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Netflix-Serie "Godless"
Zeitgemäß gottlos

Die Netflix-Serie "Godless" von Steven Soderbergh lässt den Western neu aufleben: Brutal und episch wie einst Sergio Leone, aber auch mit einem neuen Rollenbild. Starke Frauen mischen die Cowboys auf.

Von Julian Ignatowitsch |
    Szene aus der neuen Netflix-Serie "Godless".
    Szene aus der neuen Netflix-Serie "Godless". (James Minchin / Netflix)
    Sie sind wahrlich gottlose Gestalten.
    Frank Griffin: "Gott? Was für ein Gott?"
    Outlaw-Boss Frank Griffin und seine Bande, sie kennen kein Erbarmen: Sie überfallen Städte, sie rauben, sie töten, sie vergewaltigen.
    Frank Griffin: "Hier gibt es keine höhere Macht, die euch und eure Kinder schützen. Das ist das Land der Klinge und des Gewehrs. Das ist ein gottloses Lands."
    New Mexico im Jahr 1884: Ödes Land, Wüste, Staub, sengende Hitze. Hier jagt der skrupellose Verbrecher Griffin das abtrünnige Bandenmitglied Roy Goode – und jeden, der ihm Schutz gewährt.
    Frank Griffin: "Die guten Bürger von Creed ließen ihn durch die Straßen wandern. Jetzt hat sich das mit den Straßen erledigt – und das mit den Bürgern, nehme ich mal an."
    Typische Westerngeschichte
    "Godless" erzählt eine Western-typische Rachegeschichte, brutal und skrupellos, Auge um Auge, Arm um Arm … mit rauchenden Colts, dreckigen Saloons und tabakspuckenden Cowboys.
    Alles andere als der fröhliche Serienhit "Bonanza", aber ganz in der Tradition der epischen Spät- und Italowestern von Clint Eastwood oder Sergio Leone. "Godless" folgt deren zynischer, pessimistischer Tonlage und brutal-opulenten Inszenierung.
    "Wir verloren unsere Männer und unsere Pferde, aber wir sind noch hier. Unsere Kinder sind noch hier, das Silber ist noch hier. Und, Mister, wir sind verdammt viel stärker, als Sie vielleicht denken."
    Denn "Godless" mischt diesen klassischen Genremerkmalen einen zeitgemäßen Figurentypus unter: die starke, selbstbestimmte Frau. Im Städtchen La Belle sind fast alle Männer bei einem Minenunglück ums Leben gekommen. Seitdem lenkt die emanzipierte Mary Agnes, grandios gespielt von Merritt Wever, die Geschäfte. Michelle Dockery gibt die ebenfalls mannlose Einzelgängerin am Rande des Dorfes und Tess Frazer die durchtriebene Dorfschönheit.
    "So eine hübsche Lehrerin habe ich noch nie getroffen. Hatten Sie schon immer den Wunsch, Kinder zu unterrichten?"
    "Nein, Sir. Ich war früher eine Hure."
    Durchdacht und eindrucksvoll
    Überhaupt besticht "Godless" durch exzellente Charakterzeichnung. Scoot McNairy als schwächlicher, trotzdem stolzer Sheriff oder Thomas Brodie-Sangster als jung-forscher, vorlauter Deputy. Es sind die vielen kleinen Nebengeschichten und Konflikte, die "Godless" – auch für Nicht-Westernfans – so sehenswert machen.
    So gesehen liegen die Macher Scott Frank und Steven Soderbergh dann auch goldrichtig, dass sie Godless als siebenteilige Mini-Serie und nicht wie ursprünglich geplant als dreistündigen Film umgesetzt haben.
    Gut möglich, dass die Serie dem Genre des (Neo-)Western im Streaming-Bereich Feuer unterm Hintern macht. Im Vergleich zum eher durchschnittlichen "The Son" mit Pierce Brosnan, früher in diesem Jahr erschienen, oder den Wild-West-Experimenten der vergangenen Jahre wie "Hell on Wheels" oder "Justified", kommt "Godless" durchdachter, eindrucksvoller und breitenwirksamer daher.
    Derzeit finden sich nur wenige Western-Serien im Programm der zahlungspflichtigen Anbieter. Im deutschen Free-TV ist abseits der Nostalgie-Klassiker "Bonanza" oder "Die Waltons" sowieso kaum etwas zu finden.
    Wie eine moderne, zeitgemäße Variante des Genres aussehen kann, ohne die Ursprünge zu vergessen, das zeigt jetzt Godless und stellt damit gleichzeitig unter Beweis, dass auch im schnell wachsenden Seriensegment weiterhin Wagnisse und Ideen abseits der kommerziellen Erfolgsgaranten ihren Platz haben. Mehr davon!