Sandra Schulz: Jahrzehntelang war es so: Wer in der glücklichen Lage war, am Ende des Monats noch Geld übrig zu haben, der konnte es zur Bank tragen oder gleich dort liegen lassen, wo es sich dank Verzinsung von allein vermehrte. Diese Zeiten sind schon länger vorbei. Inzwischen drohen Sparern sogar Negativzinsen. Der bayerische Ministerpräsident Söder stößt jetzt eine Debatte an, wie die sogenannten Kleinsparer davor geschützt werden könnten.
Mitgehört hat Professor Adalbert Winkler, Volkswirt bei der Frankfurt School of Finance und früher auch einige Jahre bei der Europäischen Zentralbank. Schönen guten Tag!
Adalbert Winkler: Ja, guten Tag, Frau Schulz.
Schulz: Ist das eine gute Idee, Strafzinsen für sogenannte Kleinsparer gesetzlich zu verbieten?
Winkler: Es ist auf jeden Fall eine Idee, deren politisches Kalkül ich verstehe. Es ist sicher so, dass viele Menschen das nicht verstehen, warum es auf Erspartes keinen Ertrag mehr gibt, ja jetzt sogar die Zinsen negativ sein sollen. Allerdings ist es so, dass die Zinsen Marktpreise sind. Das wurde ja im Beitrag auch schon angesprochen. Und wenn die Politik hier in Form des bayerischen Ministerpräsidenten oder des Finanzministers daran was ändern wollte, dann wären sie aufgerufen, an der Marktsituation was zu ändern. Das könnten sie leicht, indem sie mehr Geld ausgeben. Das heißt, indem sie sich stärker verschulden und damit auf den Kapitalmärkten zu einer Situation wieder zurückführen helfen, in der wir wieder in den positiven Nominalzinsbereich kommen.
Schulz: Auf das große Bild würde ich mit Ihnen auch gerne gleich kommen. Aber wenn wir jetzt bei diesem einzelnen Vorschlag bleiben: Das heißt, der Volkswirt sagt, der Satz von Markus Söder stimmt, wonach Sparen belohnt werden muss. Ist das volkswirtschaftlich sinnvoll?
Winkler: Nein, das würde ich nicht sagen. Ich verstehe, dass man das sagt. Es wurde ja auch angesprochen. Der Herr Söder sagte, wir haben eine entsprechende Kultur. Aber volkswirtschaftlich gibt es keinen Grund dafür, dass die Zinsen nicht negativ sein können. Es ist ja so, dass wir das erleben auf dem Markt. Die 30-jährige Staatsanleihe ist ein Markt, auf dem sich ein Preis bildet, und dieser Preis ist negativ. Das heißt, der Preis ist hoch, aber der Zins ist negativ, und das hat sich auf dem Markt so eingespielt. Dann ist das so. Das ist sehr ungewöhnlich, das ist richtig. Aber wir haben ja auch eine ungewöhnliche Situation in Bezug auf Inflationsrate und Wachstum beziehungsweise die Wachstumsaussichten, und insofern ist das von seiner rein volkswirtschaftlichen Sicht jetzt nicht so, dass man sagen muss, nee, nee, wenn die Nominalzinsen negativ sind, dann läuft etwas schief in Bezug darauf, wie die Märkte funktionieren.
"Die Banken würden versuchen das über andere Gebühren reinzubekommen"
Schulz: Würden Sie denn sagen, dass dieses Verbot den Sparerinnen und Sparern überhaupt etwas bringen würde, oder würde sich, so wie wir es jetzt in dem Bericht gerade auch geschildert gehört haben, das fortsetzen oder vielleicht noch ausweiten, was wir jetzt schon haben, dass sich die Banken das Geld über Kontoführungsgebühren holen, über Transaktionsgebühren und so weiter?
Winkler: Ja. Davon würde ich ganz sicher ausgehen, wenn jetzt eine entsprechende Regulierung kommen würde, dass dann die Banken über Gebühren und andere Entgelte versuchen würden, das wieder reinzunehmen. Es ist ja einfach so: Wenn man in unsicheren Zeiten Sicherheit haben will, dann muss man dafür was bezahlen oder bereit sein, was zu bezahlen. Abgesehen davon kann natürlich jeder auch andere Anlagenformen wählen, so dass es nicht so ist, dass man gezwungen ist, sein Geld auf einem Girokonto zu halten.
Schulz: Manch einer zieht vielleicht auch die Konsequenz, wie man das früher vielleicht gemacht hat, das Geld eher wieder unters Kopfkissen zu stecken. Ist das volkswirtschaftlich keine Gefahr?
Winkler: Nein, eine Gefahr ist es nicht. Aber es ist eine Ausweichmöglichkeit. Deswegen machen das ja gerade die Leute, die relativ viel Geld haben – nicht, weil das natürlich mit Risiken verbunden ist, vom Risiko, dass man verliert, bis, dass man bestohlen wird. Das ist natürlich alles viel größer, als wenn man das Geld auf der Bank hat. Aber eine Gefahr ist es nicht. Es zeigt natürlich nur an, dass die Geldpolitik – und das weiß ja die Geldpolitik auch – in Bezug auf ihre Fähigkeit, den Zins sehr stark in negatives Territorium zu drücken, dass das begrenzt ist. Das nennt man dann ja auch die Nullzins-Grenze, die jetzt leicht im negativen Bereich ist. Aber klar ist: Je tiefer der Zins ins Negative gerät, desto attraktiver wird zum Beispiel die reine Bargeldhaltung.
"Die Banken brauchen das Geld offensichtlich nicht"
Schulz: Die Gefahr, dass die Leute dem System das Geld entziehen, das ja auch darauf ausgelegt ist und darauf angewiesen ist, dass Geld einfach vorhanden ist und fließt, die Gefahr, dass das Geld jetzt massiv entzogen wird, die sehen Sie nicht?
Winkler: Nein, es wird einfach nur umgewandelt. Es wird ja dem System nicht entzogen. Dem Bankensystem wird es entzogen. Das heißt, ich nehme mein Sparguthaben ab. Aber die Banken brauchen das Geld ja offensichtlich nicht. Sonst würden sie ja nicht dem Kunden sagen, wenn du das Geld zu uns bringst, bekommst Du einen negativen Zins. Ich sehe da jetzt keine Gefahr in dem Sinne, wenn jetzt die Sparer zu den Banken hingehen und das Geld in bar abheben, dass dann jetzt irgendwie die Banken Probleme bekommen, weil offensichtlich brauchen sie das Geld ja nicht. Sonst würden sie ja keinen Negativzins anbieten.
"Die schwarze Null ist ein wichtiger Aspekt"
Schulz: Und daran, dass die Banken das Geld nicht brauchen, sagen Sie, frage ich, ist die schwarze Null schuld?
Winkler: Nein. Das ist auf jeden Fall ein wichtiger Aspekt. Das heißt, wir haben eine Zeit, in der die Unternehmen relativ wenig investieren. Die Menschen wollen nach wie vor viel sparen. Gleichzeitig macht die Fiskalpolitik eine Politik, die durch die schwarze Null und durch die Schuldenbremse geprägt ist, obwohl der Markt immer wieder das Signal gibt – das ist ja der Ausdruck von Negativzinsen -, bitte nehmt das Geld von uns, wir möchten es euch gerne geben, tut etwas mit dem Geld. Und dass es da entsprechende Möglichkeiten gibt, von Infrastruktur über Bildung und viele andere Möglichkeiten, das ist, glaube ich, offensichtlich und man fragt sich, warum macht die Politik das nicht. Das wäre auf jeden Fall wesentlich marktkonformer, als über Regulierung nachzudenken, Negativzinsen zu verbieten.
"Wir haben erste Anzeichen dafür, dass es eine Rezession gibt"
Schulz: Nach der Logik sollte der Staat einspringen – aus Gründen, die noch näher einzuzirkeln wären -, weil im Moment die Unternehmen zu wenig Risiko, zu wenig investitionsfreudig sind?
Winkler: Ja, das ist ganz offensichtlich. Sonst wären die Zinsen nicht so, wo sie sind.
Schulz: Und warum ist das so?
Winkler: Dass die Unternehmen so wenig investieren?
Schulz: Ja.
Winkler: Die Unsicherheiten sind ja greifbar. Wir haben Brexit, wir haben Donald Trump und die Handelsauseinandersetzungen mit China, mit der Europäischen Union. Wir haben die Probleme in Italien. Wir haben generell ja einen zehn Jahre langen Aufschwung gehabt. Jetzt haben wir erste Anzeichen dafür, dass es doch eine Rezession ist, das heißt, dass die Nachfrage sinken wird. Alles das sind Argumente für Unternehmen zu sagen, wir warten erst mal mit den Investitionen. Das heißt, die Investitionstätigkeit ist schwach. Abgesehen davon haben viele Unternehmen relativ gut gefüllte Kassen. Das heißt, sie brauchen sich gar nicht groß zu verschulden, um Investitionen durchzuführen, die sie durchführen wollen, dass sie die entsprechenden eigenen Mittel haben. Entsprechend gibt das Druck auf die Zinsen und dieser Druck wird nicht entlastet durch irgendwelche staatlichen Ausgabenprogramme und leider Gottes auch nicht von denen, die wirklich solche Programme fahren können, von kreditwürdigen Staaten, wie zum Beispiel Deutschland einer ist.
Schulz: Jetzt ist die Diskussion um die schwarze Null ja schon länger am Laufen, wenn sie überhaupt jemals gestoppt wurde oder einen Haltepunkt gehabt hätte. Wir wissen aber, es ist ja auch nicht so, dass der Bund jetzt überhaupt keine Schulden hätte. Ganz im Gegenteil: Der Schuldendienst, das ist im Moment ein zweistelliger Milliardenbereich. Ergibt es nicht Sinn, diese Zahlungen, diese Milliarden wirklich zu drosseln nach Möglichkeiten des Staates?
Winkler: Man kann nicht beides haben. Man kann nicht ins Wasser springen, ohne nass zu werden. Entweder möchte man, dass der Sparer einen Zins bekommt. Dann kann ich nicht den sichersten Anleger aus dem Markt nehmen, weil viele Leute wollen ja nur bei diesem sicheren Anleger Geld anlegen, bei sicheren Schuldnern Geld anlegen. Dann ist es schlecht für die Sparer, wenn dieser sichere Schuldner ausfällt und sich nicht mehr am Markt bedient, sondern im Gegenteil sogar Schulden zurückzahlt.
"Die EZB macht Geldpolitik mit dem Ziel der Preisstabilität"
Schulz: Oder müsste die EZB vielleicht auch langsamer mal anfangen, das Geld wieder einzusammeln?
Winkler: Die EZB geht ihrem Auftrag nach, genauso wie das in den letzten 20 Jahren immer getan hat und wie es auch die Bundesbank vorher gemacht hat. Sie macht Geldpolitik mit dem Ziel Preisstabilität. Die Inflationsrate ist so, wie sie ist. Das heißt, sie ist unterhalb der Zielmarke von zwei Prozent. Wie in der Vergangenheit auch, wie in den letzten 40 Jahren bedeutet das, dass die Geldpolitik dann expansiv werden muss. Sie muss es jetzt auf einem niedrigen Niveau tun, auf einem niedrigen Zinsniveau, und sie bekommt keine Unterstützung von der Fiskalpolitik. Das heißt: Dass wir eine Situation haben, dass wir praktisch bei einem Nullzins eine expansive Geldpolitik fahren müssen, liegt auch daran, dass die Fiskalpolitik in den letzten Jahren alles dem Ziel untergeordnet hat, die Schuldenaufnahme zu reduzieren beziehungsweise sogar den Schuldenstand in Deutschland zu reduzieren.
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