Alexej Nawalny hat seinen Kampf gegen Russlands Präsidenten Wladimir Putin wie viele Kremlkritiker vor ihm mit dem Leben bezahlt - er ist im Alter von 47 Jahren in einer sibirischen Strafkolonie gestorben. Was anfangs nur russische Medien vermeldeten, ist inzwischen von einer Sprecherin Nawalnys bestätigt worden. Demnach reiste die Mutter des Kremlkritikers in das Straflager im Norden Russlands und erhielt dort die Todesnachricht.
Nawalnys Tod löst weltweit Bestürzung aus. EU-Ratspräsident Charles Michel sagte, Nawalny habe "für seine Ideale das ultimative Opfer" gebracht. Auch die US-Regierung wies der russischen Führung eine direkte Verantwortung für das Schicksal des Kremlkritikers zu. "Russland ist verantwortlich", sagte Vizepräsidentin Kamala Harris bei der Münchner Sicherheitskonferenz.
Nawalny war wohl der berühmteste politische Gefangene des Landes. Als Anti-Korruptions-Aktivist fiel er 2008 erstmals auf. Er hatte Aktien staatlicher Firmen gekauft, um damit Geld zu verdienen.
Aber ihn störte, dass er kaum Informationen über diese Unternehmen bekam. Auf Hauptversammlungen stellte er Fragen zu undurchsichtigen Eigentümer-Strukturen und geringen Dividenden trotz guter Geschäfte. Antworten bekam er meist nicht – aber das hielt ihn nicht davon ab, seine Erkenntnisse in einem Blog festzuhalten.
Über die Jahre halfen ihm immer mehr Menschen, staatliche Firmen und ihre Finanzen zu durchleuchten. Nawalnys Anhängerschaft war motiviert, denn im Hintergrund ging es um eines der größten und eng mit der Macht verbundenen Probleme Russlands: Korruption.
Kriminelle und mafiöse Machtstrukturen
Nawalny wurde vom Einzel- zum Vorkämpfer, warb über das Internet Spenden ein und bekam auch immer mehr Ärger mit der Justiz. Sein Anti-Korruptions-Fonds baute in vielen Teilen des Landes eigene Strukturen auf. Als er zunehmend auch politisch an Einfluss gewann und Mitarbeiter und Anhänger bei Wahlen erfolgreich waren, ließ die Führung in Moskau das Netzwerk zerschlagen und als „extremistisch“ verbieten.
Führende Köpfe von Nawalnys Team flohen ins Ausland. Aus dem Exil heraus setzten sie den Kampf gegen die aus ihrer Sicht durch und durch kriminellen und mafiösen Machtstrukturen fort. Nawalny aber blieb.
Den Kampf gegen das System wollte er im Land selbst, und nicht vom Ausland aus führen. Auch deshalb kehrte er im Januar 2021 aus Deutschland, wo er sich nach einem Mordanschlag mit dem Nervengift Nowitschok in der Berliner Charité hatte behandeln lassen, nach Russland zurück – obwohl ihm Haft drohte.
Die russische Justiz hat Nawalny hart verfolgt, er wurde immer wieder aus verschiedenen Gründen verurteilt. Trotz der Inhaftierung gelang es dem Oppositionspolitiker bis zuletzt, sich aus dem Straflager 6 in Melechowo nahe der Stadt Kowrow etwa 260 Kilometer nordöstlich von Moskau an die Öffentlichkeit zu wenden.
Nawalny war zuletzt die wichtigste Stimme der politischen Opposition und vermochte es, vor allem junge Menschen anzusprechen, die mit dem „Opa im Bunker“ (Synonym für Putin) nichts anfangen konnten. Seine wichtigste Botschaft war: Habt keine Angst.
Schikanen und Folter
Immer wieder beklagte der Familienvater fehlende medizinische Hilfe, Schikane und sogar Folter im Straflager. Von dort prangerte er auch immer wieder russische Kriegsverbrechen in der Ukraine an. Putin steuere Russland ins Verderben, mahnte Nawalny. Putin selbst versuchte lange, Nawalny totzuschweigen, er sprach nicht einmal dessen Namen öffentlich aus.
Auf 19 Jahre Haft insgesamt war Nawalnys Strafe beim letzten Gerichtsverfahren erhöht worden, das wie alle anderen vorher als politisch inszeniert galt. Weitere Prozesse drohten. Sie sollten Nawalny und seine Anhänger zermürben. Seine Auftritte bei Gerichtsverfahren lösten zuletzt immer wieder Entsetzen aus, weil ihm Schwächung und körperlicher Verfall zunehmend anzusehen waren.
Ärzte appellierten an Putin, er möge als Garant der Verfassung Nawalnys Recht auf ärztliche Behandlung sicherstellen. Nawalnys Ehefrau Julia beklagte im vergangenen Jahr, dass sie schon fast ein Jahr nicht mehr mit ihrem Mann habe telefonieren dürfen: „Briefe sind unser letztes Mittel der Verbindung.“ Zuletzt war auch das offenbar nicht mehr möglich: Nawalny würden weder Briefe noch andere Schriftstücke zugestellt, sagte seine Sprecherin Anfang Dezember.
In steter Angst um Nawalnys Leben
Seine Frau Julia und ihre beiden Kinder waren in steter Angst um Nawalnys Leben, seit er im August 2020 nur knapp ein Attentat mit dem chemischen Kampfstoff Nowitschok überlebt hatte. Nawalny bezeichnete Putin als „Mörder“ und beschuldigte ihn, ein Killerkommando des Inlandsgeheimdienstes FSB beauftragt zu haben. Der Kreml wies das zurück.
Dass die Haft im Straflager, wo viele Menschen unter ungeklärten Umständen sterben, lebensgefährlich ist, war Nawalny bewusst. Die vielen Sonderstrafen in Isolationshaft in einer zwei mal drei Meter kleinen Strafzelle setzten ihm sichtlich zu. Nawalnys Team warf dem Kreml immer wieder vor, alles dafür zu tun, um Putins wichtigsten Gegner auszuschalten. Die Warnungen blieben ungehört. Lange war die Hoffnung der russischen Opposition groß, dass Putin in der Ukraine eine Niederlage erleidet und abtreten muss. Doch diese Hoffnungen haben sich nicht erfüllt.
Kampagne „Russland ohne Putin“
Millionen folgen in den sozialen Netzwerken Nawalnys Team, das auch aktuelle politische Nachrichtensendungen, Kommentare und Talkrunden auf Youtube veröffentlicht. Dort hatte zuletzt mit Blick auf die Präsidentenwahl die Kampagne „Russland ohne Putin“ begonnen. Nawalny hatte dazu aufgerufen, für einen beliebigen Kandidaten zu stimmen – nur nicht für Putin.
Doch zur Wahrheit gehört auch: Es gibt derzeit keine organisierte Opposition in Russland. Oppositionspolitiker sind im Gefängnis oder im Exil. Und die Opposition im Exil ist gespalten, nicht alle konnten sich hinter Nawalny vereinen.
Der Tod Nawalnys hat auch eine psychologische Wirkung. Er ist eine weitere Warnung an alle Kremlkritiker im Land. Und er ist auch Anlass zur Sorge um die anderen politischen Gefangenen in Putins Hand.
Die genauen Todesumstände sind noch unklar
Die genauen Umstände von Nawalnys Tod sind noch ungeklärt. Der 47-Jährige habe sich nach einem Gang im Freien "unwohl gefühlt" und "fast sofort das Bewusstsein verloren", teilte die Gefängnisverwaltung der nördlichen Region Jamalo-Nenez mit. Es sei medizinisches Personal herbeigerufen worden, das jedoch nicht in der Lage gewesen sei, Nawalny wiederzubeleben. Die Todesursache werde derzeit ermittelt. Experten gehen jedoch davon aus, dass man nicht erfahren wird, wie Nawalny wirklich gestorben ist.
Über seinen Tod hatte Nawalny einst in einem CNN-Interview gesagt: "Wenn sie beschließen, mich zu töten, dann bedeutet das, dass wir unglaublich stark sind. Wir müssen diese Macht nutzen und dürfen nicht aufgeben."