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Nestmeyer (PEN) über Liu Xia
"Deutschland war immer ein Ziel"

Die chinesische Dichterin Liu Xia ist nach acht Jahren Hausarrest in Deutschland eingetroffen. Der Vizepräsident des deutschen PEN-Zentrums, Ralf Nestmeyer, vermutete im Dlf einen Zusammenhang zum gestrigen Treffen zwischen dem chinesischen Premier und der deutschen Bundeskanzlerin.

Ralf Nestmeyer im Gespräch mit Britta Fecke |
    Liu Xia bei ihrer Zwischenlandung in Helsinki hebt vor Freude die Arme in Luft
    Nach acht Jahren unter Hausarrest dufte Liu Xia China verlassen - Liu Xia bei ihrer Zwischenlandung in Helsinki (picture alliance / dpa /Lehtikuva / Jussi Nukari)
    Britta Fecke: Fast ein Jahr nach dem Tod ihres Mannes, des Nobelpreisträgers Liu Xiaobo, durfte die chinesische Künstlerin Liu Xia China überraschend verlassen und ist nun in Deutschland angekommen. Sie selbst steht seit acht Jahren unter Hausarrest. Eine Zeit, die sie an den Rand des Selbstmordes getrieben hat. Die Freilassung der Künstlerin wurde als lange überfällige humanitäre Geste weltweit begrüßt. Viele Politiker, auch die deutsche Kanzlerin und international gefeierte Schriftsteller, hatten sich für die Ausreise Liu Xias eingesetzt auch das PEN-Zentrum. Warum wollte Liu Xia nach Deutschland und nicht nach Finnland, wo sie zuvor zwischengelandet war?
    Ralf Nestmeyer: Es gab sehr viele Kontaktpersonen, Freunde, die bereits hier in Deutschland leben, und so war das unter anderem ein Wunsch gewesen. Der deutsche PEN hatte ja sogar mal letztes Jahr im August eine Writers-In-Exile-Wohnung freigehalten über ein paar Wochen hinweg, weil man damals schon damit rechnete, dass sie ausreisen darf. Das hat sich dann wieder zerschlagen, da wurde diese Wohnung anderweitig vergeben. Also, Deutschland war schon immer so ein Ziel gewesen.
    Ehrenmitglied des deutschen PEN
    Fecke: Sie sprechen es selber an: Seit August des letzten Jahres ist ja Liu Xia Ehrenmitglied des deutschen PEN. Das heißt also, neben der symbolischen Aussage hat es auch ganz praktische Auswirkungen?
    Nestmeyer: Genau. Sie wurde zum Ehrenmitglied des deutschen PEN, sozusagen symbolträchtig, dass man sie dazu ernannt hatte. Ihr verstorbener Ehemann hat ja auch den vom deutschen PEN mitvergebenen Hermann Kesten-Preis erhalten, also da gab es schon seit längerem engere Verbindungen.
    Fecke: Mit der Verleihung des Friedensnobelpreises 2010 für den langen und gewaltlosen Kampf für Demokratie und Menschenrechte, wie es damals hieß, wurde ihr Mann, Liu Xiaobo unter Hausarrest gestellt. Da stellt sich ja doch die Frage, ob so Solidaritätsbekundungen aus westlichen Demokratien nicht auch kontraproduktiv sind, oder?
    Nestmeyer: Das ist natürlich immer die Frage, ob das kontraproduktiv ist oder eben nicht. Es wurde versucht, ja auch von der Bundesregierung selbst, hinter den Kulissen da miteinzuwirken schon seit längerer Zeit. Und aber andersrum denken wir vom deutschen PEN wie auch der internationale PEN, dass man jemanden ja nicht sozusagen dann der Vergessenheit anheim fallen lassen darf. Und deswegen gab es natürlich immer wieder Aktionen, um daran zu erinnern, dass sie seit sieben Jahren unter Hausarrest auch steht.
    "Mit einer gewissen Diplomatie" verbunden
    Fecke: Die Ausreise der Dichterin fällt mit dem Besuch von Chinas Ministerpräsident Li Keqiang zu den deutsch-chinesischen Regierungskonsultationen jetzt in Berlin zusammen. Eine Sprecherin des chinesischen Außenministeriums bestreitet den Zusammenhang. Was glauben Sie?
    Nestmeyer: Ich kann mir durchaus vorstellen, dass es durchaus was mit einer gewissen Diplomatie zu tun hat. Würde man natürlich nie so offiziell dann verlautbaren, denke ich, jedenfalls nicht die chinesische Regierung. Aber da können durchaus Zusammenhänge da gewesen sein.
    Fecke: An diesem Freitag jährt sich ja auch der erste Todestag ihres Mannes, Liu Xiaobo. In Berlin sind auch Gedenkveranstaltungen geplant: Herta Müller und Wolf Biermann haben ihre Teilnahme angekündigt. Können Sie sich vorstellen, dass auch Liu Xia daran teilnehmen wird?
    Nestmeyer: Ich weiß jetzt nicht genau ihren Gesundheitszustand. Ich denk, der war in der letzten Zeit, was immer übermittelt worden ist, war es ziemlich schlecht darum bestellt. Ich denke mal, dass sie sicherlich medizinisch untersucht werden wird. Und dann denke ich, ist es, sollte es ihr wirklich gut gehen, von ihrem Willen abhängig. Wenn sie das dann gerne möchte, um ein Zeichen zu setzen, dann wird sie wahrscheinlich daran teilnehmen, aber da kann ich nicht in sie hineinschauen.
    Große Unterstützung namhafter Autoren
    Fecke: Als man das letzte Mal von ihr hörte über einen Freund, der sie telefonisch erreicht hatte in ihrem Hausarrest, klang es so, als hätte sie mit ihrem Leben schon abgeschlossen und würde auch mit dem Gedanken spielen, aus dem Leben zu scheiden, weil sie hier nichts mehr hält, wie sie sagte. Was wissen Sie über ihre künstlerische Arbeit aus den letzten Jahren?
    Nestmeyer: Da weiß ich jetzt auch nicht so sehr viel, nur was allgemein auch so verlautbart wurde. Sie hat natürlich dann Gedichte geschrieben, es wurde ja auch unlängst auch zum Beispiel eine große Aktion gestartet vom internationalen PEN, wo ganz renommierte Autoren wie zum Beispiel Paul Auster et cetera Gedichte von ihr in einer Videobotschaft gelesen haben. Diese Aktion hatte auch den Hintergrund eben, an sie zu erinnern und an ihr Schicksal zu erinnern und da auch weiterhin aufzurütteln.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.