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Nemzow-Mord
Hinweise auf Geständnis unter Folter

Im Mord an dem russischen Regierungskritiker Boris Nemzow war in den vergangenen Tagen von einem ersten Geständnis die Rede. Russische Medien berichteten, dass sich ein Tatverdächtiger sowohl zu den Schüssen als auch zur Organisation des Mordes bekannt habe. Nun gibt es Hinweise darauf, dass das Geständnis durch Folter erzwungen worden sein könnte.

Von Gesine Dornblüth |
    Menschen laufen an den mit Stacheldraht bedeckten Mauern des russischen Untersuchungsgefängnis Lefortovo in Moskau vorbei.
    Das Lefortovo-Untersuchungsgefängnis in der russischen Hauptstadt Moskau (afp / Alexey Sazonov)
    Die Vorwürfe kommen von offizieller Stelle. Andrej Babuschkin ist Mitglied im Menschenrechtsrat des Präsidenten der Russischen Föderation. Gestern hat er gemeinsam mit einer Kollegin das Moskauer Untersuchungsgefängnis Lefortovo besucht und dort mit den Verdächtigen im Mordfall Nemzow gesprochen. Die Ergebnisse wurden heute auf der Website des Menschenrechtsrates veröffentlicht.
    Demnach beteuert der Hauptverdächtige und angeblich geständige Zaur D., auf ihn sei Druck ausgeübt worden. Die Ermittler hätten ihm versprochen, wenn er den Mord an dem Politiker Boris Nemzow gestehe, dann würden sie seinen ehemaligen Untergebenen freilassen. Zaur D. war viele Jahre leitender Mitarbeiter der Sicherheitsorgane der russischen Teilrepublik Tschetschenien. Der Untergebene, von dem die Rede ist, soll mit ihm zusammen festgenommen worden sein und ist seitdem verschwunden – so steht es auf der Seite des Menschenrechtsrates.
    Ferner schreibt Babuschkin, der Körper des Hauptverdächtigen weise zahlreiche Verletzungen auf. Er habe nach seiner Festnahme zwei Tage keine Nahrung und nur wenig Wasser erhalten. Außerdem hätten die Ermittler ihm einen Pflichtverteidiger zur Seite gestellt und verschwiegen, dass seine Eltern einen unabhängigen Anwalt organisiert hatten.
    Babuschkin empfiehlt unabhängige Überprüfung
    Babuschkin hat in Lefortovo noch mit zwei weiteren Verdächtigen gesprochen. In einem Fall erhielt er weitere Hinweise auf Folter.
    In dem offiziellen Bericht empfiehlt Babuschkin der Staatsanwaltschaft und den Ermittlern, die Vorwürfe von unabhängigen Personen überprüfen zu lassen; außerdem solle Russlands Präsident informiert werden. Die Ermittlungsbehörde hat bereits reagiert. Sie will nun Babuschkin und seine Kollegin verhören. Eventuell hätten sie sich in die Ermittlungen eingemischt, um diese zu behindern. Das wäre eine Straftat.
    Außerdem hat inzwischen eine Kommission unter Beteiligung des leitenden Gefängnisarztes die Häftlinge untersucht. Sie kommt zu dem Ergebnis, es gebe keine Folterspuren. Dieser Kommission gegenüber hätten die drei Männer ihre Tatbeteiligung geleugnet, schreiben russische Medien.
    Dass Geständnisse unter Folter erzwungen werden, ist im von Terror geprägten Nordkaukasus weit verbreitet. Es macht Ermittlungsergebnisse von vorn herein problematisch, unabhängig davon, ob die Geständigen schuldig sind.
    Novaja Gazeta behauptet, wahren Drahtzieher zu kennen
    Die nun erhobenen Foltervorwürfe bestätigen jene, die die Ermittlungsergebnisse von vornherein skeptisch betrachtet haben. In den russischen Medien wird eine islamistische Spur präferiert. Religiöse Extremisten hätten Nemzow erschossen, weil er sich nach den Anschlägen auf das französische Satiremagazin Charlie Hebdo islamfeindlich geäußert habe. Tatsächlich hat Nemzow sich kaum zu Charlie Hebdo zu Wort gemeldet.
    In den vergangenen Tagen hatten indes auch Anhänger Nemzows geäußert, sie hielten es für durchaus möglich, dass die Festgenommenen die Tat ausgeführt haben. Sie verwiesen aber auf zahlreiche Unstimmigkeiten bei den Ermittlungen. Und sie vermuten andere Auftraggeber hinter der Tat.
    Die Novaja Gazeta will von dem wahren Drahtzieher des Mordes erfahren haben. Er soll gleichfalls aus Tschetschenien kommen, einen hohen Rang bei den dortigen Sicherheitsstrukturen einnehmen und aus dem Umfeld Ramzan Kadyrows stammen, des Präsidenten der tschetschenischen Teilrepublik. Der Mann sei bereits verhört worden, befinde sich aber auf freiem Fuß, schreibt die Zeitung heute. Belege liefert sie nicht. Und so bleiben weiterhin vor allem Fragen.