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Netzwerk Plurale Ökonomik
Antworten auf drängende Probleme gefordert

Studierende der Volkswirtschaft fordern mehr Vielfalt in ihrer Ausbildung - vom ersten Semester an. Sie kritisieren die dominierende Theorie der Neoklassik mit ihrem Homo oeconomicus, dem rational handelnden Menschen, als zu einseitig. Die Ursachen von Hunger und Ungleichheit oder Klimawandel kämen im Studium nicht vor.

Von Gaby Mayr |
    S/W Foto von John Maynard Keynes, dem berühmten englischen Ökonom
    Er sollte vorkommen in einem Studium der Volkswirtschaft: der einflussreiche britische Ökonom John Maynard Keynes (1883-1946) (imago images / leemage)
    Myriam Kaskel hat gerade ihren Bachelor gemacht. Mit dem, was sie in Volkswirtschaft gelernt hat, ist sie nicht zufrieden: "Die Einbettung in historischen Kontext oder in Theoriekontext hat nie stattgefunden." Den Studierenden werden kaum Zusammenhänge vermittelt. Daran ändert sich auch für die neuen Erstsemester nichts. Volkswirtschaftsstudium heißt heute: Mathematik satt! Das geht so:
    "Ich habe hier die Gleichung, muss jetzt irgendwas ausrechnen - aber was bedeutet das jetzt eigentlich? Was steht dahinter, was soll das eigentlich bringen - das wurde uns überhaupt nicht vermittelt."
    Mathematik dominiert als Methode, Neoklassik als Theorie
    Dagegen wehrt sich das Netzwerk Plurale Ökonomik: Mit einem globalen Aktionstag am 5. Mai. Und, weil das in Deutschland ein Feiertag ist, außerdem mit Aktionen in der darauffolgenden Woche - für mehr Vielfalt in der Wirtschaftswissenschaft.
    Im Netzwerk haben sich Studierende aus über 30 Hochschulen im deutschsprachigen Raum zusammengetan.
    "Was wir eben fordern in den Gruppen wie auch im Netzwerk, dass wir auch andere Theorien kennenlernen wollen, auch andere Methoden kennenlernen wollen. Es geht darum, diese Vielfalt abzubilden."
    Denn so wie die Mathematik als Methode dominiert, so beherrscht eine Theorie die volkswirtschaftlichen Lehrveranstaltungen: Die Neoklassik. Die geht vom stets gut informierten und rational handelnden Menschen aus, dem Homo oeconomicus. Der weiß ganz genau, wie die Brötchen in den Bäckereien A, B und C schmecken und was sie jeweils kosten. Dann muss er nur noch entscheiden, ob er zu Fuß gehen will oder auch aufs Fahrrad steigen würde, weil Bäckerei C weiter entfernt liegt.
    Realitätsnähere Ausbildung gefordert
    All diese Informationen packt die Neoklassik in mathematische Modelle und erhält, je nach eingespeisten Vorlieben, die Antwort auf die Frage, wo der Homo oeconomicus seine Brötchen kauft. Dass es in ihrem Studium oft nur um ein solches Optimieren von Entscheidungen geht, kritisieren Studierende wie Myriam Kaskel:
    "Fragen der Ethik und soziale Fragen, das sollen dann bitte die anderen Disziplinen lösen, dafür sind wir nicht zuständig." Das Netzwerk Plurale Ökonomik fordert eine realitätsnähere Ausbildung und will zum Beispiel auch die Lehren des britischen Ökonomen John Maynard Keynes und seiner Schülerinnen und Schüler kennenlernen. Mit deren Werkzeug könnten die Studierenden zum Beispiel untersuchen, wie der Arbeitsmarkt für Brötchenverkäuferinnen aussieht und welche Rolle der Staat bei der Förderung des Brötchenverkaufs spielt.
    Weltweite Netzwerke in mehr als 30 Ländern
    An mehreren Hochschulen organisieren Netzwerk-Gruppen Veranstaltungen, in denen andere Theorieansätze vorgestellt werden. Dafür gibt es inzwischen auch Punkte, sagt Florian Lampe von der Universität Hamburg.
    "Gerade die letzte Ringvorlesung, dazu wurde auch ein Seminar begleitend angeboten von einem Dozenten, mit dem wir zusammen gearbeitet haben, und dann konnte man sich die Inhalte der Ringvorlesung anrechnen lassen."
    Weltweit gibt es vergleichbare Netzwerke in mehr als 30 Ländern von Peru über Portugal bis Pakistan, zusammengeschlossen in der "Internationalen Studentischen Initiative für Pluralismus in den Wirtschaftswissenschaften."
    Vielfalt in der Volkswirtschaft vom ersten Semester an. Dass die internationale Zusammenarbeit kein Papiertiger ist, haben die Ökonomie-Studierenden kürzlich mit einer Länder übergreifenden Studie bewiesen:
    "Wir haben insgesamt 57 Bachelorstudiengänge in Deutschland analysiert und es haben eben noch elf andere Länder die Studiengänge analysiert - alles mit ähnlichen Ergebnissen."
    Keynes und feministische und ökologische Ökonomik
    Ganz wichtig ist den Netzwerk-Studierenden, dass die Vielfalt in der Volkswirtschaft vom ersten Semester an vorkommt.
    "Pluralismus muss unbedingt in den Einführungsveranstaltungen, in den ersten Jahren gelehrt werden, dass halt Sachen widersprüchlich sind, dass es halt nicht diese eine Wahrheit gibt." In den letzten Jahrzehnten sind neue Fragen ins Bewusstsein gerückt. Die Studierenden fordern, dass auch über solche Themen bereits im Bachelorstudium gesprochen wird:
    "Es geht darum, feministische Ökonomik zu unterrichten, oder ökologische Ökonomik. Man muss sich einfach mit solchen Fragen wie Klimawandel und wie wirkt sich die Wirtschaft auf unseren Planeten aus, da muss man sich mit beschäftigen. Und das wird uns alles vorenthalten auf jeden Fall."