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Netzpolitik-Konferenz in Berlin
"Die Politik müsste mehr in Forschung stecken"

Parteien würden über Facebook zielgruppengenaue Werbung schalten, sagte Markus Reuter von netzpolitik.org im Dlf. Wie sich das auswirke, wisse man noch nicht. Aber so bekomme jeder nur noch das, was ihn eigentlich interessiert. Das könne Folgen für die Demokratie haben.

Markus Reuter im Interview mit Bernd Lechler |
    SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz bei einer Konferenz der Jusos im Willy-Brandt-Haus.
    Facebook gehört mittlerweile zum Parteialltag und auch zum Wahlkampf: Ein Livestream von SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz bei einer Konferenz der Jusos im Willy-Brandt-Haus (imago / IPON)
    Bernd Lechler: In Berlin findet heute zum vierten Mal die Konferenz "Das ist Netzpolitik!" statt, initiiert vom vielfach preisgekrönten Blog Netzpolitik.org. Da wird über Künstliche Intelligenz und das Internet der Dinge genauso debattiert werden wie über digitale Bildungspolitik; die Netzpolitik der Großen Koalition oder der EU - und natürlich spielt die kommende Bundestagswahl eine wichtige Rolle: Spätestens seit gemutmaßt wird, Russland könnte Donald Trumps Wahl zum US-Präsidenten heimlich angeschoben haben, rätseln wir, wie frei und offen unsere Wahlen ablaufen. Ob das, was darüber getwittert wird, stimmt. Und ob es überhaupt von echten Menschen kommt, oder von Software, von Social Bots. Was denken Sie, Markus Reuter von netzpolitik.org.: Könnte die Bundestagswahl vom Ausland gekapert werden?
    Markus Reuter: Also, alles, was wir bislang gesehen haben, weist nicht darauf hin, dass es vom Ausland irgendwie, sowohl Aktionen mit Social Bots oder mit Fake News gibt, und wenn, dann ist das nur sehr marginal und ist bisher nicht auf dem Radar. Also mit allen Mitteln, was wir untersucht haben, können wir das nicht bestätigen, dass so was passiert. Da gibt es ein paar Fake Follower bei den großen Parteien und ansonsten, was so Netzwerke angeht auf Twitter. Hier zum Beispiel hat die AfD eher so eine Art inoffizielles Unterstützernetzwerk, was sehr, sehr aktiv ist und was auch mit der Partei zusammenhängt, die dann eben die eigenen Inhalte sehr stark verbreiten. Aber mit Bots hat das bislang alles nichts zu tun, was wir gesehen haben.
    Wahlkampf in Sozialen Medien
    Lechler: Man denkt dann an die Clinton E-Mails oder an Frankreich, wo pünktlich zur Präsidentschaftswahl gehackte Dokumente veröffentlicht wurden. Den Bundestag haben vor zwei Jahren russische Hacker attackiert - kann es sein, dass irgendwo, irgendwer auf brisantem Material sitzt, dass er jetzt bald raushaut?
    Reuter: Das kann natürlich sein, dass mit dem Hack interessante Materialien in falsche Hände gekommen sind, kann ich natürlich nicht ausschließen, dass noch so was passiert, dass irgendwie ein sogenannter 'Leak' jetzt mit irgendwelchen Materialien vor der Wahl auftaucht. Also, wenn man sich anschaut, was bei Macron passiert ist zum Beispiel, dass es so einen großen Impact hat oder so stark noch eingreifen kann.
    Lechler: Durch die Daten, die wir alle im Netz hinterlassen, kennen uns natürlich auch die Parteien besser als früher. Angeblich führen die uns nun hinters Licht, in dem sie - etwa über Facebook - je nach Zielgruppe ganz unterschiedliche Botschaften verbreiten, selbst wenn die einander ausschließen, dann kriegt jeder das versprochen, was er hören will. In welchem Ausmaß passiert das?
    Reuter: Das passiert in ganz großem Ausmaß und ist glaube ich jetzt auch neu in diesem Wahlkampf, dass eigentlich alle Parteien auch quasi über den Umweg von Facebook sehr zielgruppengenaue Werbung schalten, also das fällt schon auf. Wer Netflix interessant findet, der kriegt auch immer von der FDP Werbung, die mit Netflix zusammenhängt. Also das ist schon ein neues Phänomen und da wird zu klären sein, inwieweit eigentlich das mit dem deutschen Datenschutz zu vereinbaren ist.
    "Verstärkung der Filterblase"
    Lechler: Wird sich das auch dann auf Wahlergebnisse auswirken?
    Reuter: Das kann man auch schwer sagen, inwieweit dann so ein - 'Microtargeting' heißt das - so eine zielgenaue Werbung sich auswirkt. Das ist aus demokratietheoretischer Perspektive natürlich schwierig, wenn ich jeder Zielgruppe eigentlich was anderes sage, dann reden wir nicht mehr gemeinsam über Themen, sondern ich gebe jedem nur noch das, was ihn eigentlich interessiert. Und das kann eigentlich nicht gut sein in einer Demokratie, wenn wir nicht breit Debatten führen über die Zukunft.
    Lechler: In die gleiche Kerbe hauen ja vielleicht dann die Suchergebnisse bei Google. Wie ist das, also da geben ja auch allein schon die Suchbegriffe, die wir eingeben, ein Profil, das Google dann auch bedient, so entstehen die Filterblasen. Wird so auch unsere politische Information gefiltert und individualisiert?
    Reuter: Ja, auf jeden Fall. Ich denke, dass Google jedem Menschen andere Ergebnisse ausgibt und immer auch das, von dem Google denkt, dass es die Leute am meisten interessiert. Das Gleiche haben wir bei Facebook in den Nachrichtenstreams quasi, dass ich so eine Verstärkung dieser Filterblase habe durch Algorithmen eben auch. Das ist einerseits problematisch und auf der anderen Seite - ist auch so eine Beobachtung, die wir gemacht haben mit Fake News - dass diese Falschnachrichten sich auch dann immer nur in einer bestimmten Blase eigentlich weiterverbreiten und dann gar nicht so eine große Wirkung auf die breite Bevölkerung eigentlich ausüben. Also das hat seine Vor- und Nachteile.
    "Bedenken haben und trotzdem digital first handeln"
    Lechler: Sie sagen, das wird bei dieser Bundestagswahl jetzt nicht so eine große Rolle spielen, Social Bots und Fake News. Aber wir wissen ja nicht, was da noch kommt - das wird ja auch noch besser und raffinierter werden. Und all solche Einflussnahmen funktionieren natürlich umso besser, je weniger kundig wir mit dem Internet umgehen. Wie schätzen Sie denn da die Medienkompetenz der deutschen Nutzer und auch Wähler ein?
    Reuter: Also, ich glaube, dass durch diese - teils hysterische - Debatte, die wir Ende letzten Jahres und Anfang diesen Jahres hatten, ist so eine gewisse Sensibilisierung da, sowohl auf Nutzerseite, aber auch auf der Seite der Journalisten, sodass man eben genauer hinschaut, was ist die Nachricht, stimmt die denn, und dann wird das überprüft nachher und widerlegt.
    Lechler: Wenn dann die FDP - wahrscheinlich auch aufklärerisch gemeint - mit Plakaten wirbt, auf denen steht "Digital first - Bedenken second", macht Ihnen das Hoffnung?
    Reuter: Naja, das ist einerseits natürlich schön, nicht immer nur die Bedenken zu haben, aber ich glaube, dass sich technische Entwicklungen nie ohne eine Abwägung oder Technikfolgenabschätzung bewegen sollten. Das heißt, man sollte, glaube ich, die Bedenken haben und trotzdem digital first handeln. Also ich glaube, das kann man nicht von einander trennen. Und man kann nicht einfach drauf los Technik machen, ohne sich davor zu überlegen, was sie denn eigentlich bedeutet.
    Lechler: Ich meine, es ist so, ob jetzt Heiko Maas oder sonst ein Minister oder Politiker oder irgend eine Partei politische Vorstöße unternimmt, die das Internet betreffen, schlägt meist umgehend die sogenannte Netzgemeinde die Hände über dem Kopf zusammen und erklärt, warum das alles Unsinn ist. Wieso kommt dieses Thema in der Politik nur so langsam an?
    Reuter: Ein Ding ist natürlich, es gibt eben ein Phänomen, wenn jetzt nach der Wahl in den USA, dieses Fake News und Social Bots Thema auch hochkommt, da gab es davor schon die Debatte um Hate-Speech, um Hasskriminalität quasi, um Beleidigung, Bedrohung et cetera. Und dann wurde dann einfach das irgendwie vermischt und dann wird es in irgendein Gesetz gegossen, und man hat noch keine empirischen Zahlen. Ich weiß nicht, wie wirkt das eigentlich, diese Fake News, wie wirken Social Bots, wie viele gibt es denn überhaupt davon, aber es wird schon über Gesetze und Maßnahmen diskutiert. Ich glaube, da müsste Politik viel mehr in Forschung stecken und in Empirie, dass man weiß, über was man redet. Also ich glaube, das fehlt ganz oft und es hat auch den Anschein dann, so aktionistisch zu sein, dass man eben ganz schnell ein Gesetz macht, denn man tut ja was dagegen. Und das kann dann eben schief laufen.
    Lechler: Markus Reuter von Netzpolitik.org zum netzpolitischen Stand der Dinge. Danke nach Berlin.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.