1977 in New York, genauer gesagt: in der Bronx. Schwarze Jugendliche mit Schlaghosen, bunten, eng anliegenden T-Shirts und großen Afros stehen vor einem Barbershop, lateinamerikanische Mädchen sitzen auf den Motorhauben alter Chevrolets. Sehr detailgenau und perfekt soll hier die Zeit von damals eingefangen werden und wirkt genau darin zu bemüht, zu sehr nach Kulisse.
Zwischendrin immer wieder Original-Bilder aus der Bronx der 70er-Jahre. Aufnahmen von zerstörten Häusern, U-Bahnen, die durch Berge von Schutt fahren. Kirchen ohne Dach, Gebäude, die ausbrennen und kollabieren. Durchaus beeindruckend, diese Bilder. Dann die Erklärung einer Lehrerin an Hezekiel, einen begabten und literaturinteressierten Schüler, die Bronx sei ein Kriegsgebiet und die Community dabei zu sterben.
Diese Erklärung braucht’s eigentlich nicht. Die Bilder sprechen eine deutliche Sprache. Aber der pädagogische Ton kommt gerade am Anfang der Serie immer wieder durch und verhindert jede erzählerische Leichtigkeit. Mit etwas Pathos erklärt ein Jugendlicher seinen Kumpels die Faszination von Graffiti auf einem U-Bahn-Waggon.
Nur für einen Augenblick könne man sagen, dass man da war. Grandmaster Flash, der auch an der Serie mitgewirkt hat, taucht als Figur auf - und deejayt bei Underground-Partys. Der Jugendliche Hezekiel steht dabei und ist fasziniert. Er hat Mixen und Scratchen noch nie gesehen. Auch hier wieder die Erklärung eines Freundes.
Der Pilot hat etwas von der Hiphop-Doku
"The Get Down" will die Wurzeln der Hiphopkultur zeigen und wirkt darin manchmal wie ein Lehrvideo der Bundeszentrale für politische Bildung. Dazu mischt Baz Luhrman die Genres - so wie er es schon in Moulin Rouge getan hat - aber bei dem langen Atem, den eine Serie braucht, scheint ihn das am Anfang etwas zu überfordern. Der Pilot hat etwas von der Hiphop-Doku "Wild Style", von der "West Side Story" und "Boyz n the Hood", von Oper, Musical, Gangster-Drama.
Dann aber, im Laufe der dritten Folge, findet die Serie langsam ihren Ton und ihre Geschichte. "The Get Down" beginnt wirklich von der kreativen Atmosphäre der Zeit zu erzählen. Von der Aufbruchsstimmung, die die neue Technik mit sich brachte, aus Disco und Soul mit zwei Plattenspielern etwas ganz Neues zu schaffen.
Eine Ära durch die Augen der Teenager sehen
Und auch von der desolaten Situation New Yorks. Die Stadt ist pleite 1977 und hat mit einem der massivsten Stromausfälle in ihrer Geschichte zu kämpfen. 25 Stunden liegt die Stadt im Dunkeln, überall gibt es Plünderungen.
In ihren starken Momenten schafft es "The Get Down", dass man die Ära durch die Augen der Teenager sieht und die Magie der Musik nachempfindet. Die Serie erzählt die Geschichte des Hip-Hop von unten und ist damit der Gegenentwurf zu "Vinyl", jener HBO-Serie von vor ein paar Monaten, die die Musikindustrie der 70er-Jahre aus der Sicht eines wichtigen weißen Mannes erzählt, eines fiktiven Plattenbosses.
Die Protagonisten bei "The Get Down" sind alle schwarz und Latino. Es gibt keine weißen Figuren, die die Welt erklären wie sonst so häufig in Serien. Netflix geht damit noch konsequenter den Weg weiter, den die Streaming-Plattform schon mit der Gefängnisserie "Orange is the New Black" beschritten hat. Es wird interessant sein zu sehen, wie das auch Serien der klassischen Fernsehsender beeinflusst. Auch als eine der teuersten Serie, die jemals produziert wurden, setzt "The Get Down" neue Standards. Nur erzählerisch ist sie leider nicht radikal genug.