hitze steht förmlich im Tal. Abgesehen von fehlenden Bäumen, Hütten oder Feldern fällt in dieser Landschaft der Navajos auch auf, dass zum Beispiel keine Strommasten das Bild stören. Die Landschaft sollte so natürlich wie möglich gehalten werden. Deswegen hat der Staat verordnet, die Leitungen unter den Boden zu verlegen. Haben denn Navajos von entlegenen Orten Strom und Wasser?
"Viele Navajos haben Strom und fließendes Wasser. Aber weiter hinten, im Messure Valley und Monument Valley, gibt es nichts. Ich selbst, der mit meiner Familie 15 Pferde und ein paar Ziegen besitzt, kann von Glück sprechen: Ich habe eine der Wasserleitungen umleiten lassen."
Erwin besitzt mit seiner Familie 15 Pferde und ein paar Ziegen. Und ganz selbstverständlich auch die standardisierte Technik von heute: Computer, TV, Handys ... Die Technikwelt hält nicht vor den Navajos an. Darin können sie mit Leichtigkeit mithalten.
"Was mich am meisten beeindruckt und stolz macht, ist der Französischunterricht für meinen Sohn."
Alles sei auf dem direkten Weg in die Moderne, sagt der gemütliche Indianer. Und guckt in das kilometerlange Flachland, wo sich langsam der Sandsturm nähert.