Flisek kritisierte, es gebe starke Indizien, dass Bürger und Politiker über Jahrzehnte systematisch ausspioniert worden seien. Dennoch sei Range bisher nicht tätig geworden oder habe Prüfvorgänge angelegt, die er sofort wieder abgeschlossen habe. Seines Wissens sei es nun im Fall Netzpolitik.org das erste Mal im ganzen NSA-Komplex, dass ein Ermittlungsverfahren eingeleitet wurde. Der SPD-Politiker kritisierte zudem, dass der Generalbundesanwalt im NSA-Untersuchungsausschuss schon mehrfach etwas angekündigt habe, was sich hinterher als falsch herausgestellt habe. "Ich denke, es ist an der Zeit, dass Herr Range sich überlegt, ob er nicht zurücktritt."
Mit Blick auf den Vorwurf, dass zwei Journalisten des Blogs Netzpolitik.org Staatsgeheimnisse veröffentlicht haben sollen, sagte Flisek, er könne diese Aussage nicht nachvollziehen. "Das Ganze ist völlig unverhältnismäßig und wir sehen ja, dass der Schuss komplett nach hinten losgegangen ist." Flisek sagte weiter, dass auch Verfassungsschutz-Präsident Hans-Georg Maaßen sich einer kritischen Überprüfung seiner Arbeit unterziehen müsse. Dieser hatte die Anzeigen gestellt, auf deren Grundlage Range das Ermittlungsverfahren eingeleitet hatte.
Das komplette Interview zum Nachlesen:
Peter Kapern: Bei uns am Telefon Christian Flisek, Obmann der SPD im NSA-Untersuchungsausschuss. Guten Morgen, Herr Flisek!
Christian Flisek: Guten Morgen, Herr Kapern!
Kapern: Herr Flisek, wir haben es ja gerade gehört, da läuft so eine Art Schwarzer-Peter-Spiel: Niemand will es jetzt gewesen sein, der den Fokus der Ermittler auf die Journalisten von netzpolitik.org gelenkt hat. Wer ist denn nun verantwortlich dafür, dass Journalisten Landesverrat vorgeworfen wird?
Flisek: Nun, wir haben ja eine unabhängige Justiz. Und Teil dieser unabhängigen Justiz, das ist, genauso wie die Pressefreiheit ein hohes Gut in der Demokratie, ist der Generalbundesanwalt. Und der hat am Ende die Entscheidungen zu treffen. Bei ihm laufen die Informationsfäden zusammen. Und er muss entscheiden, ob er ein Ermittlungserfahren beispielsweise wegen Landesverrats gegen Journalisten einleitet oder nicht. Und er hat sich offensichtlich dafür entschieden, dies zu tun. Und deswegen sehe ich auch in meiner Kritik hier den Generalbundesanwalt im Fokus.
Kapern: Aber nun ist es ja offenbar so, dass es aus der Bundesanwaltschaft heißt, da habe es ein Behördengutachten des Bundesamtes für Verfassungsschutz gegeben, das diesen Verdacht des Landesverrats konstruiert hat. Und nur deshalb seien die Journalisten in den Fokus der Bundesanwaltschaft geraten. Eigentlich besteht dann doch eigentlich auch keine Möglichkeit für den Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz, sich in die Büsche zu schlagen, oder?
Flisek: Ja, natürlich. Herr Maaßen hat mit seinen Anzeigen das Ganze überhaupt erst ins Rollen gebracht. Ich meine, Herr Maaßen zieht sich jetzt darauf zurück, dass er sagt, er wollte eine Prüfung unter allen rechtlichen Gesichtspunkten in die Wege leiten. Ich sage es mal so: Nach wie vor steht hier die Kritik im Raum, dass mit Kanonen auf Spatzen geschossen wird. Und der Generalbundesanwalt ist derjenige, der, wie gesagt, auch solche behördeninternen Gutachten, die ihm zugeleitet werden – das ist ja nichts Unnormales –, die hat er selber zunächst einmal zu prüfen. Und er hat sich zu fragen, ob er solche Gutachten dann zur Grundlage seiner Entscheidung macht. Und insbesondere, ob er sich den Punkten in diesem Gutachten anschließt. Soweit ich das verstanden habe – ich kenne das Gutachten ja selber nicht, ich habe es nicht vorliegen –, aber so weit ich es verstanden habe, drehte sich das Gutachten vor allem um die Frage, ob hier Staatsgeheimnisse im Raum stehen, ja oder nein. Und da hat der Generalbundesanwalt natürlich selbstverständlich nicht einfach das Gutachten eines Anzeigeerstatters hinzuzuziehen, sondern er muss sich selber darüber eine Meinung bilden. Und ich bin der Auffassung, wenn man hier diese Sache nüchtern prüft, kommt man weder zu dem Ergebnis, dass Staatsgeheimnisse verletzt worden sind, noch kommt man zu dem Ergebnis, dass hier irgendwelche schweren Nachteile für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland im Raum stehen. Und deswegen bleibt meine Kritik dabei: Das Ganze ist völlig unverhältnismäßig. Und wir sehen ja, der Schuss ist komplett nach hinten losgegangen.
Kapern: Und wenn die Sache sich so verhält, wie Sie sagen, welche Konsequenzen für das Berufsleben von Herrn Range muss das dann haben?
Flisek: Ich habe mir jetzt eine Meinung gebildet über das Verhalten des Generalbundesanwaltes im gesamten NSA-Komplex. Wir haben ja jetzt nicht nur anlässlich des Falles Netzpolitik zum ersten Mal mit dem Generalbundesanwalt zu tun, sondern wir arbeiten mit ihm zusammen als Untersuchungsausschuss, mussten ihn aber auch dazu mehr drängen, als dass die Initiative von ihm ausging in der Vergangenheit. Und ich stelle fest, es hätte sehr, sehr viele Gelegenheiten und Möglichkeiten gegeben in der Vergangenheit, sich dieses Falls, dieses ganzen Komplexes anzunehmen. Wir haben das Kanzlerinnenhandy, wir haben den Fall des Erlanger Studenten, der offensichtlich als ganz normaler deutscher Bürger in den Fokus amerikanischer Sicherheitsbehörden und Geheimdienste geraten ist. Wir haben Hinweise, wirklich starke Indizien und Hinweise darauf, dass eine Vielzahl deutscher Politiker, Unternehmen und Bürger über Jahrzehnte hinweg systematisch ausspioniert wurden. Und was ich sehe, ist, dass der Generalbundesanwalt in diesen Fällen entweder überhaupt nicht tätig wird oder allenfalls Prüfvorgänge anlegt, die er ganz schnell wieder abschließt, noch bevor wir im Untersuchungsausschuss ihm überhaupt irgendwelche Ergebnisse präsentieren können. Und in diesem Fall im Umkehrschluss er gleich ein Ermittlungsverfahren einleitet. Also das ist ein Verfahrensstadium, das zum ersten Mal im gesamten NSA-Komplex nach meiner Kenntnis überhaupt erreicht worden ist. Das sind halt Dinge, die passen nicht zusammen. Und die sind auch für die Öffentlichkeit nach meiner Meinung schwer verständlich. Und wir haben in der Geschichte der Bundesrepublik natürlich viel Erfahrung gehabt mit Vorgängen, strafrechtlichem Vorgehen gegen Journalisten. Da muss man sehr, sehr vorsichtig sein. Die Pressefreiheit ist in Deutschland ein hohes Gut. Und ich denke, wir sollten aus all den früheren Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts auch gelernt haben und hier ein hohes Maß an Sensibilität an den Tag legen.
Kapern: Aber ich darf vielleicht, Herr Flisek, noch mal an meine Frage erinnern: Was bedeutet das für die berufliche Zukunft von Herrn Range?
Flisek: Ich habe gesagt, ich – das hatte ich ja auf Twitter ja auch so geäußert – denke, dass es Zeit ist, dass Herr Range sich überlegt, ob er nicht zurücktritt, weil mein Eindruck schlicht und ergreifend ist, dass er diesem ganzen Komplex und den Fragestellungen, die damit zusammenhängen, nicht gewachsen ist.
Kapern: Nun müssen wir aber doch auch festhalten, jedenfalls nach der Berichterstattung der "Süddeutschen Zeitung" von heute Morgen beispielsweise, dass Hans-Georg Maaßen, der Chef des Bundesamtes für Verfassungsschutz, von Anfang an versucht hat mit den Anzeigen, die er gestellt hat, den Fokus auf die betroffenen Journalisten von netzpolitik.org zu lenken. Deren Namen wurden in den Anzeigen genannt, dazu dieses Behördengutachten, über das wir vorhin schon gesprochen haben. Da steht dann vielleicht ja jemand an der Spitze des Bundesamts für Verfassungsschutz, der ein, na sagen wir mal, gebrochenes Verhältnis zur Pressefreiheit hat. Ist das tolerabel?
Flisek: Na ja, wir werden uns mit dem Bundesamt für Verfassungsschutz im Untersuchungsausschuss unter verschiedenen Gesichtspunkten intensiv auseinandersetzen müssen. Das Vorgehen des Bundesamtes in Sachen Netzpolitik ist ein Punkt. Zum Aufgabenbereich des Bundesamtes gehört aber beispielsweise auch die Spionageabwehr in Deutschland. Und wir haben, wenn all diese Veröffentlichungen, die wir jetzt über Wikileaks zur Kenntnis nehmen müssen, wenn die zutreffen oder nur Teile davon zutreffen, müssen wir auch feststellen, dass die Spionageabwehr in Deutschland über Jahrzehnte offensichtlich nicht funktioniert hat. Das heißt, Herr Maaßen wird sich hier unter vielfältigen Gesichtspunkten einer kritischen Prüfung seiner Arbeit unterziehen müssen. Und ich glaube, das ist ihm auch bekannt.
Kapern: Noch ein Rücktritt fällig? Ist da noch ein Rücktritt fällig?
Flisek: Wir werden uns das nüchtern ansehen. Also da gehe ich mal davon aus, dass wir uns erst mal anschauen müssen, was dort passiert ist, und, wie gesagt, der Fall Netzpolitik wird dazugehören. Und ich gehe davon aus, dass wir das auch unmittelbar nach der Sommerpause im Untersuchungsausschuss angehen werden, Herr Kapern.
Kapern: Nun hat ja die Bundesregierung der Öffentlichkeit offenbar ein hübsches Dramolett vorgespielt, als sie den Eindruck erweckte, sie habe jetzt gerade erst erfahren von diesen verstörenden Ermittlungen gegen die Journalisten. Heute steht in der "Süddeutschen Zeitung" zu lesen, dass etliche Regierungsstellen schon viel länger informiert waren. Was müssen wir denn daraus für Erkenntnisse ziehen?
Flisek: Wir müssen erst mal da den Sachverhalt aufklären. Ich sage es mal so: Ich nehme zur Kenntnis, dass der Bundesjustizminister bei aller Zurückhaltung, die er als Justizminister in diesem Fall gegenüber einem Organ der Justiz an den Tag zu legen hat, dass er hier deutliche Kritik geübt hat an dem Vorgehen. Und das finde ich auch so richtig, dass er hier deutlich macht, dass er sich diesen Ansichten und Meinungen, die bisher zu Ermittlungsverfahren gegen Journalisten in Deutschland geführt haben, dass er sich dem in keiner Weise anschließt. Und da kann ich Heiko Maas nur unterstützen.
Kapern: Bei der Bundesanwaltschaft soll von dieser deutlichen Kritik aber nichts angekommen sein. Dort spricht man davon, man habe aus dem Justizministerium nur allgemeine Hinweise erhalten, dass das ein schwieriger Fall sein könnte.
Flisek: Ja, wissen Sie, Herr Kapern, wir haben den Herrn Generalbundesanwalt in den letzten Jahren unserer Arbeit im Untersuchungsausschuss mehrfach aufgefordert, uns beispielsweise Unterlagen aus dem Untersuchungsausschuss, Protokolle, Ähnliches zukommen zu lassen. Dann hat er uns mitgeteilt, er hätte dies längst getan. Das war mitnichten der Fall. Der Generalbundesanwalt ist im Rechtsausschuss aufgetreten und hat gesagt, er hat in Sachen NSA ein Ermittlungskonzept. Dann haben wir ihn gebeten, dass er das doch mal in vertrauter Obleuterunde uns vorstellen könne in aller Abstraktheit, denn er darf ja über Ermittlungen nicht konkret reden. Da hat sich herausgestellt, ein solches Ermittlungskonzept existiert nicht. Also, ich will damit sagen, mein Urteil über den Generalbundesanwalt bezieht sich auf die gesamte Tätigkeit bisher im NSA-Komplex. Und da ist sozusagen das, was jetzt den Ausschlag gab bei Netzpolitik, eher der letzte dicke Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat.
Kapern: Christian Flisek, Obmann der SPD im NSA-Untersuchungsausschuss, heute Morgen im Deutschlandfunk. Herr Flisek, Danke, dass Sie Zeit für uns hatten, Gruß an die Schwiegereltern, bei denen Sie zu Gast sind, einen schönen Tag noch, auf Wiederhören!
Flisek: Danke!
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