Archiv

Netrebkos Absage in Bayreuth
"Das Nein ist manchmal unabdingbar"

Die Star-Sopranistin wird nicht im "Lohengrin" singen. Ist Netrebkos kurzfristige Absage ein Super-Gau? "Ich weiß, dass ganz viele Menschen rotieren in so einem Moment", sagte Künstleragentin Verena Vetter im Dlf. Doch sie zeigte auch volles Verständnis für die Operndiva.

Verena Vetter im Gespräch mit Maja Ellmenreich |
Anna Netrebko
Die Sopranistin Anna Netrebko hat ihr Bayreuth-Debüt abgesagt (Staatsoper Berlin / Vladimir Shirokov)
Maja Ellmenreich: Im richtigen Moment nein zu sagen - das ist eine Kunst für sich. Davon können auch Sängerinnen und Sänger ein Liedchen singen – denn kurz vor dem großen Auftritt auf die innere Stimme zu hören und womöglich Fans und Veranstalter mit einer Absage zu enttäuschen, das ist wahrlich nicht die leichteste aller Übungen.
Opernstar Anna Netrebko hat genau das jetzt gemacht: Mit großem Bedauern sehe sie sich leider gezwungen, ihre beiden "Lohengrin"-Aufführungen Mitte August erschöpfungsbedingt absagen zu müssen. Ihre Stimme sei nicht angegriffen, jedoch folge sie dringlichem ärztlichem Rat zu einer dreiwöchigen Pause, um sich vollständig regenerieren zu können. So haben es gestern die Bayreuther Festspiele mitgeteilt.
Jahrelang herbeigesehnt – doch nun wird aus Netrebkos Bayreuth-Debüt vorerst nichts. Ihre Sopranistinnenkollegin Annette Dasch wird einspringen – sie kennt Bayreuth, sie kennt die Rolle der Elsa im "Lohengrin"; die aktuelle Inszenierung von Yuval Sharon – die muss sie allerdings jetzt auf die Schnelle noch kennenlernen.
Über das Phänomen des Einspringens im Opern- und Konzertbetrieb möchte ich mit der Künstleragentin Verena Vetter sprechen. Sie ist eine von drei Geschäftsführerinnen des "Künstlersekretariats am Gasteig", das vom Netrebko-Dasch-Deal zwar unberührt ist, aber andere namhafte Sängerinnen und Sänger vertritt: Christian Gerhaher zum Beispiel oder Christiane Karg, auch André Schuen.
Ich habe Verena Vetter gefragt: Aus der Perspektive eines Künstlersekretariates, einer Agentur gesehen: Ist die kurzfristige Absage einer solch renommierten Künstlerin so etwas wie der Super-Gau?
Verena Vetter: Man denkt dann natürlich viel an alle möglichen Menschen, die jetzt damit zu tun haben. So eine Absage von so einem Namen – das wünscht man niemandem. Und ich weiß, dass da ganz viele Menschen rotieren in so einem Moment.
Ellmenreich: Wer rotiert da? Bei wem klingeln da die Telefone? Wer muss für Ersatz sorgen?
Anna Netrebko fast unersetzbar
Vetter: Als allererstes rotiert das Künstlerische Betriebsbüro bei so einer Absage. Und die müssen dann gucken: Wer singt die Rolle? Aber nicht nur, wer singt die Rolle, sondern wer kann diesen Platz ersetzen? Und der ist bei so einem Namen wie Anna Netrebko natürlich fast unersetzbar. Und dann als nächstes klingelt es bei den Agenturen, wer eventuell einspringen kann. Wer hat das schon gesungen? Und wer hat Zeit?
Ellmenreich: Das sind jetzt erstmal das Künstlerische Betriebsbüro und die Agenturen, die Sie genannt haben. Dann fallen aber noch eine ganze Reihe anderer Planänderungen an: das Bühnenkostüm, die Reisepläne, andere Konzertzusagen, die man womöglich absagen muss. Was will alles noch geändert und umgeplant werden bei solch einem Besetzungswechsel?
Vetter: Sie haben da schon die wichtigsten Sachen genannt. Marketing ist natürlich auch extrem betroffen: Wie kommuniziert man einen solchen Ausfall? Gerade wenn so ein Name wie Anna Netrebko absagt, dann sieht man einen Sturm von enttäuschten Leuten auf sich zukommen. Je nachdem, wie man das formuliert, wie man das macht, versucht man natürlich, den so gering wie möglich zu halten. Wie geht man mit dem Publikum um, das speziell ihretwegen gekommen ist? Das sind so feinpsychologische Geschichten, die dann auf einen zukommen. Die Sache mit dem Kostüm und all diesen Geschichten – das sind eher die "daily business"-Geschichten bei einem Opernhaus. Das sind die so gewöhnt, das macht denen am allerwenigsten aus.
Ellmenreich: Das macht denen am allerwenigsten aus, sagen Sie. Annette Dasch hat zwar in Bayreuth die Elsa schon gesungen, allerdings in der Inszenierung von Hans Neuenfels. Kann sich überhaupt jemand auf die Schnelle jetzt so eine andere Inszenierung – in diesem Fall von Yuval Sharon – so schnell draufschaffen?
Andere Sänger helfen dem Einspringer
Vetter: Für das Opernbusiness ist eine Absage für Mitte August zum heutigen Tag ja fast ein langfristiger Einspringer. Man kann sich ein Video angucken, man kann sich richtig darauf vorbereiten. Der Einspringer funktioniert ja sogar, wenn Anna Netrebko einen Tag vorher absagt oder im schlimmsten Fall sogar noch am Tag selber. Und in den meisten der Fälle schaffen es die Opernhäuser und die Sänger es so hinzukriegen, dass sie trotzdem nicht von der Seitenbühne singen müssen, sondern auf der Bühne stehen. Da helfen dann ganz viele Kollegen, schieben den Sänger von rechts nach links. Und das Tolle ist: Meistens merkt das Publikum dann gar nicht unbedingt, dass der Sänger die Inszenierung nicht gelernt hat. Das ist ein unglaubliches Phänomen, das man da immer wieder beobachtet, wie gut so etwas funktioniert und wie toll die Sänger da in ihrem Bereich Profis sind und so etwas sofort übernehmen können.
Ellmenreich: Nun hat Anna Netrebko schon in der vergangenen Woche eine Absage erteilen müssen, in Salzburg nämlich. Da wurde als Grund eine Erkältung angeführt. Gibt es eigentlich eine Faustregel für Sie als Agentin, dass Sie einem Künstler bzw. einer Künstlerin lieber einmal zu viel dazu raten abzusagen als letztendlich den eigenen Ruf zu ruinieren durch einen nicht perfekten, nicht guten Auftritt?
Vetter: Ja, gar nicht mal unbedingt wegen des nicht perfekten oder nicht guten Auftritts, sondern wegen der Gefahr, sich mit einem solchen Auftritt, wenn man krank singt – und die Partien, die diese Sänger zu singen haben, das sind nie kleine Partien, mit denen man sich nicht gefährdet – sondern wenn da das Stimmband irgendwie affiziert ist und man singt drauf, dann kann man die berühmten Äderchen, Ödeme, sonstwas mit einem Auftritt bekommen. Und das dann wieder zu korrigieren und wieder wegzubekommen, ist eine ganz, ganz langwierige Geschichte und würde oft einen monatelangen Ausfall bedeuten. Und insofern ist das eine Nein manchmal unabdingbar und ganz, ganz wichtig. So schwierig es ist, wenn man den Ruf einer Anna Netrebko hat, muss man es manchmal dann doch machen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.