Sandra Schulz: Eine Atombombe in den Händen Teherans, das ist das Szenario, das Europa wie die USA wie auch Irans Nachbar Israel dringend vermeiden wollen. Das war’s dann aber auch schon mit den Gemeinsamkeiten. So leidenschaftlich die Europäer jetzt dafür kämpfen, den Iran im Atomabkommen zu halten, so entschieden verteidigt US-Präsident Donald Trump seinen Schritt, sich aus dem Abkommen verabschiedet zu haben, und so groß ist darüber die Begeisterung in Israel. Keine einfache Ausgangslage für das Treffen heute in Berlin. Bundeskanzlerin Angela Merkel empfängt dann den israelischen Regierungschef Benjamin Netanjahu. Und der Iran, das ist nicht das einzige Konfliktthema.
Mitgehört hat der Vorsitzende der deutsch-israelischen Parlamentariergruppe, der FDP-Fraktionsvize Alexander Graf Lambsdorff. Einen schönen guten Morgen!
Alexander Graf Lambsdorff: Schönen guten Morgen, Frau Schulz.
"Das muss man Herrn Netanjahu in dieser Deutlichkeit sagen"
Schulz: Was gibt es zum Atomabkommen eigentlich noch zu besprechen?
Graf Lambsdorff: Ich glaube, es ist wichtig, dass man dem Premierminister deutlich macht, wie wichtig aus rüstungskontrollpolitischer Sicht dieses Abkommen ist. Es besteht ja nach wie vor. Der Ausstieg der USA hat ja nicht das Abkommen als solches ungültig gemacht. Denn der Kern dieses Abkommens, die Inspektionen der Internationalen Atomenergieorganisation im iranischen Nuklearprogramm, der ist wirklich wertvoll und den sollten wir erhalten, und das, glaube ich, muss man Herrn Netanjahu auch in dieser Deutlichkeit sagen.
Rüstungskontrollabkommen sind immer unvollständig. Sie decken nie alles ab, was ja zum Teil diskutiert worden ist: Warum sind die Raketen nicht dabei? Warum ist die Regionalpolitik nicht dabei? – Das ist einfach nicht die Natur von Rüstungskontrollabkommen. Ich glaube, das muss man Herrn Netanjahu in dieser Deutlichkeit auch klarmachen.
Schulz: Jetzt sagen Israel und die USA aber auch konkret: Wenn wir auf den Schutz vor den Atomwaffen oder einem Atomprogramm des Iran schauen, das ist eigentlich kein Schutz, der da festgeschrieben ist im Atomabkommen, sondern allenfalls ein Schützchen, weil das Verbot ja auch zeitlich befristet ist. – Wenn die Partnerschaft zwischen Deutschland und Israel so eng ist, wie immer wieder gesagt wird, warum nimmt man dann dieses Argument, auch diese Sorge Israels schlichtweg nicht ernst in Berlin?
"Das ist ein gutes Abkommen"
Graf Lambsdorff: Zum einen muss gesagt werden, dass die Partnerschaft zwischen Deutschland und Israel wirklich eng ist. Nach den USA ist Deutschland der zweitwichtigste Partner für das Land. Ich habe das in Brüssel viele Jahre lang erlebt, dass gerade Deutschland sich auch immer wieder für Israels Interessen in der Europäischen Union eingesetzt hat. Ich glaube, das ist ganz wichtig, dass man das im Kopf hat.
Und dennoch: Rüstungskontrollabkommen, Abrüstungsabkommen, die haben ganz oft eine zeitliche Befristung. Sie sind nicht immer umfassend. Und ich glaube, das was wir hier haben an dem JCPOA, diesem gemeinsamen Handlungsplan, das ist ein gutes Abkommen. Es ist ausgehandelt worden mit dem Iran als Gegenleistung für die ja gegenüber dem Iran ausgesprochen wirksamen Sanktionen, dass man die aufhebt. Und ich glaube, dass deswegen hier ein Meinungsunterschied, so er denn besteht – und der liegt ja offen zutage -, dann auch etwas ist, das unsere Beziehungen aushalten kann zwischen Deutschland und Israel.
Schulz: Aber sagen Sie noch mal: Woran merkt man, dass diese Partnerschaft so eng ist? Wir haben jetzt diese beiden, für Israel ja wirklich großen und wichtigen Gesten aus den USA gesehen. Einmal dieser Rückzug aus dem Atomabkommen und aber natürlich auch der Umzug der Botschaft nach Jerusalem, beides ja scharf kritisiert von der Bundesregierung. Welche Rolle soll Deutschland denn da überhaupt noch spielen?
Graf Lambsdorff: Ich glaube, Europa ist für Israel einfach wichtig. Deutschland in Europa auch. Europa ist der größte Exportmarkt für israelische Produkte. Und wir dürfen eines nicht vergessen: Wir haben als Deutschland eine besondere Verantwortung für die Sicherheit Israels. Das macht sich unter anderem dadurch bemerkbar, dass wir Israel dabei unterstützen, seine Sicherheit auch zu gewährleisten durch Rüstungsexporte, durch eine Unterstützung der israelischen Streitkräfte. Ich glaube, das sind wichtige Punkte und das weiß man in Jerusalem auch sehr genau.
"Nicht in Richtung einer Ein-Staaten-Lösung gehen"
Schulz: Wie soll die Verstimmung, die ja auch da ist über die israelische Siedlungspolitik und auch diese Mahnungen ja immer wieder zur Verhältnismäßigkeit, in welcher Form, die nicht schon ixmal vorgebracht wurde, soll das noch zur Sprache kommen?
Graf Lambsdorff: Ich glaube, es wird darauf ankommen, dass die Bundesregierung deutlich macht, dass wir nach wie vor zur Zwei-Staaten-Lösung stehen. Ich glaube, es ist im israelischen Interesse, nicht in Richtung einer Ein-Staaten-Lösung zu gehen. Es ist auch im israelischen Interesse, nicht eine absolute Perpetuierung der Situation im Westjordanland anzustreben mit einem Zwischenstadium, so wie es im Moment ist, sondern es muss zumindest die Option auf einen Verhandlungsprozess mit einer Zwei-Staaten-Lösung am Ende erhalten bleiben. Da gibt es den einen oder anderen Punkt, insbesondere die Siedlungspolitik, die haben Sie angesprochen, die wir kritisch sehen, und ich glaube, das ist etwas, was man auch wieder deutlich machen muss. Gerade die Ausweisung des Gebietes E1 und die jüngsten Genehmigungen erschweren diese Möglichkeit. Das ist ein Thema, das wir seit vielen Jahren ansprechen.
Wir dürfen eines nicht vergessen: Israel ist die einzig funktionierende Demokratie im Nahen Osten und die Regierung Israels verfolgt eine Politik, die die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger im Land unterstützt. Wir sind an der Stelle anderer Meinung, aber auch das, will ich noch mal sagen, das muss man unter Freunden offen ansprechen.
"Echte europäische Grenzpolizei" ist zu begrüßen
Schulz: Alexander Graf Lambsdorff, wir wollen und müssen heute Morgen thematisch jetzt einen Strich machen unter dieses Thema. Wir wollen noch schauen auf die Antwort von Angela Merkel, die jetzt ihrerseits Reformvorschläge zur Europäischen Union vorlegt, jetzt nach vielen Monaten Verzug antwortet auf den französischen Präsidenten Emmanuel Macron mit einem langen Interview gestern in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Viele verstehen das, was sie sagt, als ein "Ja, aber" zu den Vorschlägen von Macron. Geht das aus FDP-Sicht in die richtige Richtung?
Graf Lambsdorff: Es ist eine Mischung aus Maßnahmen, die wir begrüßen, aus symbolischen Nebelkerzen, wo so getan wird, als ob man auf Macron zuginge, aber in der Realität nicht wirklich etwas passiert, und dem Beschweigen bestimmter wichtiger Themen, die gar nicht erst angesprochen werden. Wo es nach unserer Auffassung in die richtige Richtung geht ist, dass jetzt aus Frontex wirklich eine echte europäische Grenzpolizei werden soll, nicht diese Agentur, die in Warschau sitzt und mit sehr begrenzten Mitteln versuchen muss, unsere Außengrenze abzusichern, was zurzeit ja gar nicht geht. Man hat den Menschen etwas vorgemacht über viele Jahre. Wenn sich das ändert, dann soll uns das recht sein.
Wo es eine Nebelkerze gibt, das ist die Weiterentwicklung der Eurozone über den sogenannten Investivhaushalt. Die Kanzlerin macht hier einen Topf in Europa auf mit ein paar Milliarden Euro drin. Das wird absehbar überhaupt nichts bringen. Wir haben eine große und starke europäische Investitionsbank. Da haben wir ein Instrument, das müssen wir besser nutzen. Da könnte man etwas tun. Aber einen symbolischen Topf nach Europa zu stellen, das bringt wirklich nicht viel.
Und dann, wo die Kanzlerin schweigt, das ist das ganze Thema Digitalisierung. Aber das kennen wir schon. Emmanuel Macron hat ja völlig zurecht gesagt, wir müssen in der digitalen Wirtschaft erst mal die Innovationskraft Europas nach vorne bringen. Das ist das eine und das zweite ist: Wir müssen digitale Unternehmen ganz anders besteuern als in der Vergangenheit, und da ist leider nichts zu hören gewesen. Aber ich glaube, das ist gerade aus französischer Sicht ein besonders wichtiges Thema.
Kredite nur mit Auflagen für Wirtschaftsreformen
Schulz: Jetzt haben Sie einmal das Spektrum Revue passieren lassen. Wenn wir auf das kommen, was Sie gerade einen Symboltopf nennen, dann ist doch die Frage: Es soll da ja um einen zweistelligen Milliardenbetrag gehen. Es soll auch immer noch EU-Bürger geben, die das nicht unbedingt als Peanuts sehen. Ist das nicht genau das, was die FDP nie wollte, noch mehr Geld nach Europa, um dann gegebenenfalls Krisenstaaten zu retten mit Krediten, die zwar auf fünf Jahre befristet sein sollen, aber wo dann ja auch die Frage ist, ob die jemals zurückgezahlt werden können?
Graf Lambsdorff: So ist es. Es handelt sich dabei um eine Maßnahme, die wirklich nicht sinnvoll ist. Denn wenn es um Krisenstaaten geht, auch dafür gibt es ein Instrument. Das ist der Europäische Stabilitätsmechanismus. Der sitzt in Luxemburg, wird von Herrn Regling, einem Deutschen geleitet, und der soll weiterentwickelt werden zu einem Europäischen Währungsfonds, der Ländern in der Krise mit Krediten hilft. Aber diese Kredite – und das ist die Ansicht der FDP – müssen verbunden sein mit Auflagen für Wirtschaftsreformen, für nachhaltige Haushaltspolitik, für solide Finanzen, weil nur so wird ja langfristig Stabilität, Wirtschaftskraft, Innovationskraft entwickelt werden. Mit anderen Worten: Dieser Investivhaushalt ist, ich sage es noch mal, eine Nebelkerze. Es wird absehbar nichts bringen. Die Instrumente, die es gibt, der europäische Haushalt, also der EU-Haushalt als solcher, den wir seit Jahrzehnten haben, der muss modernisiert werden. Die europäische Investitionsbank, die privates Kapital für strategische Investitionen mobilisiert, und ein Europäischer Währungsfonds, der Ländern der in der Krise hilft, das sind die drei Hebel, mit denen man wirklich was erreichen kann. Einen solchen Topf voll Geld nach Brüssel zu stellen, aus dem sich die Regierungen dann bedienen können, das wird die Anreize für Reformen eher schwächen als stärken, und das ist deswegen der falsche Weg.
"Macron argumentiert schon stringent"
Schulz: … ist aber gleichzeitig im Moment auch der größte Dissenspunkt, soweit sich das beurteilen lässt, einen Tag, nachdem die Kanzlerin ihre Vorschläge präsentiert hat. Dem französischen Präsidenten Macron schweben da ja noch ganz andere Summen vor. Der würde gerne dreistellige Milliardenbeträge in die Hand nehmen. Wäre die Kanzlerin denn klug beraten zu sagen, sorry, Emmanuel, nette Idee, aber wir machen es wie immer, wie wir Deutschen sagen?
Graf Lambsdorff: Aus Macrons Sicht argumentiert er an der Stelle schon stringent. Er sagt, wir brauchen diesen Topf, von dem ich eben gesprochen habe. Aber damit der überhaupt wirksam werden kann, muss da natürlich so viel Geld drin sein, dass das makroökonomisch auch Folgen hat, wenn man daraus Geld nimmt. Da ist er natürlich schnell im dreistelligen Milliardenbereich.
Aber nur mal zum Vergleich: Der deutsche Bundeshaushalt hat 330, 340 Milliarden Euro. Der EU-Haushalt hat pro Jahr ungefähr 130, 135 Milliarden. Wenn wir über dreistellige Milliardenbeträge reden, dann reden wir hier über eine Verdoppelung mindestens des europäischen Haushalts, des EU-Haushalts pro Jahr. Ich halte das wirklich für einen Weg, wo völlig unklar ist, wo das Geld eigentlich herkommen soll, völlig unklar ist, wer das Ganze parlamentarisch kontrolliert, und völlig unklar, nach welchen Kriterien das Geld ausgegeben werden soll. Deswegen noch einmal: Der Europäische Währungsfonds, so er denn aus dem ESM gestaltet werden kann, das ist das Instrument für Krisenbewältigung, verbunden mit Auflagen, aber nicht ein Topf, aus dem sich die Mitgliedsstaaten diskretionär einfach bedienen können. Im Übrigen hat die Kanzlerin es in ihrem Interview auch offen gelassen, ob sie einen solchen Investivhaushalt innerhalb des EU-Haushalts haben will oder außerhalb. Auch hier ist die Antwort auf Macron eher eine Nebelkerze, denn Macron will es eindeutig außerhalb des Haushalts haben. Die Kanzlerin hat sich jetzt Jean-Claude Juncker angenähert, der sagt, wenn es so etwas schon geben soll, dann innerhalb des EU-Haushalts.
Nebelkerze a la Angela Merkel
Schulz: Das sind jetzt Ihre Bedenken. Jetzt müssen wir fairerweise zugeben, dass nach einer legendären Nacht in Berlin die FDP nicht an der Regierung beteiligt ist. Was ist denn Ihre Prognose? Es gibt den nächsten Gipfel Ende Juni. Wie weit kommen Merkel und Macron bis dahin zusammen?
Graf Lambsdorff: Es sind jetzt noch drei Wochen. Immerhin gibt es jetzt mal ein paar Ansagen der Bundeskanzlerin zu eigenen Vorstellungen. Ich will sagen, dass Sie völlig recht haben. Wir haben in den Jamaika-Sondierungen über so einen Topf gesprochen und die Freien Demokraten haben sich damals dagegen ausgesprochen. Das ist richtig. Aber das, was die Kanzlerin jetzt vorschlägt, bringt ja in der Sache, in der Substanz nichts. Deswegen nenne ich es eine Nebelkerze a la Angela Merkel. Ich glaube, dass deswegen wirklich diese drei existierenden Instrumente, die Modernisierung des EU-Haushalts, die Umwandlung des ESM in einen Europäischen Währungsfonds und die Stärkung der europäischen Investitionsbank, das sind unsere Vorstellungen. Wenn wir in die Richtung gehen, dann ist es auch nicht schlimm, wenn man am Ende des Prozesses etwas mehr bezahlt für dieses Europa, von dem wir alle profitieren.
Schulz: Aber sagen Sie noch mal die zeitliche Perspektive. Sie kennen das Brüsseler Geschäft ja nun wirklich von innen und außen. Ist das realistisch, jetzt bis Ende des Monats da was auf die Beine zu stellen?
Graf Lambsdorff: Ende des Monats trifft sich der Europäische Rat. Da gibt es strategische Orientierungen. Da muss man auch nicht in Gesetzestexten operieren, wenn wir es jetzt auf einem handwerklichen Level betrachten. Aber die strategische Orientierung, die muss von diesem Rat ausgehen, denn nach dem, was in Italien jetzt passiert ist, immerhin ein Gründungsstaat der Europäischen Union und die drittgrößte Volkswirtschaft, ist es vollkommen klar: Die Europäische Union muss Reformfähigkeit erkennen lassen. Und das, was wir jetzt hier an Ansagen haben, drei Wochen vor dem Rat, das muss jetzt durchverhandelt werden, um in den Dokumenten des Europäischen Rates dann als strategische Orientierung ausgegeben zu werden. An die praktische Umsetzung muss man dann über den Sommer herangehen. Wenn das nicht passiert, dann haben wir wirklich ein Problem mit der Reformfähigkeit der Europäischen Union, und das kann niemand wollen.
Schulz: Der langjährige Europaparlamentarier, der Vize der FDP-Bundestagsfraktion Alexander Graf Lambsdorff heute Morgen hier bei uns im Deutschlandfunk. Ganz herzlichen Dank.
Graf Lambsdorff: Danke Ihnen!
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