Jedes fünfte Neugeborene wird nach der Geburt stationär durch Kinderärzte behandelt, jedes zehnte Neugeborene kommt zu früh auf die Welt. Die medizinische Versorgung dieser Babys ist hoch spezialisiert und kostet viel Geld. Und sie ist für die Eltern eine besondere Herausforderung. In dieser schwierigen Situation soll die "neoApp" helfen, eine Software für Smartphones, die seit Anfang des Jahres betroffenen Eltern von der Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendmedizin der Universität Dresden und der "Deutschen Stiftung für kranke Neugeborene" bereitgestellt wird.
Martin Winkelheide: Wo liegen die Probleme der Eltern, wenn sie ein krankes Kind zur Welt bringen oder ihr Kind zu früh geboren wird?
Mirko Smiljanic: Für Eltern ist es fast immer ein Schock, wenn ihr Kind als Frühchen oder krank zur Welt kommt. Sie haben Angst um das Leben ihres Kindes, sie wissen nicht, wie es weitergeht mit ihrem Baby und sie fühlen sich hilflos. Hinzu kommt aber noch ein weiterer Punkt: Eltern von Frühchen oder kranken Kindern können zunächst einmal keine normale Beziehung zu ihren Babys aufbauen. In vielen Fällen werden die Kinder auf Spezialstationen betreut. Zwischen ihnen und ihren Kindern stehen wie eine Barriere Ärzte und Pfleger, Maschinen und Monitore: Ohne ständige Kontrolle geht gar nichts! Dieser Zustand verunsichert viele Mütter und Väter. Sie zweifeln an ihrer Elternrolle. Sie möchten gute Eltern sein, können es aber nicht, weil sie sich hilflos fühlen.
Winkelheide: Wie kann denn da eine Smartphone-App helfen?
Smiljanic: Die neoApp – das ist der offizielle Name – hilft, in dem sie Eltern motiviert, sich mit der Entwicklung ihrer Kinder auseinanderzusetzen. Dafür gibt es innerhalb der aus zwei Teilen bestehenden App ein Tagebuch. In dieses Tagebuch sollen Eltern detailliert festhalten, was sie mit ihrem Kind gemacht haben. Das beginnt beim Wickeln und Waschen, Daten wie Gewicht und Größe können in der App festgehalten werden, ob das Kind gut schläft und isst, welche Fortschritte es beim Krabbeln macht und so weiter.
Der Fokus liegt also nicht auf den Defiziten, sondern auf das, was das Kind kann. Die Entwicklungsfortschritte des Kindes stehen im Mittelpunkt. Aus Untersuchungen wissen die Kinderärzte der Uniklinik Dresden, dass dieses regelmäßig geführte Tagebuch die Selbstkompetenz und die Selbstüberzeugung der Eltern deutlich verbessert.
Winkelheide: Dann geht es den Eltern besser. Aber hat das auch Bedeutung für die Kinder?
Smiljanic: Hat es! Denn es ist ja ein großer Unterschied, ob eine Mutter ängstlich mit dem Kind umgeht oder zuversichtlich. Ein Beispiel: Wenn Kinder laufen lernen, müssen sie auch mal hinfallen und sich wehtun. Dies gilt gleichermaßen für Frühchen und für reif Geborene. Eltern zu früh Geborener haben aber die Tendenz, genau das zu verhindern. Sie behüten ihr Kind, wo immer es geht und verhindern so ohne es zu wollen seine Entwicklung. Es sei denn, über das Niederschreiben der Entwicklungsfortschritte wird ihnen klar, was ihr Kind schon alles kann. Die neoApp lenkt den Blick der Eltern auf die positiven Seiten des Kindes.
Winkelheide: Das ist der eine Teil der App, was verbirgt sich im zweiten Teil?
Smiljanic: In dem zweiten Teil steht Organisatorisches im Mittelpunkt. Kliniken können zum Beispiel die Namen von Ärzten und deren Telefonnummern hinterlegen, ebenso Links zu Selbsthilfegruppen und Pflegeeinrichtungen und so weiter. Alle Daten – vor allem die der Kinder – lassen sich herunterladen und grafisch aufbereiten. Ein Kurvendiagramm kann so zum Beispiel die Größen- und Gewichtsentwicklung der letzten Monate anzeigen.
In einer weiteren Ausbaustufe schließlich sollen über die neoApp Informationen zwischen Kliniken, Eltern und niedergelassenen Kinderärzten ausgetauscht werden - immer vorausgesetzt die Eltern stimmen dem zu und die Datensicherheit ist gewährleistet.
Winkelheide: Und die Datensicherheit ist noch nicht 100prozentig gewährleistet?
Smiljanic: Na ja, wo in der Computerwelt gibt es 100-prozentige Sicherheit? Wichtig ist schon mal, dass alle Daten - vom Tagebuch bis zur Gewichtstabelle - auf dem Smartphone bleiben. Es gibt keine externen Server. Die Schwachstelle ist das Smartphone selbst. Zukünftig werden alle Daten zwar verschlüsselt, ohne Restrisiko wird aber wohl nicht gehen.