Alexej Nawalny ist in Haft – und die Strukturen, die er aufgebaut hat, stehen vor dem Aus. Das gilt zum einen für die Organisation "Fonds für Korruptionsbekämpfung". Sie hatte zahlreiche Fälle von Korruption bis in die Spitze des Staatsapparats aufgedeckt. Zum anderen gilt es für die sogenannten "Nawalny-Teams" – seine politische Bewegung also, die aus dem Wahlkampf-Team vor der Präsidentschaftswahl 2018 entstanden ist. Beide sollen künftig als extremistisch gelten.
Ein Moskauer Gericht entschied Ende April: Schon jetzt dürfen sie keine Informationen mehr über sich im Internet verbreiten. Sie dürfen nicht an Wahlen teilnehmen. Sie dürfen keine öffentlichen Veranstaltungen organisieren. Und sie dürfen nur noch eingeschränkt auf ihre Bankkonten zugreifen.
Fonds für Korruptionsbekämpfung unter Druck
Der Anwalt des "Fonds für Korruptionsbekämpfung", Iwan Pawlow, sagte gegenüber der Kreml-kritischen "Radio Swoboda", man werde versuchen, gerichtlich gegen die Entscheidung vorzugehen: "Die Organisationen, die wir vertreten, haben kein einziges russisches Gesetz verletzt. Wir verstehen, dass dieser Prozess nicht nur gegen die Organisationen gerichtet ist, sondern auch gegen deren Anhänger, die sie finanziell und moralisch unterstützen."
Aussicht auf Erfolg dürfte die Verteidigung aber nicht haben. Inzwischen geht die Behörden auch gegen Anwalt Iwan Pawlow vor. Er darf weder sein Mobiltelefon noch das Internet nutzen. Dennoch verbreitet Leonid Wolkow, der bisherige zentrale Leiter der Nawalny-Teams, Optimismus. Im Fernsehkanal "Doschd" erklärte er, die Struktur der Teams sei nun zwar aufgelöst.
Aber: "Wir haben zwei Wochen lang sehr intensiv mit den Regionalteams gesprochen, nachdem klar geworden ist, dass die Staatsanwaltschaft unsere Organisation als extremistisch einstufen will. Wir haben gesagt: Vier Jahre lang haben wir gemeinsam viel gelernt, wie man Treffen organisiert, wie man Videos aufnimmt und Crowdfunding betreibt. Wer mutig genug ist, sollte nun bei sich in der Region eine eigene Bewegung gründen. Dazu bekommt ihr die zigtausenden Accounts von unseren Anhängern und die technische Ausrüstung. Los, macht was draus."
Organisation könnte als extremistisch eingestuft werden
Die meisten Regionalteams hätten sich darauf eingelassen, so Wolkow. Klar ist aber auch: Auf Unterstützung aus Moskau können sie nicht mehr zählen. Jede einzelne Zelle sei auf sich gestellt. Das sei möglich, weil sich die Bewegung in den vergangenen Jahren ohnehin in diese Richtung entwickelt habe, sagt Wolkow:
"Wir haben die regionalen Teams vor der Präsidentschaftswahl 2018 gegründet, mit einer klaren Hierarchie. Alle haben die gleichen Flugblätter bekommen, alle die gleichen Unterschriftenlisten. Nach der Wahl hatte das keinen Sinn mehr. Wir haben dann ganz verschiedene konkrete Projekte in den Regionen unterstützt. Das Team in Jaroslawl hat sich dagegen gewehrt, dass Müll aus Moskau dorthin gebracht wurde. In Perm hat das Team dagegen gekämpft, dass ein Vorortzug stillgelegt wurde."
Auch die Arbeit gegen Korruption solle weitergehen, so Wolkow. Er werde in Kürze bekannt geben wie man die Recherchen weiterhin finanziell unterstützen könne.
Oppositionsarbeit dezentral und offline
Was bedeuten die Umwälzungen im Nawalny-Lager für anstehende landesweite Wahlen? Für sie hat Alexej Nawalny den Begriff des "klugen Wählens" erfunden: Alle Putin-Gegner in einem bestimmten Wahlbezirk stimmen geschlossen für einen Kandidaten, der nicht der Kreml-Partei "Einiges Russland" angehört. Bei der anstehenden Duma-Wahl wollen die Anhänger von Nawalny so verhindern, dass "Einiges Russland" die absolute Mehrheit der Sitze erringt. Das sei weiterhin möglich, sagt Leonid Wolkow:
"Sie werden das ‚kluge Wählen‘ auch zu einem extremistischen Projekt erklären. Ich rufe deshalb alle dazu auf, jetzt noch rasch unsere App herunterzuladen und eine E-Mail-Adresse zu hinterlassen. Wir werden versuchen, euch entsprechende Wahlempfehlungen zu geben. Womöglich wird es so enden, dass sich die Leute mit Kopierstift die Wahlempfehlung in ihrem Bezirk auf die Hand schreiben und sie dann durch Händeschütteln weitergeben."
So oder so würden die Anhänger von Nawalny also in Kontakt bleiben, meint Wolkow, zur Not auch ohne Internet.