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Nepal nach dem Erdbeben
Das Leiden der Kinder

Etwa 1,7 Millionen Kinder in Nepal sind unmittelbar vom Erdbeben betroffen, schätzt das UNO-Kinderhilfswerk UNICEF. Sie haben ihre Elternhäuser, Schulen, aber auch medizinische Behandlungszentren verloren. Am dringlichsten sei jetzt der Schutz vor Epidemien.

Von Jürgen Webermann |
    Obdachlose Kinder in einer Notunterkunft in Kathmandu.
    Obdachlose Kinder in einer Notunterkunft in Kathmandu. (imago / Xinhua)
    Sie ist einer der wenigen Lichtblicke in diesen Tagen in Nepal und heißt Riyanshika, das heißt übersetzt Göttin. Riyanshika kam am Wochenende zur Welt, im Feldkrankenhaus der israelischen Armee, mitten in Kathmandu. Ihr Vater, Rajesh, vergisst für einen Moment die Sorgen und die Katastrophe, als er das Mädchen zum ersten Mal im Arm hält.
    "Das eigentlich erwartete Termin war schon am 21. April, also vier Tage vor dem Erdbeben, als auch unser Haus sehr stark wackelte. Seitdem hatten wir unheimlich Angst. Aber trotz der Katastrophe kam sie gesund zur Welt. Wir sind darüber sehr glücklich."
    Die Wirklichkeit draußen, vor dem weißen Zelt des Feldkrankenhauses, sieht jedoch düster aus, auch für Kinder. 1,7 Millionen Mädchen und Jungen, so schätzt das Kinderhilfswerk UNICEF, sind unmittelbar vom Erdbeben betroffen.
    "Dabei waren am Tag des Bebens alle Schulen geschlossen. Ich glaube, nur deshalb haben wir nicht noch viel höhere Opferzahlen, wären die Kinder in ihren Schulen gewesen, hätten wir vermutlich doppelt so viele Opfer gehabt. Aber 1,7 Millionen Kinder haben ihre Elternhäuser verloren, sie haben ihre Schulen verloren, und auch die medizinischen Zentren in ihren Heimatdörfern, in denen sie behandelt werden konnten. Viele haben Familienmitglieder verloren. Das ist ein riesiger Einschnitt in diesem schon so bitterarmen Land", sagt Karin Hulshof, die UNICEF-Regionaldirektorin für Südasien. Sie bereitet gerade die dringend benötigte Hilfe für Kinder in Nepal vor. Und da geht es vor allem um die Gesundheit.
    Masern befürchtet
    "Wir erwarten, dass es eine Masern-Epidemie geben könnte. Also beginnen wir Mitte der Woche mit einem Impfprogramm. Außerdem verteilen wir Tabletten, die das Wasser reinigen, und Mineralien, um Krankheiten vorzubeugen, die durch verunreinigtes Wasser entstehen können, Durchfallerkrankungen zum Beispiel. Wir müssen diese Krankheiten sofort stoppen, wo immer sie ausbrechen."
    Aber das wird schwierig, das weiß auch Karin Hulshof. Zwar betont sie, dass UNICEF wirklich jedem Kind in Nepal helfen will. Nur wie, wenn es zu wenig Transportmöglichkeiten gibt? Zwar sind neue Hubschrauber in Nepal angekommen, aber in mehreren Distrikten sind fast alle Dörfer völlig zerstört, und sie sind schwer zu erreichen.
    "So ist das nun mal hier, dies ist ein Land mitten im Himalaya. Die Hauptorte erreichen wir in anderthalb Stunden, manche in fünf Stunden mit dem Geländewagen. Aber dann geht es zu Fuß weiter, in ziemlich große Höhen. Also, entweder wir bekommen Hubschrauber, oder wir nehmen Esel und Yak- Rinder."
    Angst vor dem Monsun
    Die Liste der Hilfsgüter, die die Kinder in den kommenden Wochen benötigen, ist lang. Es geht neben der hygienischen Versorgung um Zelte zum Schlafen und Zelte, in denen Krankenstationen untergebracht werden können. Ein Teil der Hilfsgüter ist bereits mit vier Transportflugzeugen in Kathmandu angekommen.
    Doch Karin Hulshof klingt trotzdem verzweifelt. Denn schon kündigen Regenfälle die Vormonsunzeit an. In wenigen Wochen, wenn der richtige Monsunregen einsetzt, werden sich die Trümmerwüsten in den Bergdörfern in Schlammwüsten verwandeln, wenn die Helfer nicht schnell genug sind.