Onitha Dongul lugt aus dem Wellblechverschlag. Ihr Ehemann, Suraj, ist in Kathmandu, auf Arbeitssuche. Irgendwie muss Geld herein kommen. Die notdürftig zusammen gezimmerte Behausung wird nicht reichen für den Winter.
"Wir sind gebeutelt vom Schicksal. Dabei sah alles so rosig aus. So eine gute Familie, in die ich damals einheiratete. Wir hatten so viel Spaß mit allen. Nichts davon ist geblieben."
Onitha und Suraj haben im April geheiratet. Die tagelange Hochzeitsfeier wollten sie an dem Tag abschließen, an dem die Erde bebte. Sie machten sich am Tempel fein für eine letzte Zeremonie.
"Die anderen gingen zurück nach Hause, um zu Mittag zu Essen. An mehr kann ich mich nicht erinnern. Es tut zu weh."
Fünf Verwandte starben, als das Haus der Familie in sich zusammen fiel, darunter zwei Kinder, Onithas Neffen. Nur ihre Schwiegermutter überlebte.
Onitha und Suraj wohnten mitten in Sankhu, einer Kleinstadt nördlich von Kathmandu. Sankhu sah nach dem Erdbeben aus wie nach einem Bombenangriff. Viele Trümmer sind inzwischen weggeräumt. Die Läden haben geöffnet. Mobilfunkmasten, das Stromnetz – all das funktioniert wieder.
"Aber normal ist hier nichts, auch wenn das so wirkt", sagt Birendra Shresta, er wohnte in der Nachbarschaft von Onitha und Suraj. Birendra führt zu seinem Grundstück, sein früheres Haus ist ein Trümmerhaufen.
"Wir haben uns hier nebenan einen Unterschlupf gemauert. Einen Teil des Schutts konnten wir nutzen. Die Regierung wollte eigentlich Wellblech verteilen, aber wir haben nichts abbekommen. Wir mussten es kaufen. Unsere Ausgaben hat mein Bruder bezahlt."
Birendra weiß, was ihm zustehen müsste: ungefähr zweitausend Dollar und die Chance auf einen Kredit für den Wiederaufbau. Aber von dem Geld ist noch nichts nach Sankhu geflossen. Das räumt auch Govind Pokharel ein.
"Wir sind sehr langsam."
Wiederaufbau stockt wegen Ausschreitungen
Pokharel spricht ein wenig deutsch, er hat ein paar Monate in Flensburg studiert. Jetzt ist er der Vizechef der nationalen Planungskommission, über ihm steht nur der Premierminister. Vier Milliarden Dollar hatten die Weltbank, die asiatische Entwicklungsbank und mehrere Geberländer für den Wiederaufbau zugesagt. Bedingung: Nepal gründet eine Agentur, die das Geld transparent verteilt. Govind Pokharel soll sie leiten. Eigentlich. Denn die Regierung hat es bisher nicht geschafft, den Weg für die Behörde frei zu machen. Das Gesetz steckt im Parlament fest. Und eine andere politische Krise überlagert die Arbeit am Wiederaufbau. Nepal hat zwar im September nach acht Jahren Dauerstreit eine neue Verfassung bekommen. Aber weil die Verfassung den Minderheiten im Land volle Bürgerrechte verwehrt, gibt es heftige Ausschreitungen, die ganz Nepal lahmlegen. Dadurch stockt auch der Wiederaufbau.
"Die Geldgeber sind auch frustriert. Wir haben schon drei Monate verloren. Die Parteien hier waren überfordert. Und die Politiker wollen ein Wörtchen bei der Verteilung des Geldes mitreden, zumindest in ihren Wahlkreisen."
Pokharel hat die Pläne längst ausgearbeitet.
"Wie erhalten die Menschen ihre zweitausend Dollar? Welche Normen müssen die Häuser erfüllen? Wie bilden wir Handwerker aus, die auf den Baustellen eingesetzt werden? Was machen wir mit den Kulturgütern, die zerstört wurden? Ich hoffe, dass wir im nächsten Monat endlich konkret anfangen können."
Andere sind da weniger optimistisch, zum Beispiel Max Santner – er leitet die Delegation des Internationalen Roten Kreuzes in Nepal.
"Verantwortlich für den Wiederaufbau ist natürlich die Regierung des Landes. Wir als Hilfsorganisationen können das unterstützen. Aber die Hauptverantwortung liegt bei der eigenen Regierung. Und die nehmen wir, gelinde gesagt, nicht wirklich wahr. Es hat jetzt wieder Wahlen gegeben, es wird eine neue Regierung installiert, die Hoffnungen sind groß, aber ob jetzt tatsächlich diese notwendige Wiederaufbauagentur installiert wird, werden wir sehen. Diese Agentur ist einfach notwendig, um uns anzuleiten und zentral zu koordinieren."
Santner sieht die Geldgeber in der Pflicht, Druck auf Nepal auszuüben –darunter die Weltbank und auch die Europäische Union. Er konzentriert sich deshalb auch auf die Hilfe, die immer noch unmittelbar anstehet: Als Erstes benötigen viele Menschen, vor allem in den Bergen, winterfeste Unterkünfte. Noch immer drohen Krankheiten, wenn die Versorgung mit Trinkwasser nicht sicher gestellt wird. Insgesamt aber müssen 9.000 Häuser wieder aufgebaut werden. Viertausend Schulen. Hunderte Tempel.
Fünf Jahre hat Chefplaner Govind Pokharel für den Wiederaufbau veranschlagt, wenn er denn mit der Arbeit beginnen kann. Das ist ambitioniert für ein so armes Land wie Nepal, und doch ein ziemlich langer Zeitraum für Menschen wie Birendra Shrestra und seine Familie im Städtchen Sankhu.
"Ob wir unser Haus jemals wieder aufbauen werden, daran habe ich meine Zweifel."