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Nepal
Überleben in Singati

Ein Jahr ist das verheerende Erdbeben nun her, und viele Menschen in Nepal warten noch immer auf das versprochene Geld von der Regierung - so wie Janak Bahardur und Khali Tamang. Sie leben in Singati, zehn Autostunden von Kathmandu entfernt. Das bedeutet für sie: Kein Strom, kein Internet - und dazu viel Last mit der Bürokratie.

Von Jürgen Webermann |
    Sie sehen den Nepalesen Janak Bahardur mit einer bunten Mütze unter einem gelben Sonnensegel.
    Janak Bahardur ist schon vier Mal nach Singati gelaufen, um Geld zu bekommen. Vergebens. (ARD / Jürgen Webermann)
    Etwas ratlos hocken sie auf dem Rasen, vor der Sonne geschützt durch eine Zeltplane. Vor ihnen ein leerer Tisch. Hier sollte eigentlich ein Mitarbeiter einer nepalesischen Staatsbank sitzen. Aber niemand ist gekommen. Nur ein paar Sicherheitsleute zeigen sich im Ortskern des Städtchens Singati. Die Spuren des Bebens überall zu sehen. Wenige Häuser stehen noch. Die meisten Menschen leben in Wellblech-Hütten. Mehrere Hänge im Tal sind von den Erdrutschen ganz kahl. Janak Bahardur zupft an seiner Mütze. Er muss seinen Ärger unterdrücken.
    "Ich bin um vier Uhr heute früh in meinem Dorf gestartet. Bis hierher nach Singati sind es drei Stunden. Heute bin ich diesen Weg zum vierten Mal gelaufen. Aber es gibt ständig Probleme mit der Bürokratie. Ständig stimmt irgendetwas mit meinen Dokumenten nicht."
    Sie sehen von oben herab auf ein Tal mit einfachen Hütten.
    Zehn Autostunden von Kathmandu entfernt liegt Singati. (ARD / Jürgen Webermann)
    Menschen wie Janak aus den Dörfern rund um Singati sollen eigentlich die ersten Erdbebenopfer sein, die Geld aus dem staatlichen Wiederaufbauprogramm erhalten. 50.000 Rupien fürs Erste, das sind etwas mehr als 400 Euro. Fast genau ein Jahr nach dem Erdbeben, das so gut wie alle Dörfer in den Bergen rund um Singati restlos zerstört hatte. Janaks Haus, so erzählt er, wurde durch das erste Beben Ende April beschädigt. Während des zweiten Bebens knapp zwei Wochen später stürzte es ein.
    Den Reis konnten sie nicht aussäen
    Janak ist Landwirt. Seit einem Jahr kann er aber seiner Arbeit kaum noch nachgehen. Helfer versorgten die Bauern mit einem Stück Wellblech, aber sie mussten noch mehr davon kaufen, um sich rechtzeitig vor dem Monsun Unterstände zu bauen. Den Reis konnten sie nicht mehr aussähen. Durch das Beben ist auch noch das Bewässerungssystem in Janaks Dorf zerstört. Er ist angewiesen auf Lebensmittel-Lieferungen. Im Winter verteilte die Regierung etwas Geld, damit er sich warme Anziehsachen kaufen konnte.
    Ein paar Meter weiter tut sich etwas. Eine Gruppe hört einem jungen Mann mit Hornbrille zu. Es ist Utsav, ein Freiwilliger aus Kathmandu, der Hauptstadt. Er will den Menschen in Singati helfen, an ihr Geld zu kommen.
    "Wir versuchen, den Menschen so viel wie möglich darüber zu erklären. Wie sie ein Bankkonto eröffnen, und dass sie Bank-Karten erhalten statt Bargeld."
    Alles verzögert sich
    Die meisten Bauern haben kein Bankkonto, eine Bank-Karte haben sie noch nie gesehen. Jetzt wollen die Banken mobile Geldautomaten in die Dörfer bringen. In jedem Dorf soll ein Einwohner zum Banker ausgebildet werden, der die Automaten betreibt. Aber die Errungenschaften des 21. Jahrhunderts funktionieren in Singati nicht. Es gibt keinen Strom und kein Internet, deshalb verzögert sich alles. Auch an diesem Vormittag.
    "Ja, das ist ein echtes Problem. Die Dörfer bräuchten ja auch eine Verbindung. Einige sind schon angeschlossen, die anderen sollen bald eine bekommen. Die nepalesische Telekom will uns helfen."
    Eine weitere Herausforderung ist die nepalesische Politik. Vier Milliarden Euro hat die internationale Gemeinschaft Nepal nach dem Beben versprochen. Einzige Bedingung: Die Regierung sollte eine Wiederaufbaubehörde gründen, die das Geld transparent verwaltet. Das dauerte jedoch acht Monate, auch, weil Nepal in einer politischen Dauerkrise steckte.
    "Wir wollen ja unsere Dörfer aufbauen, aber wir können es nicht"
    Und so ist auch Khali Tamang weiter skeptisch. Die 45-jährige läuft seit drei Tagen jeden Morgen nach Singati. Khali hatte bei dem Beben vor einem Jahr ihre Hand gebrochen. Auch sie hofft, jetzt endlich an ihr Geld zu kommen. Mal fehlte ein Passfoto, mal eine Grundstücksurkunde. Oder aber der Strom.
    Sie sehen die Nepalesin Khali Tamang. Sie trägt ein rotes Oberteil und hat einen roten Punkt auf der Stirn.
    Auch Khali Tamang wünscht sich mehr Hilfe für den Wiederaufbau in Nepal. (ARD / Jürgen Webermann)
    "Wir sind arm. Wir wollen ja unsere Dörfer aufbauen, aber wir können es nicht. Vielleicht muss ich meinen Mann in den Nahen Osten schicken, damit er das Geld dort verdient. Aber er will nicht weg. Er hat Angst, dass er nicht da ist, wenn uns das nächste Erdbeben trifft."
    Khalis Familie, das sind zehn Menschen. Sie konnten nach dem Beben ein wenig Mais anbauen. Ansonsten leben auch sie unter Wellblech und von Hilfslieferungen.
    Wo bleibt der Mitarbeiter der Staatsbank?
    "Die Regierung sagt ja immer: Ihr bekommt Euer Geld. Aber dann passiert einfach nichts."
    So wie es aussieht, wird Khali auch heute mit leeren Händen zurück in ihr Dorf wandern müssen. Etwas verlegen machen sich Utsav und die anderen Freiwilligen auf den Weg zum Marktplatz. Statt bei der Auszahlung zu helfen, müssen sie einen Dieselgenerator organisieren. Und der Mitarbeiter der Staatsbank, der ist noch immer nicht aufgetaucht in Singati.