Südafrika
Was bleibt vom Erbe Nelson Mandelas?

Er war die Ikone der Anti-Apartheitsbewegung in Südafrika und er gilt bis heute als ein Vorbild im Kampf gegen Unterdrückung und Ungerechtigkeit - Nelson Mandela. Zehn Jahre nach seinem Tod steht das Land aber vor einer ungewissen Zukunft.

    Das Nelson-Mandela-Denkmal am Regierungssitz in Pretoria in Südafrika
    Überlebensgroß: So wie das Denkmal steht die Erinnerung an Nelson Mandela über allem. Er starb am 5. Dezember 2013 in Johannesburg (picture alliance / Augenklick / Roth)
    Als Mitgründer des Afrikanischen Nationalkongresses (ANC), der gegen das weiße Apartheidsregime in Südafrika kämpfte, hatte Nelson Mandela 27 Jahre im Gefängnis verbracht. Als er am 11. Februar 1990 freigelassen wurde, markierte das praktisch das Ende der Apartheid in Südafrika.
    Für seinen unermüdlichen Kampf erhielt Mandela 1993 den Friedensnobelpreis. Von 1994 bis 1999 war er der erste schwarze Präsident Südafrikas. Aber die Hoffnungen und Erwartungen, die mit dem Ende der weißen Vorherrschaft verknüpft waren, waren groß – vielleicht zu groß. Denn inzwischen wachsen wieder die Konflikte, die Ungleichheit nimmt zu. Die Kritik am ANC, der das Land seit den ersten freien Wahlen 1994 regiert, wird immer größer. Bei den Parlamentswahlen 2024 könnte er erstmals seine absolute Mehrheit verlieren.

    Südafrika bekommt die Korruption nicht in den Griff

    Als Hauptproblem Südafrikas gilt die grassierende Korruption. Nach den Wahlen 1994 sei dem Präsidenten sehr viel Macht eingeräumt worden, sagte der Aktivist und Arzt Ashok Chandika 2021 in einem Dlf-Beitrag von Leonie March. „Dabei dachten wir an jemanden wie Nelson Mandela. Und dann kam Jacob Zuma. Staatliche Institutionen wurden ausgehöhlt, Posten wurden nach Belieben besetzt und den Strafverfolgungsbehörden wurde eine Zwangsjacke verpasst. Selbst wenn jemand als korrupt überführt wurde, hatte das keine Konsequenzen. Auch wegen dieser Straflosigkeit scheinen wir den Kampf gegen Korruption nicht zu gewinnen.“

    Architektur der Apartheid als Grundproblem

    Verschärft wird die Lage durch eine extrem hohe Arbeitslosigkeit von mehr als 30 Prozent, bei jungen Menschen sogar doppelt so hoch. Aber auch Landbesitz und bezahlbarer Wohnraum sind Dauerthemen in Südafrika. Es sind unübersehbare Symptome der historisch gewachsenen sozialen Ungleichheit, die in Südafrika so ausgeprägt ist, wie in kaum einem anderen Land der Welt, berichtet die Journalistin Leonie March.
    Ehemalige Homelands leiden weiterhin unter einer chronisch unterentwickelten Infrastruktur. Die Landreform in den vergangenen Jahrzehnten hat nicht zu einer gerechteren Verteilung des Farmlands geführt. Und in den Townships fordern Bewohner ganz grundsätzliche staatliche Leistungen: Strom, Wasser, Toiletten.
    Die Architektur der Apartheid sei geblieben, sagt Politikwissenschaftlerin Noluthando Phungula. Die Strukturen seien bis heute deutlich sichtbar: die Trennung in weiße Viertel, schwarze und indische Townships. Das gleiche gelte für das Schulsystem: Schulen für Inder und Coloureds waren etwas besser als für Schwarze.
    Die soziale Ungleichheit im Land gilt auch als Ursache für die wachsende Ausländerfeindlichkeit im Land. "Die Menschen sehen, dass andere in ihr Land kommen, ... und ihnen das bisschen an Arbeitsmöglichkeit oder Geld und Einkommen wegnehmen", sagt Südafrika-Korrespondentin Karin Wehrheim.

    Regierungspartei ANC in der Kritik

    Strittig ist dabei, wer oder was für die Probleme des Landes verantwortlich ist. Was hängt mit den Strukturen zusammen, die immer noch auf die 150 Jahre andauernde Rassentrennung zurückzuführen sind, und was hat der ANC zu verantworten, der seit 1994 regiert. Immer wieder verteidigen sich amtierende Politiker damit, die vielfältigen sozialen Übel seien Langzeitfolgen der Apartheid. Aber so einfach sei das nicht, betont Politikwissenschaftlerin Noluthando Phungula.
    “Wir sind ein Produkt der schrecklichen Konsequenzen der Apartheid, aber man muss auch eingestehen, dass der ANC versagt hat. Politisch haben wir die Freiheit errungen, aber wirtschaftlich ist vieles gleich geblieben. Südafrikas Wirtschaft bleibt in den Händen einer Minderheit, wir sind eine kapitalistische und zutiefst ungleiche Gesellschaft. Die Reichen sind sehr reich und die Armen sehr arm. Und dafür ist auch der ANC verantwortlich.
    Nicht nur die Apartheid, auch die vergangenen Jahrzehnte waren von Gier geprägt und nun droht das Land zu kollabieren. Der ANC spricht zwar von Erneuerung, wirtschaftlicher Transformation, Landreform und dem Kampf gegen die Korruption, aber das ist bislang reine Rhetorik, es gibt keine greifbaren Ergebnisse.“

    Der Niedergang des ANC

    Der Niedergang von Mandelas einst ehrwürdiger Befreiungsbewegung ANC enttäuscht viele Aktivisten. Die alten Strukturen existieren weiter, es gebe Streit um Eigentumsrechte, alte rassistische Stereotype und Wunden brächen wieder auf.
    „Man kann sehen, wie sich die Stadtplanung der Apartheid im neuen Südafrika fortsetzt", sagt der Aktivist Sifiso Ntuli. Im Johannesburger Viertel Brixton etwa seien Weiße in der Regel die Vermieter, Schwarze die Mieter. In Townships wie Soweto lebe bis heute kaum ein Weißer. Seit Mandelas Zeiten verspreche die Regierung, dass sie Häuser für die Bevölkerung bauen werde. "Aber die Frage ist wo, wenn der Großteil des Landes weiter in Besitz der Weißen ist.“
    Der ANC betont zwar bei jeder Gelegenheit, wie viele Häuser seit dem Ende der Apartheid gebaut wurden und dass arme Südafrikaner einen Anspruch auf staatliche Sozialhilfe haben. Doch für Ntuli ist das Augenwischerei. Einerseits, weil die Erfolge durch Korruption wieder zunichtegemacht werden und andererseits, weil sich nichts an den Ursachen der Ungleichheit ändert.

    Wachsende Kritik an Mandela

    Auch zehn Jahre nach seinem Tod ist Mandela in Südafrika praktisch noch überall präsent: Auf allen Geldscheinen ist sein Porträt zu sehen, Straßen und Schulen tragen seinen Namen, nicht zuletzt auch das Kinderkrankenhaus, das er ins Leben gerufen hat. Als Statue steht er etwa auf dem Rathausbalkon von Kapstadt oder überlebensgroß in der größten Mall von Johannesburg.
    Und in den Schulen ist sein Wirken selbstverständlich Unterrichtsstoff. Doch seit seinem Tod wird Mandela immer kritischer gesehen. Vor allem die jüngeren Menschen werfen ihm vor, das Land und die Menschen verraten zu haben. Aber auch viele Ältere sehen Mandela heute kritisch. Weil es der Mehrheit nicht besser geht als zu Zeiten der Apartheid und sich die Menschen weiter nicht frei fühlen.
    Dass die Hoffnungen so sehr enttäuscht wurden, sei auch Mandela anzukreiden, heißt es immer wieder. Er habe auf seinem Versöhnungskurs zu viele Kompromisse gemacht. In der Wirtschaftspolitik ebenso wie bei der konfliktträchtigen Landfrage.
    Die Politikwissenschaftlerin Lubna Nadvi weist diese Kritik am Vater der Nation jedoch als geschichtsvergessen zurück. Einige der damals überbordenden Erwartungen seien sicherlich unrealistisch gewesen. Andere Ziele hätte die ANC-Regierung durchaus umsetzen können, wenn sie nicht im Korruptionssumpf versunken wäre.

    Präsident Cyril Ramaphosa als Hoffnungsträger

    Ihn trockenzulegen, hat der amtierende Präsident Cyril Ramaphosa angekündigt, der einst wie Mandela gegen das Apartheitsregime kämpfte und sich dabei als Gewerkschaftsführer einen Namen machte. Er war auch Vorsitzender der Verfassunggebenden Versammlung nach dem Ende der Apartheid und zeitweise Generalsekretärs des ANC. Seine politischen Ämter legte er 1996 nieder. Danach wurde Ramaphosa ein reicher Geschäftsmann, später ging er aber wieder in die Politik. Und tatsächlich hat Ramaphosa die Ära der Staatsplünderung unter Jacob Zuma beendet, auch wenn der Kampf gegen die Korruption nicht wirklich vorankommt.

    Verliert der ANC 2024 die absolute Mehrheit?

    Die Ungeduld nimmt spürbar zu in Südafrika und im kommenden Jahr wird eine neue Regierung gewählt. Nach 30 Jahren an der Macht könnte der ANC erstmals seine Mehrheit verlieren. Gleichzeitig ist die Skepsis gegenüber Koalitionsregierungen groß. Zu lange ist Südafrika von einer Partei an der Macht regiert worden – auch das ist eine Spätfolge der Apartheid.
    Die Stimmung im Land ist angespannt, das Vertrauen in die Regierung nimmt ab. Andererseits erweist sich die südafrikanische Demokratie als wehrhaft – mit ihrer weitgehend unabhängigen Justiz, freien Medien und einer wachsamen Zivilgesellschaft. Die Antwort auf die Frage, was vom Erbe Nelson Mandelas bleibt, ist also mindestens durchwachsen.

    gue