Die Toten sind begraben. Jetzt geht es ums Überleben inmitten der Zerstörung. Im Distrikt Sindhupalchowk sieht es in den meisten Dörfern so aus, als hätte sie jemand aus der Luft dauerbombardiert - stundenlang, immer wieder.
Über 90 Prozent der Häuser in Sindhu sind zerstört. Überall liegen schwere Felsbrocken herum, die da nicht hingehören. Ganze Siedlungen, die sich in schmale Täler und an steile Berghänge schmiegen, sind von Tonnen von Erde und Geröll verschluckt worden. Ziegel- und Lehmhäuser haben sich in Trümmerberge verwandelt. Hier und da verbreiten verschüttete Tierkadaver Verwesungsgeruch.
"Wir haben unsere Behörden hier im Distrikt um Hilfe gebeten. Die haben zu uns gesagt: geht nach Hause, wartet da auf uns, wir kommen zu euch," erzählen die Dorfbewohner. "Aber sie sind nicht gekommen. Keiner von denen ist gekommen", klagen sie verbittert.
Kaum Hilfe, keine Informationen
Die kleine Siedlung, in der rund 20 Familien leben, gehört zum Bergdorf Guvinde. Um die Siedlung zu erreichen, braucht man mit einem Geländewagen von Kathmandu fast fünf Stunden. Die Siedlung liegt abseits der asphaltierten Straße, an einer kurvenreichen, steilen Buckelpiste, die von Steinschlag und abbrechenden Berghängen bedroht ist.
Hin und wieder taucht ein Helikopter am Himmel auf, der in Sekundenschnelle wieder weg ist. Die einzige Hilfe für die Menschen in der kleinen Bergsiedlung bislang: ein Sack Reis, als gestern ein Auto mit Japanern vorbeifuhr und anhielt. Von den Schwierigkeiten am Flughafen in Kathmandu und den bürokratischen Hürden für Hilfslieferungen wissen sie hier nichts.
"Was wir im Moment am dringendsten brauchen? Plastikplanen. Wir haben hier überhaupt keine Planen", erzählen die Dorfbewohner. Sie schlafen im Freien - in der Hoffnung, dass es nicht regnet. Ihre Terrassenfelder, die sie den Berghängen über die Jahre abgetrotzt hatten, sind zum Teil zerstört. Dabei reiften auf ihnen schon Weizen und Mais heran.
Der Monsun naht
Eigentlich müssten sich die Menschen hier jetzt auf die Aussaat von Reis vorbereiten. Der Monsun naht. Doch viele sind wie gelähmt. "Ja, es stimmt. Wir müssen uns auf die Aussaat vorbereiten. Aber wie sollen wir das machen? Wir haben kein Dach über dem Kopf. Wir brauchen erst eine Unterkunft und mehr Sicherheit", sagen sie. "Die Erde bebt doch immer noch. Und schauen Sie sich nur unsere Felder an: Es drohen neue Lawinen. Wir haben Angst."
Das große Beben, wie es die Nepalesen nennen, hat auch langfristig schwere Folgen: Ernten werden ausfallen. Menschen, die sich bis jetzt selber versorgt haben, werden auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen sein. Hoffnungsträger wie Sarita müssen sehr wahrscheinlich ihre Träume begraben. "Es geht mir schlecht, sagt die 20-Jährige. Ich könnte heulen." Sie studiert Wirtschaft und will mal Bankmanagerin werden. Sie war in Kathmandu, als die Erde bebte. Nach zwei Tagen fand sie endlich einen Bus, der sie nach Hause brachte.
"In unserem Haus kann man nicht mehr leben, darin kann man nur sterben", sagt Sarita. Bisher hat ihre Familie ihr Studium in Kathmandu bezahlt. Doch jetzt wird das Geld zum Überleben und für den Wiederaufbau gebraucht: "Erst die Familie, dann das Studium. Im Moment ist es echt schwer. Langfristig wäre es natürlich wichtig für meine Familie, dass ich mein Studium abschließe, um einen guten Job zu finden. Ich werde jetzt alles tun, um schnell Arbeit zu finden."
Doch die Arbeitslosigkeit in Nepal ist hoch. Die meisten Familien leben von der Landwirtschaft. Viele junge Nepalesen schuften im Ausland. Allein im WM-Gastgeberland Katar sind es rund 350.000. Junge Menschen, für die das eigene Land keine Alternative ist. Nach dem großen Beben werden sich noch mehr junge Migranten auf den Weg machen.