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Netanjahus Absage
"Mehr ein Zeichen der Schwäche als der Stärke"

Der frühere israelische Botschafter in Deutschland, Shimon Stein, warnt davor, das abgesagte Treffen von Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu und Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) überzubewerten. Netanjahus Gründe seien innenpolitisch motiviert, sagte Stein im DLF. Die Besatzungspolitik spalte die israelische Gesellschaft - Netanjahus Absage beweise das.

Shimon Stein im Gespräch mit Tobias Armbrüster |
    Der frühere Botschafter Israels in Deutschland, Shimon Stein.
    Der frühere Botschafter Israels in Deutschland, Shimon Stein. (imago / Christian Thiel)
    Tobias Armbrüster: Eklats und Unstimmigkeiten gibt es wieder, immer wieder auf Auslandsreisen von deutschen Politikern. Aber was da gestern in Israel passiert ist, das liegt ganz offensichtlich auf einer anderen Skala. Zu Gast war Sigmar Gabriel - seit wenigen Wochen der neue deutsche Außenminister -, sein Antrittsbesuch. Aber Israels Regierungschef Netanjahu, der sagte in letzter Minute ein Treffen mit diesem Gast aus Deutschland ab, weil der sich auch noch mit zwei kritischen Nichtregierungsorganisationen treffen wollte. Es war ein drastischer Schritt, der natürlich viele Fragen aufwirft.
    Am Telefon begrüße ich jetzt Shimon Stein. Er ist israelischer Diplomat mit jahrzehntelanger Erfahrung, einer der besten Kenner der deutsch-israelischen Beziehungen, und von 2001 bis 2007 war er Botschafter Israels in Deutschland. Schönen guten Morgen, Herr Stein.
    Shimon Stein: Guten Morgen.
    Armbrüster: Herr Stein, musste das sein gestern?
    Stein: Ob das so sein musste, wie es gekommen ist, wird sich zeigen. Ich war mit den Einzelheiten beziehungsweise mit der Vorbereitung des Besuches ja nicht vertraut. So kann ich Ihnen auf die Frage, war es vermeidbar oder nicht, heute Morgen keine Antwort geben.
    Ausländische Diplomaten: Kein Treffen mit "antisraelischen" NGOs
    Armbrüster: Aber als jemand, der die israelische Politik, auch die Innenpolitik ja sehr gut kennt, was ist Ihr Eindruck? Hatte Netanjahu da sozusagen keine andere Wahl, oder was hat ihn dazu gebracht, diesen drastischen Schritt zu gehen?
    Stein: Für seine Begriffe hatte er keine andere Wahl. Es kam ja nicht als Überraschung, die Entscheidung oder der Verlauf, denn ich meine, alle wissen, seit einiger Zeit gibt es eine Regelung und er hat es noch einmal gestern versucht zu wiederholen, und die Regelung besagt, dass er Diplomaten, die sich mit den NGOs, die er als antiisraelisch beschreibt, sich treffen, nicht empfangen wird. Ob das vernünftig ist oder nicht, mag ich bezweifeln. Ich halte es für bedauerlich. Aber auf jeden Fall, es hat viel mehr mit einer innerisraelischen Dimension zu tun als mit der deutsch-israelischen Beziehung, wie manche es heute zu erklären versuchen.
    Der deutsche Außenminister ist ja nicht das erste "Opfer" dieser Politik. Sein belgischer Kollege hat das bereits schon zu spüren bekommen. Aber nicht alle Politiker halten sich daran. Fakt ist, dass der Staatspräsident gestern bereit war, sich trotz alledem mit dem Außenminister zu treffen.
    "Die Vielfältigkeit der israelischen Zivilgesellschaft verstehen"
    Armbrüster: Aber wenn das nun eine neue Linie der israelischen Regierung ist, kann man dann sagen, da haben deutsche Diplomaten ganz offensichtlich nicht ganz aufgepasst bei der Vorbereitung dieses Besuches?
    Stein: Ich meine, ob das besser vorbereitet gewesen wäre, mag man auch sich fragen. Aber grundsätzlich bin ich der Auffassung, dass deutsche Politiker genauso wie auch andere, wenn sie Israel besuchen, sich ja nicht nur bei ihren Gesprächen auf die Politik verlassen sollen, sondern sollen sich auch mit der Vielfältigkeit der israelischen Zivilgesellschaft treffen und verstehen, wie tickt die israelische Gesellschaft, und auch versuchen, Einfluss auf die israelische Meinung zu haben. Insofern halte ich das durchaus für legitim, dass ein deutscher Politiker, ein britischer, Amerikaner etc. während des Besuches mit diesen Organisationen ins Gespräch kommt.
    "Ein Beweis für die tiefe Kluft und Polarisierung in dieser Frage"
    Armbrüster: Nun will die israelische Regierung ja solche Kontakte ganz offenbar unterbinden. Was sagt uns das über den aktuellen Zustand der israelischen Gesellschaft und der israelischen Politik?
    Stein: Es sagt, dass innerhalb der israelischen Gesellschaft eine Auseinandersetzung stattfindet, und die hat mit der israelischen Besatzungspolitik zu tun, mit der Siedlungspolitik zu tun, und es herrscht in dieser Sache kein Konsens, denn diese Organisationen stellen der israelischen Gesellschaft einen Spiegel vor und dieser Spiegel ist manchmal sehr unangenehm. Deshalb, glaube ich, ist das nur eine Bestätigung und ein Beweis für die tiefe Kluft und Polarisierung in dieser Frage, die durch die israelische Gesellschaft geht. Wie Sie ja wissen werden wir im Juni dieses Jahres 50 Jahre seit dem Sechs-Tage-Krieg beziehungsweise 50 Jahre Besatzung haben und irgendwann muss die israelische Gesellschaft sich mit diesem Zustand auseinandersetzen und schmerzhafte Entscheidungen treffen. Wann es kommen wird oder nicht, weiß ich heute leider nicht zu sagen, aber das was gestern passiert ist hat mehr mit der Innenpolitik zu tun und wird auch nicht und soll auch nicht als eine große Krise in den bilateralen Beziehungen verstanden werden.
    "Mehr als Zeichen der Schwäche als ein Zeichen der Stärke"
    Armbrüster: Aber das Signal an andere deutsche Politiker, die nach Israel kommen wollen, ist ja sicher eindeutig. Das lautet nämlich, Leute, macht bitte keine Termine aus mit solchen Organisationen.
    Stein: Das ist wiederum auch nicht ganz richtig, denn gestern konnte man in den Nachrichten hören, als der ehemalige Bundespräsident Gauck Israel besuchte, hat er sich genau mit diesen Organisationen auch getroffen. Und wenn Bundespräsident Steinmeier im Mai nach Israel reist, glaube ich, wird er mit seinem Partner, dem israelischen Staatspräsidenten, auch darüber sich treffen und vielleicht einen Besuch koordinieren. Dass es im Vorfeld vielleicht besser koordiniert werden soll, ist auch etwas zu überlegen, aber grundsätzlich, meine ich, kann Israel als Demokratie ja nicht verbieten, dass Politiker sich mit Organisationen, die innerhalb des Gesetzes agieren, auch wenn sie unangenehm sind, treffen wollen. Ich sehe eigentlich das, was sich gestern abspielte, mehr als Zeichen der Schwäche als ein Zeichen der Stärke.
    Armbrüster: Live hier bei uns im Deutschlandfunk in den "Informationen am Morgen" war das Shimon Stein, ehemaliger israelischer Botschafter in Deutschland. Vielen Dank, Herr Stein, für das Gespräch.
    Stein: Nichts zu danken!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.