Eine Mutter muss tun, was eine Mutter tun muss.
"Damon!"
Und manchmal gehört dazu auch, bis fünf Uhr morgens wach zu bleiben, um dem "Sohn" eine Lektion zu erteilen.
"You are two hours late. I won’t tolerate you breaking my rules. "
Kein Sex, kein Alkohol, keine anderen Drogen. Die Regeln im Haus von Mutter Blanca Rodriguez-Evangelista sind rigoros.
"Yes, mother!"
"Just listen to the voice in your head, the voice is intuition, you come straight home to mother!"
"Just listen to the voice in your head, the voice is intuition, you come straight home to mother!"
Mütter, Söhne, Töchter - in der Welt der Serie "Pose" sind das keine konventionellen Familienrollen. Es sind Bündnisse von Ausgegrenzten und Verstoßenen, von Transgender und Homosexuellen.*
Trump als Übervater
Anerkennung und Ruhm suchen die Protagonisten Blanca, Damon, Elektra und Angel bei sogenannten "Balls" - Underground-Fashion- und Tanz-Shows in den Kellern der Bronx, die sowohl die LGBT-Szene als auch die Black Culture in den 80er-Jahren in New York prägten.
Wenn das "House of Abundance" dann auf das "House of Evangelista" trifft, geht es um alles. Und nur ein paar Straßen weiter stehen die Hochhäuser, in denen die schmierige Business-Elite millionenschwere Geschäfte macht: Yuppies mit zurückgegelten Haaren wie Stan und Matt, die koksen und ihre Frauen betrügen. Der Übervater dieser Generation, ja, er ist 32 Jahre später Präsident der USA: Donald Trump.
Zwei Milieus, extrem unterschiedlich und doch gar nicht so verschieden, das zeigt die Serie: Ego, Ruhm, aber auch der Traum vom unbeschwerten Leben bestimmen beide Lebenswelten. Besonders interessant ist "Pose" immer dann, wenn die goldenen Toiletten der einen auf die schmuddeligen Peep-Shows der anderen Welt treffen. So wird Trumps Mitarbeiter Stan der Liebhaber von Stripperin Angel.
Ekstase und Depression als Dauerzustand
"Pose" zeichnet ein beeindruckendes Bild der gesellschaftlichen Extreme in einer überdrehten Stadt, einem überdrehten Land. Damit ist die Serie brandaktuell und kommentiert auch die derzeitige Lage der gespaltenen Vereinigten Staaten von Amerika. Aber viel mehr so, dass sie Ektase und Depression als systematischen Dauerzustand denn als kurzfristiges Phänomen deutet. Hier der nächste bombastische Ball, dort das nächste richtungsweisende Meeting. Eine disparate Gesellschaft, Figuren, die nie zur Ruhe kommen - und von den größtenteils eher unbekannten Schauspielern glaubwürdig verkörpert werden.
Dabei greift "Pose" aber auch die gesellschaftlichen Themen der 80er-Jahre und die LGTB-Subkultur in den USA auf: Verhütung, Aids, Gender, Geschlechtsoperationen, Drogen, Fashion-Shows und Diskriminierung. Auch Tanz, Musik und Körperkultur spielen eine große Rolle.
Die USA als Land der Verfolgten und Verstoßenen
Für den durchschnittlichen heterosexuellen, weißen Europäer ist das alles sehr weit weg. Netflix bewirbt die Serie hierzulande deshalb sehr zurückhaltend. Dabei zeigt sie Unbekanntes und hilft, die Vereinigten Staaten und ihre Menschen zu verstehen. Schließlich ist genau das der Gründungsmythos der USA: ein Land aufgebaut von Verfolgten und Verstoßenen, in dem jeder Freiheit und Glück finden kann - oder eben das Gegenteil.
"Pose" ist eine zutiefst emphatische Serie - Party und Kontemplation zugleich -, die zeigt, was es heißt, Amerikaner, homosexuell, schwarz, sterbenskrank oder alles zusammen zu sein. Eine Serie, die Verständnis und Mitgefühl weckt - und sicher zum Besten gehört, was wir 2019 auf dem Serienmarkt zu sehen bekommen.
Die achtteilige erste Staffel der Serie "Pose" von Ryan Murphy, Brad Falchuk und Steven Canals startet am 31. Januar bei Netflix.
*In einer früheren Fassung wurde hier ein falscher Begriff verwendet; der richtige lautet Transgender.