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Nein der Wallonie zu Ceta
"Ich sehe das mit einem lachenden und einem weinenden Auge"

Der Grünen-Europapolitiker Sven Giegold hat Verständnis dafür, dass sich die belgische Wallonie so vehement gegen das Freihandelsabkommen mit Kanada stellt. Auch seine Partei habe sich jahrelang über das geplante Abkommen geärgert, sagte er im DLF. Andererseits werde Europas Handlungsfähigkeit dadurch in Frage gestellt.

Sven Giegold im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann |
    Sven Giegold ist Europa-Abgeordneter der Grünen.
    Sven Giegold ist Europa-Abgeordneter der Grünen. (imago/ Rainer Weisflog)
    Die Wallonen sprächen nicht nur für sich, sondern auch für viele Kritiker, meinte der Wirtschafts- und Finanzexperte der Grünen. So sei das Problem der Schiedsgerichte immer noch nicht gelöst. "Wenn in nationale Kompetenzen eingegriffen wird, dann haben natürlich die nationalen Parlamente auch ein Mitentscheidungsrecht. Das ist übrigens keine Frage, die man einfach so politisch gestalten kann, sondern das sind juristische Fragen, wie es das Bundesverfassungsgericht auch festgestellt hat."
    Es gehe nicht um Ceta, sondern um eine Handelspolitik, die die Bedenken der Zivilgesellschaft ernst nehme. Ceta dürfe nicht heilig gesprochen werden, die Entscheidungsstrukturen müssten effizienter werden. "Dass eine kleine Region den Rat der Mitgliedsländer im Bereich der europäischen Kompetenz blockieren kann, das spricht gegen Europas Handlungsfähigkeit. Das heißt, dass wir die Entscheidungsstrukturen verändern müssen."
    Allerdings habe Ceta auch viele vernünftige Elemente, etwa den Abbau von Zoll- und Handelshemmnissen, betonte Giegold. "Ich bin sehr für Handelsverträge. Wir sollten dringend mehr Energie investieren, um die Welthandelsorganisation wieder in Gang zu bringen."

    Das Interview in voller Länge:
    Dirk-Oliver Heckmann: Mitgehört hat Sven Giegold, der Sprecher der deutschen Abgeordneten von Bündnis 90/Die Grünen im Europaparlament und deren wirtschafts- und finanzpolitischer Sprecher. Guten Morgen, Herr Giegold!
    Sven Giegold: Guten Morgen, Herr Heckmann.
    Heckmann: Herr Giegold, ein kleines Volk von drei Millionen blockiert die Zukunft von 500 Millionen Europäern. Ist das mal wieder Europa at it’s best?
    Giegold: Ich sehe das Nein aus Wallonien mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Sie werden sich nicht wundern: Wir Grünen haben CETA über die Jahre immer wieder kritisiert und deshalb ärgert man sich nicht, wenn dieser Vertrag jetzt Schwierigkeiten hat. Im Gegenteil! Auf der anderen Seite: Dass eine kleine Region den Rat der Mitgliedsländer im Bereich der europäischen Kompetenz in der Weise blockieren kann, das spricht natürlich gegen Europas Handlungsfähigkeit und zeigt, dass wir die Entscheidungsstrukturen ändern müssen.
    "Im Bereich europäischer Kompetenz muss der Rat entscheiden"
    Heckmann: In welcher Hinsicht, die nationalen Ebenen doch in Zukunft draußen lassen?
    Giegold: Ich stimme Martin Schulz völlig zu. Im Bereich europäischer Kompetenz muss der Rat entscheiden und das Europaparlament. Auf der anderen Seite, wenn in nationale Kompetenzen eingegriffen wird, dann haben natürlich die nationalen Parlamente auch ein Mitentscheidungsrecht. Das ist übrigens keine Frage, die man einfach politisch so gestalten kann, sondern das sind juristische Fragen, wie es das Bundesverfassungsgericht auch ganz klar festgestellt hat. Deshalb muss ich da deutlicher als Martin Schulz Sigmar Gabriel verteidigen. Der hat nämlich nicht einfach aus Gutdünken gesagt, die nationalen Parlamente sollen mitentscheiden, sondern er legt damit einfach nur das europäische Recht korrekt aus, wie es das Bundesverfassungsgericht übrigens letzte Woche auch deutlich gemacht hat.
    Heckmann: Ja gut, darüber kann man wahrscheinlich lange diskutieren. Trotzdem noch mal zurück zu CETA selber. Markus Ferber von der CSU, der hat gestern hier im Deutschlandfunk gesagt, Kanada hat nun wirklich alle Wünsche der Europäer aufgenommen und berücksichtigt bei den Verhandlungen. Trotzdem sind die Europäer nicht in der Lage, ja zu sagen. Ist das Nein zu CETA, auch die Kritik an CETA auch von Ihrer Seite, von Grünen-Seite mittlerweile zu einem Dogma geworden?
    Giegold: Nein, im Gegenteil. Ich bin sehr für Handelsverträge. Wir sollten dringend viel mehr politische Energie investieren, um die Welthandelsorganisation wieder in Gang zu bringen. Das ist dringend notwendig. Und CETA hat auch viele vernünftige Elemente, gerade beim Zollabbau, bei den technischen Standards und bei den Zollabwicklungsverfahren. Was da drinsteht macht Sinn.
    "Diese Zusatzerklärung interpretiert den Vertrag, ändert ihn aber nicht"
    Heckmann: Es gilt als der modernste Vertrag in dieser Art.
    Giegold: Moment! Das sind ja erst mal Floskeln, das modernste und so weiter. Aber gleichzeitig steht im Vertrag auch, dass in tiefer Weise in Demokratie und Rechtsstaatlichkeit eingegriffen wird, und zwar insbesondere, weil Schiedsgerichte leider immer noch enthalten sind. Immer noch sollen Schiedsrichter, die von Fall zu Fall bezahlt werden, im Grunde Recht sprechen über Staaten und einseitig Klagemöglichkeiten für ausländische Investoren geben. Das ist nicht gelöst, das Problem.
    Zweitens gibt es mit der regulativen Kooperation einen eigenen Rat, nicht einen Rat, aber Strukturen, über die gerade mächtige Interessensvertreter noch mal zusätzlich Sand ins Getriebe der Standardsetzung werfen können, während schwächere Interessen dort praktisch keine Chance haben, sich zu beteiligen. Es gibt eine ganze Liste von Problemen, die jetzt ja auch anerkannt worden sind in einer neunseitigen Zusatzerklärung.
    Heckmann: Eben! Es gibt ja diese Zusatzerklärung. Reicht die Ihnen nicht aus?
    Giegold: Richtig! Diese Zusatzerklärung interpretiert den Vertrag, ändert ihn aber nicht. Und wie ein Gutachten des Investitionsrechtlers Krajewski zeigt, gilt diese Zusatzerklärung nur in Grenzen und wirft neue Fragen auf, was denn nun eigentlich gilt, die Zusatzerklärung oder der Vertrag. Und deshalb haben die Wallonen mit ihrer Kritik ja durchaus einen Punkt und sprechen damit ja nicht nur für sich, sondern für sehr viele Kritiker und sogar, wie man jetzt an der Zusatzerklärung zeigt, wird ihnen auch Recht gegeben. Deshalb wäre doch was anderes nötig. Statt jetzt über diese Fragen zu reden, den Vertrag so aufzustellen, dass die Handelspolitik Akzeptanz findet, damit wir das, was an der Handelspolitik der EU dringend notwendig ist, realisieren können, ohne gleichzeitig in dieser Weise in Demokratie und Rechtsstaatlichkeit einzugreifen.
    "Es geht um einen Führungswechsel, der lange geplant war"
    Heckmann: Herr Giegold, Rebecca Harms, die Vorsitzende der Grünen-Fraktion im Europaparlament, die hat ja in diesen Tagen angekündigt, ihren Vorsitz abzugeben, und zur Begründung sagte sie hier am Samstag im Deutschlandfunk, auch mit Blick auf CETA übrigens:
    O-Ton Rebecca Harms: "Mein Eindruck ist, dass es mir nicht geglückt ist, die Fraktion so bedingungslos pro Europäische Union aufzustellen, wie das in diesen Zeiten und dieser Auseinandersetzung gefragt ist."
    Heckmann: Es ist mir nicht gelungen, die Fraktion bedingungslos pro Europäische Union aufzustellen, sagt Rebecca Harms. Reiten die Grünen zu stark auf einer europaskeptischen bis europafeindlichen Welle?
    Giegold: Ich muss dazu eins sagen. Rebecca Harms hat in den letzten 30 Jahren enorm viel für einen grünen Wandel erreicht und deshalb finde ich diese Diskussion, die sie jetzt anstößt, vor allem eins: traurig. Denn zum Hintergrund muss man verstehen: Nach der Europawahl vor gut zwei Jahren gab es eine Absprache in der Grünen-Europafraktion. Rebecca Harms war damals mit mir Spitzenkandidatin der deutschen Grünen, Ska Keller war Spitzenkandidatin der europäischen Grünen. Und danach, nach der Europawahl war unklar, wer Co-Fraktionsvorsitzende wird. Die Einigung war, Ska Keller übernimmt nach der Halbzeit, die steht jetzt bevor, und Wechsel in der Führung sind leider auch bei uns schwierig, wie man daran sieht.
    Heckmann: Das heißt, Rebecca Harms baut da einen Popanz auf?
    Giegold: Nein, nein. Diese Schärfe ist überhaupt nicht mein Stil. Nein! Man muss das nur als Hintergrund wissen zu dem, was da jetzt diskutiert wird. Es geht um einen Führungswechsel, der lange geplant war. Um einen Sachkonflikt geht es hier weniger. Wir sind alle auch deshalb bei den Grünen, weil wir begeisterte Europäer sind. Das ändert nur eines nicht: Wir streiten für ökologische und soziale Veränderung im Rahmen der europäischen Demokratie. Aber wenn die EU Atomkraftwerks-Subventionen zulässt, dann kritisiert Rebecca das genauso scharf wie Ska im Bereich der Flüchtlingspolitik kritisiert, wenn täglich Menschen im Mittelmeer ersaufen, oder ich, wenn Steueroasen begünstigt werden. Aber das ändert nichts daran, dass wir alle gemeinsam überzeugt sind, dass nur mit einem starken Europa, einer starken europäischen Demokratie wir die Zukunftsprobleme lösen können, und deshalb kritisiere ich auch zum Beispiel, wenn jetzt die EU wieder zeigt, dass sie nicht so handlungsfähig ist, wie sie es sein müsste.
    "CETA darf jetzt nicht heiliggesprochen werden"
    Heckmann: Ganz kurz zum Schluss, Herr Giegold. Rechnen Sie damit, dass CETA noch "gerettet" werden kann?
    Giegold: Das weiß ich nicht. Aber letztlich geht es nicht um CETA. Es geht darum, dass wir eine Handelspolitik bekommen - wir verhandeln ja derzeit mit zwei Dutzend Staaten und Staatengruppen Handelsverträge -, die nicht einfach jetzt durchzockt, sondern die Bedenken der Zivilgesellschaft übrigens auf beiden Seiten des Atlantiks ernst nimmt, damit das, was an der Handelspolitik wirtschaftlich und ökologisch und sozial ist, dass wir das bekommen und ohne diese Eingriffe in Rechtsstaatlichkeit und Demokratie. Deshalb darf jetzt CETA nicht heiliggesprochen werden, aber umgekehrt müssen wir in Europa dafür sorgen, dass die Entscheidungsstrukturen effizient werden, da wo Europa zuständig ist.
    Heckmann: Sven Giegold war das, Sprecher der deutschen Bündnis 90/Die Grünen Abgeordneten im Europaparlament. Herr Giegold, ich danke Ihnen für Ihre Zeit.
    Giegold: Gern!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.