Fabian Elsäßer: Nutzerzentriertes, nutzerorientiertes oder auch human-centered oder user-centered Design, es gibt viele sperrige Schlagworte für einen an sich sehr einleuchtenden Gedanken: Produkte so zu entwickeln, dass sie die Anforderungen der Kunden, Nutzer oder Anwender möglichst gut erfüllen. Und dabei sollten sie am besten auch noch leicht verständlich sein.
Was aber hat das mit Politik zu tun? Offenbar einiges, denn auf dem Programm der re:publica steht morgen Abend eine Diskussionsrunde mit dem Titel: "Innovate against populism - Kann human-centered Design die Demokratie retten?" Sprecherinnen sind Lea Gimpel von der Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit und die Designforscherin und Netzexpertin Gesche Joost – und die ist uns jetzt aus Berlin zugeschaltet. Hallo.
Gesche Joost: Hallo, guten Tag.
Die Frage nach der Funktion
Elsäßer: Frau Joost, klingt ja alles erstmal reichlich abstrakt. Daher die grundsätzliche Frage: Was ist denn gelungenes, nutzerzentriertes Design? Also ich hab ein Internetforum gefunden, da wurde zum Beispiel die Oberfläche eines sehr bekannten Betriebssystems als Beispiel genannt.
Joost: Das ist immer das klassische Beispiel. Also, wo man eigentlich nicht lange nachschauen muss, wo man nicht lange Handbücher lesen muss, sondern eigentlich gleich intuitiv versteht, was der Sinn dahinter ist. Und häufig ist es so – auch bei uns in der Designforschung - dass wir solche Systeme einfach mit Nutzerinnen und Nutzern zusammen entwickeln. Also, dass man sich wirklich gemeinsam hinsetzt und sagt: Was ist eigentlich die Funktion? Was ist die Herausforderung? Und wie können wir das am besten umsetzen? Und in welchen Alltagssituationen muss eigentlich ein solches, Programm in dem Fall, tauglich sein? Und das ist eigentlich der beste Test dafür, dass es auch wirklich nachher im Alltag von Menschen ankommt und sie es wirklich gerne auch benutzen.
Elsäßer: Man nennt das ja auch Usability, also Benutzerfreundlichkeit.
Joost: Ja.
"Behördenprozesse mit den Bürgern gestalten"
Elsäßer: Wie lässt sich denn jetzt dieses Prinzip Usability – oder nutzerzentriertes Design – auf politische Entscheidungen übertragen?
Joost: Das ist eigentlich sehr spannend: Das hat schon eine Tradition, besonders in England und in den skandinavischen Ländern, die dieses Prinzip des gemeinsamen Gestaltens übertragen auf Politik. Also in England zum Beispiel, gibt es viele Public Services, wie man es dort nennt, also öffentliche Services, vielleicht eben auch Behördengänge oder Behördenprozesse, die gemeinsam mit den Bürgerinnen und Bürgern gestaltet werden, damit man eben nicht im Formalchaos sich verliert, sondern eigentlich sich zusammen hinsetzt und sagt: Ok, ich möchte jetzt zum Beispiel den Park umgestalten bei mir vor der Haustür, oder der Kindergarten soll eingerichtet werden … und dabei werden Bürgerinnen und Bürger vor Ort einbezogen, um solche Verbesserungen im öffentlichen Raum anzustoßen.
Elsäßer: Gut, da sind wir jetzt aber dann natürlich sehr im Lokalen, sehr im Kleinteiligen. Inwiefern kann das dann die Demokratie retten, wie Sie ja so etwas provokant auch im Titel der Veranstaltung fragen?
Bottom Up heißt gemeinsam gestalten
Joost: Das ist insgesamt ein Trend …
Elsäßer: ... weil: da sind wir jetzt auch im Grunde bei der Verwaltung. Wir sind jetzt nicht beim Gesetzgebungsprozess.
Joost: Die Methodik ist eigentlich eine ähnliche. Wenn man auch für Gesetzgebungsprozesse solche Verfahren einsetzt. Ein bekanntes Beispiel ist, dass ja immer mehr so Mitmach-Foren im Netz auch entstehen. Auch sowas wie Liquid Democracy, was ja Die Piraten auch versucht haben, weiter nach vorne zu bringen. Dass man sich einschalten kann, als Bürgerin und als Bürger - früher ging das vielleicht mit einer Petition und heute geht es noch einfacher online. Und dass diese Demokratie von unten, von allen gemeinsam, wiederum den Versuch startet, dieses Politische zurück in meinen Alltag zu bringen. Weil diese Abstraktion ist ja ein großes Problem heute, dass viele sagen: Hä, was machen die da oben? Das sind komische Strukturen!
Und da müssen wir wieder ansetzen. Und deswegen glaube ich, ist es gar nicht so weit auseinander, dieses Lokale, vor Ort, bis hin zu den Gesetzgebungen, die wir vielleicht eben gemeinsam gestalten sollten. Das Grundprinzip ist dieses Bottom Up: gemeinsam gestalten, Leute mit an Bord zu holen und auch die Politik wieder ganz zurück ins Klein-Klein zu holen. Weil: Politik fängt auch schon eben vor meiner Haustür an, wenn es darum geht, wie gestalte ich den öffentlichen Raum, bis hin zu: Wie soll der gesamte Finanzhaushalt des Bundes gestaltet werden?
Elsäßer: Naja, aber deswegen gibt es ja zum Beispiel den Bundestagsabgeordneten, mit seinem Büro im Wahlkreis.
Joost: Da haben Sie auch genau recht: Also ich glaube, es ist eine Rückeroberung dieses demokratischen Prinzipes, damit ich wieder begreife: Dieser Abgeordnete ist mein Repräsentant. Und ich möchte mit ihm gemeinsam Politik gestalten. Ich glaube, dass die Verbindung heute in vielen Fällen verloren gegangen ist, also dass der Politikbetrieb als etwas Abstraktes wahrgenommen wird. Die Politik wird abgehoben dargestellt oder wahrgenommen, und es wird als eine - vielleicht auch elitäre - Klasse und elitäre Diskussion auch um Themen wahrgenommen. Und das ist, glaube ich, die große Gefahr, wenn viele populistische Akteure heute mit markigen Sprüchen um die Ecke kommen und sagen: Ach, es ist ja alles gar nicht so komplex! Ich sag es mal in einfacher Sprache. Ich habe die einfachen Lösungen parat.
Und dann sind viele vielleicht auch geneigt, dem auf den Leim zu gehen und zu sagen: Ach, wenn das gar nicht so kompliziert ist, und wenn wir doch mit einfachen Botschaften hier gewinnen können und wieder quasi unser Recht bekommen, dann ist quasi die Sache gelöst. Und das ist, glaube ich, gerade so das Dilemma, in dem wir stehen.
"Wir müssen unsere Demokratie zurückerobern"
Elsäßer: Heißt das nicht zugespitzt: Nutzerzentrierte Politik wäre eine Post-Parteienpolitik? Eine Post-Parteiendemokratie?
Joost: Das ist eine ganz interessante Frage. Weil ich glaube, dass diese Lösung geht auch nicht auf. Also, das wäre ja verlockend, wenn man sagen würde: Ach, wir erfinden vielleicht das politische System neu, indem wir ganz einfach nur diese Art der Teilhabe, der Bürgerentscheide nach vorne bringen würden. Und jeder kann sich dann für Themen einzeln einbringen, außerhalb von Parteien, Gruppierungen. Aber das funktioniert auch nicht. Also ich glaube, diese repräsentative Demokratie ist schon ein sehr wichtiges System, auch um Mehrheiten durchsetzen zu können. Ich glaube aber, wir müssen sie uns rückerobern – auch im Verständnis davon. Also rückerobern in diesen Beziehungen, die wir zu unseren Repräsentanten haben; rückerobern, indem wir Bürgerinnen und Bürger stärker einbeziehen und wirklich uns in ihre Schuhe sozusagen stellen, also aus ihrer Sicht darauf schauen: Was sind denn Themen, die mich bewegen? Wo kann ich mich eigentlich einbringen? Und wo merke ich selber, dass meine Stimme in der Politik zählt, jenseits dessen, dass ich irgendwie alle vier Jahre so einen Wahlzettel ankreuze. Sondern, was ist eigentlich so mein Anliegen? Und wie kann ich das reinbringen?
Elsäßer: Sagt die Designforscherin und Netzexpertin Gesche Joost, die morgen bei der re:publica in Berlin spricht, zum Thema "Innovate against populism – kann human-centered Design die Demokratie retten?" Frau Joost – vielen Dank für das Corsogespräch.
Joost: Dankeschön.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.