Archiv


Neskovic fordert "ernsthafte Reform des Verfassungsschutzes"

Das Bundesamt für Verfassungsschutz will künftig nur noch Teile der Partei Die Linke beobachten. Wolfgang Neskovic fordert über diese Wende hinaus eine Reform der Arbeit von Nachrichtendiensten. Sie arbeiteten praktisch in einem rechtsfreien Raum - auch die parlamentarische Kontrolle sei "ein Witz".

Das Gespräch führte Tobias Armbrüster |
    Tobias Armbrüster: Für das Bundesamt für Verfassungsschutz war es schon seit Längerem eine Praxis, die sich nur schwer rechtfertigen lässt: die Beobachtung der Links-Partei. Jahrelang hatten die Verfassungsschützer die Partei auf dem Kieker. Gestern wurde in Berlin nun bestätigt, dass künftig nur noch einige Teilgruppen der Linken beobachtet werden sollen. Das Bundesamt für Verfassungsschutz fährt also seine Aktivitäten in Sachen Linkspartei zurück. Einige in Berlin vermuten dahinter einen grundsätzlichen Schwenk bei der Behörde.

    Am Telefon ist jetzt Wolfgang Neskovic, er saß bis im vergangenen Jahr für die Linksfraktion im Bundestag. Inzwischen ist er aus der Fraktion ausgetreten, nach wie vor aber als Rechtspolitiker aktiv. Schönen guten Morgen, Herr Neskovic.

    Wolfgang Neskovic: Ja, schönen guten Morgen.

    Armbrüster: Können Sie bestätigen, Herr Neskovic, was meine Kollegin Gudula Geuther da in Berlin erfahren hat? Will sich das Bundesamt für Verfassungsschutz künftig nur noch auf die wirklich gefährlichen Aufgaben konzentrieren?

    Neskovic: Ich lese das auch und glaube, dass das sicherlich eine Änderung ist, die aber letztlich minimaler Natur ist. Wir brauchen viel umfassendere Reformen. Man muss sich vor Augen führen, dass der Personaleinsatz für die Beobachtung der Linken im Promillebereich lag im Verhältnis zu den Mitarbeitern, die überhaupt beim Bundesamt tätig sind. Es sind über 2700 und vielleicht waren das 10, 15, 20 Mitarbeiter, die sich um diesen Bereich gekümmert haben, sodass man allein schon an dieser Zahl erkennen kann, dass das nicht eine Reform beim Bundesamt ist, auch kein grundsätzlicher Richtungsschwenk. Es ist im Grunde genommen eigentlich das, was sich jetzt ohnehin eigentlich andeutet. Die Rechtslage für die Beobachtung von Linken-Bundestagsabgeordneten und die Beobachtung der Linken ist aus meiner Sicht – ich bin lange Richter gewesen –, rechtlich nicht zu vertreten. Die Argumentation bewegt sich juristisch auf Kindergarten-Niveau. Also es findet eine Korrektur statt, die längst überfällig war, die aber nichts mit einer grundlegenden Reform des Verfassungsschutzamtes zu tun hat.

    Armbrüster: Aber wäre das nicht eine sehr deutliche und damit eine grundlegende Reform, wenn das Bundesamt tatsächlich sagen würde, wir lassen diese Kleinigkeiten alle jetzt künftig weg und wir widmen uns wirklich nur noch den gefährlichen, den wirklich brisanten Menschen und Parteien?

    Neskovic: Das ist ja ursprünglich genau die gesetzliche Aufgabe und aus politischen Gründen hat man jetzt, um beispielsweise die Linke zu stigmatisieren und in Verruf zu bringen, den Verfassungsschutz zweckentfremdet, um sich im politischen Wettbewerb einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen. Ich bin ja sieben Jahre lang in dem Geheimdienstgremium tätig gewesen und mein Eindruck ist immer gewesen, dass auf der rein fachlichen Ebene die Verfassungsschützer das ohnehin für überflüssig gehalten haben und auch für unvertretbar gehalten haben. Aber es waren eben politische Entscheidungen der jeweils dafür zuständigen Innenminister, die sich im politischen Wettbewerb einen Wettbewerbsvorteil verschaffen wollten, weil diejenigen, die im Verfassungsschutzbericht stehen, die sind generell verdächtig, gefährlich, und es gibt sicherlich Wählerinnen und Wähler, die sich deswegen davon abhalten lassen, diese Partei zu wählen. Das heißt, man korrigiert eigentlich etwas, was man längst schon hätte korrigieren müssen. Aber damit wird keine ernsthafte Reform des Verfassungsschutzes eingeleitet.

    Armbrüster: Wie würde denn eine ernsthafte Reform Ihrer Meinung nach aussehen?

    "Die parlamentarische Kontrolle ist letztlich ein Witz"
    Neskovic: Wir müssten in jedem Fall erst mal die Rechtsvorschriften für die Nachrichtendienste ändern. Die sind so weit gefasst, dass das praktisch einen rechtsfreien Raum für die Nachrichtendienste bedeutet. Wir haben in dem Bereich kaum Rechtsprechung, die diese weit gefassten Begriffe konkretisiert. Wir brauchen eine deutliche Stärkung der administrativen Kontrolle. Auch die parlamentarische Kontrolle ist letztlich ein Witz. Ich habe einmal gesagt, was wir wissen, ist ein Tropfen, was wir nicht wissen ist ein Ozean. Das beschreibt ungefähr korrekt die Wissenslage des Parlamentarischen Kontrollgremiums. Wir brauchen – und das wäre ganz entscheidend – auch eine Auflösung und Umwandlung der Landesämter zu Außenstellen des Bundesamtes und wir brauchen auch eine Abschaffung der V-Leute. Das wäre eine ernsthafte Reform und das würde eigentlich auch dem Gedanken Rechnung tragen, das Bundesamt wieder zurückzuführen auf seine Kernaufgaben.

    Armbrüster: Jetzt hat die Politik also entschieden, die Beobachtung der Linkspartei zumindest beim Bundesamt wird zurückgefahren. Ist Ihr Eindruck, haben die Politiker in der Regierung und möglicherweise auch die Verfassungsschützer da ein bisschen was gelernt aus der Kritik, die ihnen immer entgegengeschlagen ist für diese Beobachtungspraxis?

    Neskovic: Ich glaube, ernsthaft nicht. Es ist bloß für den Letzten klar geworden das eklatante Versagen bei der Aufklärung und bei der Verhinderung der NSU-Mordserie, und im Verhältnis dazu ist die Beobachtung der Linkspartei, auch dazu noch mit öffentlichen zugänglichen Quellen - das heißt also, das Bundesamt hat sich eigentlich auf das beschränkt, was meine Mitarbeiter machen, wenn sie meine Pressearbeit dokumentieren und archivieren -, das ist völlig lächerlich, denn damit bringt man ja zum Ausdruck, wenn man sich nur auf öffentliche Erklärungen beschränkt, die zu sammeln, dass man die gar nicht ernst nimmt, dass man gar nicht weiß, dass die unsere Verfassungsordnung stürzen könnten. Das so etwas klandestin, also geheim geschieht, ist offenkundig, deswegen haben ja Geheimdienste auch geheimdienstliche Mittel, und die hat man hier gerade zumindest beim Bundesamt nicht angewandt und hat damit ganz eindeutig gestanden, dass man sie nicht für gefährlich hält, sondern dass es nur darum geht, sie politisch zu diffamieren. Und wenn man das ins Verhältnis setzt zu dem Versagen bei der NSU-Mordserie – und das ist damit auch dem Letzten klar geworden -, werden hier die Schwerpunkte völlig falsch gesetzt. Diesen Eindruck, den fängt man jetzt an zu korrigieren, was ja nichts daran ändert, dass weiterhin Abgeordnete beobachtet werden. Abgeordnete, die eigentlich die Regierung kontrollieren sollen, die werden beobachtet, ohne dass es speziell für Abgeordnete dafür eine Rechtsgrundlage gibt. Auch das halte ich eindeutig für verfassungswidrig. Ich habe ja als Justiziar der Fraktion die Lage unserer Fraktion zu diesem Punkt begleitet und unterstützt und kann nur hoffen, dass das Bundesverfassungsgericht sehr viel grundsätzlicher, als es jetzt in der Politik geschieht, diesem Spuk ein Ende setzt.

    Armbrüster: Könnte es denn sein, wenn die Beobachtung der Linkspartei jetzt so ein bisschen delegiert wird an die Landesämter für Verfassungsschutz, dass das Ganze so etwas mehr im Verborgenen bleibt und sich auch nicht mehr so leicht kontrollieren lässt?

    Neskovic: Das ist sicherlich richtig. Man kann es eigentlich auch gar nicht delegieren. Die einheitlichen Aufgaben, die sind da. Es gibt da Landesämter, zumindest nach dem, was man liest, die auch mit nachrichtendienstlichen Mitteln die Linke beobachten, beispielsweise in Niedersachsen. Man muss wissen, dass die nach dem Gesetz verpflichtet sind, ihre Erkenntnisse dem Bund zu übermitteln, sodass es äußerst scheinheilig ist, wenn das Bundesamt sagt, wir beobachten sie nicht, sie aber gleichzeitig in ihren Akten Informationen zur Verfügung haben, die aus nachrichtendienstlichen Mitteln in den Ländern an das Bundesamt herangetragen werden im Rahmen der gegenseitigen Informationspflicht, die Landesämter und das Bundesamt miteinander haben.

    Armbrüster: Der parteilose Bundestagsabgeordnete und Rechtspolitiker Wolfgang Neskovic war das live bei uns hier in den "Informationen am Morgen". Vielen Dank, Herr Neskovic, für das Gespräch heute Morgen.

    Neskovic: Ich danke Ihnen auch. Auf Wiederhören!

    Armbrüster: Auf Wiederhören.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

    Mehr zum Thema:
    Friedrich will Kompetenzen des Bundesamtes für Verfassungsschutz stärken
    Verfassungsschutzreform: Bund und Länder einig