Stefan Heinlein: Freudenfeuer, Hupkonzerte, grenzenloser Jubel bei den Menschen im Iran. Als im Sommer 2015 das Atomabkommen unterzeichnet wurde, war die Hoffnung groß bei den Menschen auf den Beginn einer neuen Epoche. Nach Jahrzehnten der Isolation und harter wirtschaftlicher Sanktionen hoffte vor allem die junge Generation auf Öffnung und bessere Zeiten.
Umso größer jetzt die Enttäuschung nach dem Ausstieg der USA aus dem Atomabkommen. Schon brennen wieder die Flaggen des großen Satans – Tod Amerika! Die Hardliner bekommen wieder Aufwind, ihnen war die Annäherung an den Westen ohnehin suspekt.
Wie geht es weiter im Iran, was droht der Region? Darüber möchte ich jetzt reden mit dem Schriftsteller und Orientalisten Navid Kermani. Guten Morgen, Herr Kermani!
Navid Kermani: Guten Morgen, Herr Heinlein!
Heinlein: Sie waren für viele Reportagen und auch für Ihr letztes Buch, "Entlang der Gräben", immer wieder in der Heimat ihrer Eltern, im Iran, zuletzt im Sommer letzten Jahres. Was war damals Ihr Eindruck? Wie groß war die Hoffnung der Menschen auf ein neues Leben?
Kermani: Die Hoffnung, das haben Sie ja schon geschildert, auch richtig geschildert, die war sehr groß. Das Atomabkommen mit der internationalen Gemeinschaft war das erste wirklich sichtbare Zeichen einer Reformpolitik. Das war ja gegen den Widerstand auch der Hardliner durchgesetzt, und entsprechend war die Hoffnung, wieder dazuzugehören zur Welt, Öffnung zu haben, Austausch zu haben, reisen zu können, auch wirtschaftlich Anschluss zu finden, groß. Allerdings, im letzten Jahr hat man gemerkt, wirtschaftlich geht es nicht wirklich voran. Amerika hat ja seinen Teil der Sanktionen nicht wirklich ausgesetzt. Da war es noch ein Schwanken zwischen Hoffnung und Skepsis. Aber da, auch schon letzten Sommer, hat die Skepsis doch stark zugenommen.
Heinlein: Wirtschaftlich also kaum Veränderung, sagen Sie. Gab es denn Hoffnungen auch auf eine gesellschaftlich-politische Veränderung durch dieses Atomabkommen, durch das Ende der Sanktionen?
Kermani: Natürlich bringt Austausch, wenn Menschen reisen können, wenn Informationen fließen können, wenn das Internet frei ist, natürlich bringt das Wandel. Und der eigentliche Wandel im Iran, der ist ja nicht auf der politischen Ebene. Das Regime hat sich nicht wirklich geändert. Die Macht liegt ja nicht bei der Regierung, sondern beim Revolutionsführer und seinem Apparat, den Revolutionswächtern, die Entscheidungen werden dort getroffen.
Aber was sich geändert hat, und zwar wirklich massiv, das ist die Gesellschaft. Ich war jetzt, Sie sagten letzten Sommer, ich war jetzt vor Kurzem nochmals einige wenige Tage privat im Iran, und ich sah zum ersten Mal in Teheran seit 30, 40 Jahren, seit der Revolution Frauen in Teheran in der Straße ohne Kopftuch. Das ist enorm mutig, es ist enorm selbstbewusst. Diese Frauen riskieren sehr viel, aber sie tun es, und das breitet sich aus. Dieses Selbstbewusstsein, das Leben in die eigene Hand zu nehmen – man sieht, es ist politisch blockiert, man hat nicht den Einfluss auf der politischen Ebene, aber man tritt immer selbstbewusster in der Gesellschaft auf. Und jetzt diesen jungen Frauen, oder auch nicht nur jungen Frauen, zu erklären, na ja, der Westen will halt doch nicht, also wie diese jungen Frauen, die mit viel Mut, und auch die anderen Menschen, die sich einsetzen, vielleicht nicht im Parlament, dort passiert nicht viel, aber in der Literatur, in der Kunst, in den Universitäten, in der Wirtschaft, die Menschen einladen zu sich nach Hause. Diese Menschen sind natürlich vollkommen vor den Kopf gestoßen.
"Die eigentliche Gefahr ist Krieg"
Heinlein: Wandel durch Handel, das ist ja eine Devise spätestens seit der Ost- und Entspannungspolitik in den 60er-, 70er-Jahren. Das hat nun offenbar, wenn ich Sie richtig verstehe, auch mit dem Iran funktioniert, zumindest ansatzweise. Sind diese leichten gesellschaftlichen Veränderungen jetzt in Gefahr, jetzt, wo wieder droht, dass der Iran unter die Betonglocke der Sanktionen gerät?
Kermani: Ja, natürlich, denn die Hardliner werden Auftrieb haben. Sie haben ja immer gesagt, das funktioniert nicht, es ist kein Verlass. Man lässt die Regierung am ausgestreckten Arm verhungern. Das war damals bei der Regierung Khatami schon ähnlich. Wenn Sie sich erinnern, dass damals der damalige Präsident Khatami sich unmittelbar nach seinem Amtsantritt – er war ja mit 75 Prozent gewählt –, sich über CNN an die amerikanische Öffentlichkeit gewandt hat. Damals hat man nicht drauf reagiert, und auch jetzt ist es so, dass man sozusagen die Bemühungen um Öffnung nicht beantwortet. Hingegen, als der Präsident Ahmadinedschad an die Macht kam, schoss der Ölpreis in die Höhe. Auch das ist vergessen, dass damals sich der Ölpreis verdoppelt, verdreifacht hat. Also ausgerechnet in der Amtszeit der Hardliner hat Iran mehr Einnahmen. Jetzt geht es wieder zurück. Das Ergebnis wird vermutlich sein, dass wieder ein Hardliner an die Macht kommt, weil die Reformen ja keinen Erfolg haben und wir dann jemanden haben, der wirklich wieder eine Politik, eine Rhetorik der Abschreckung, der Härte, der Israel-Verwünschungen und all das macht. Aber das ist ja nicht einmal die eigentliche Gefahr. Die eigentliche Gefahr sind gar nicht die Wahlen. Die Wahlen sind im Iran gar nicht so wichtig. Die eigentliche Gefahr ist, dass einfach Krieg droht. Und davor haben die Menschen große Angst. Denn was könnte Iran jetzt abhalten, das Atomprogramm wieder hochzufahren, und was wird dann Israel, Saudi-Arabien, Amerika abhalten, genau das auch durch Waffengewalt zu verhindern? Und dann haben Sie wirklich eine Eskalation, die natürlich für die Menschen fatal ist. Dann werden sie vermutlich oder womöglich ein weiteres Land haben im Nahen Osten, nach Afghanistan, nach Syrien, nach Irak, nach dem Jemen, das in Chaos und Gewalt versinkt.
Heinlein: Nun argumentiert die Trump-Administration, Herr Kermani, genau umgekehrt. Die sagen, dass der maximale Druck dazu führen könnte, dass man im Iran eben kompromissbereiter wird oder das Regime dann eben von innen implodiert. Und Nordkorea wird da jetzt als leuchtendes Beispiel genannt.
Kermani: Das sieht aber, glaube ich, kaum jemand, der sich im Iran auskennt, so. Denn natürlich, das, was man im Augenblick versucht, ist weniger, dass man schon jetzt auf Krieg spekuliert, sondern eher, dass das Regime implodiert. Aber wenn Sie schon die letzten Unruhen gesehen haben – es gibt natürlich extreme Unzufriedenheit im Iran, es gibt wirtschaftliche Not, es gibt Korruption unglaublichen Ausmaßes. Die Menschen sind unzufrieden mit der Lage. Nur wird sich das friedlich äußern, oder wird es zu Chaos und Gewalt kommen? Und die Gefahr, die Gewaltbereitschaft auch in der Bevölkerung, gerade bei der ärmeren Bevölkerung, bei den ethnischen Minderheiten – Iran ist ein Land mit fast 50 Prozent ethnischen Minderheiten, es ist ein Vielvölkerstaat. Es gibt überall Waffen, es hat sich enorm viel Aggression und Zorn angesammelt. Die Gefahr, dass das ein Szenario wird nicht etwa eines friedlichen Wandels wie in Spanien oder Portugal, wo man direkt in die Europäische Union schlüpft, sondern eher das Szenario von Ländern wir Irak, wie Syrien, wie Afghanistan, ist einfach das sehr viel reellere. Und dann haben Sie ein weiteres Land.
Und die Folgen werden ja nicht nur die Iraner tragen. Die werden auch nicht die Amerikaner tragen. Die Folgen haben die Europäer zu tragen in Form von Flüchtlingen, in Form von Terrorismus. Die Folgen haben auch die Israelis zu tragen. Ich meine, ich habe die letzten Tage aufmerksam die Zeitungen verfolgt. Mir ist in keiner einzigen Zeile plausibel geworden, wie sich die Sicherheit Israels erhöht, wenn Iran nach der Atombombe greift.
"Expansionsstrategie des Irans ist ein riesiges Problem"
Heinlein: Nun sagt man gerade in Israel, aber auch in Washington, dass man eben auf diesem Weg die Expansionsstrategie des Iran in der Region, also im Libanon, in Syrien und in anderen Ländern des Nahen Ostens, dadurch einschränken kann.
Kermani: Die Expansionsstrategie des Irans ist ein riesiges Problem. Sie ist verheerend für Syrien, sie ist auch schwierig für Irak, sie ist schwierig im Jemen. Nur, zu dieser Expansionspolitik gehört hinzu, dass Iran seine eigene Gegnerschaft nicht etwa mit Israel oder mit den Vereinigten Staaten hat, sondern die Konfrontation, die im Nahen Osten läuft, ist die zwischen Saudi-Arabien und Iran. Und wenn Sie sich erinnern: Wer war in Syrien, bevor die Iraner reinkamen? Es waren die Dschihadisten, die Salafisten, die von unserem Partner, Saudi-Arabien, massiv aufgerüstet worden sind. Das ist die eigentliche Konfrontation. Iran hat existenzielle Angst vor dem Ausbreiten des Dschihadismus, denn dieser ist strikt antischiitisch und bekämpft nicht nur ein schiitisches Regime, sondern Schiiten überhaupt. Und an diese Konfliktsituation müssen wir ran, wenn wir versuchen wollen, diese Region zu befrieden. Iran und Saudi-Arabien müssten versuchen, irgendwie auch durch internationale Vermittler wieder auf einen etwas friedlicheren Austausch zu kommen.
Nur, das Gegenteil geschieht. Die amerikanische Administration stellt sich blind auf die Seite Saudi-Arabiens, übersieht, was dieses Land in den letzten Jahren und Jahrzehnten in der Region angestiftet und zum Teil auch wirklich verbrochen hat. Und das ist genau das, was Iran Angst macht. Das bedeutet nicht – und nochmals, ich gehöre zu denen, die seit Jahren darauf hinweisen, dass das, was Assad macht, was Iran in Syrien macht, verheerend ist, katastrophal ist, verbrecherisch ist –, nur, wenn wir versuchen wollen, das zu verhindern, das einzudämmen, dann wird das nicht geschehen dadurch, dass wir uns blind auf die Seite des saudischen Extremismus stellen.
Europa sollte endlich Führung übernehmen
Heinlein: Zum Schluss, Herr Kermani, eine Frage zum Krisentreffen der Europäer in dieser Woche. Sie haben die Kriegsgefahr geschildert. Glauben Sie, dass die Europäer es schaffen können, diese Kriegsgefahr in ihren Gesprächen mit der iranischen Führung dann tatsächlich noch ein wenig abzuwenden?
Kermani: Ich glaube, dass sie alles versuchen werden, aber nicht einmal Europa ist sich ja einig. Und ich sehe auch gerade im Augenblick nicht, welche Lösungen da gefunden werden. Und natürlich kommt hinzu, wir haben einen französischen Präsidenten, der versucht, wirklich dieses Europa zu einen, und wir haben eine deutsche Regierung, die da mit heruntergezogenen Mundwinkeln drauf reagiert und versucht, diesen französischen Präsidenten abzukochen. Dass Europa hier nicht endlich auch Führung übernimmt, sich nicht einig wird, ist natürlich in dieser ganzen Gemengelage noch eine weitere sehr bedenkliche Entwicklung.
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