"Wir sind jetzt hier in einem S2-Labor, in einem Labor der Sicherheitsstufe zwei. Hier arbeiten wir unter anderem mit Staphylococcus aureus, MRSA beispielsweise, der auch genetisch manipuliert wird."
Tanja Schneider, Leiterin des Instituts für Pharmazeutische Mikrobiologie an der Universität Bonn, steht im weißen Laborkittel und mit Spezialhandschuhen vor einem riesigen Gefrierschrank. Bei minus 70 Grad lagern hier Bakterien, die Medizinern wie Patienten Sorgen machen: resistente und multiresistente Stämme, gegen die viele Antibiotika nichts mehr ausrichten können. Der auch gegen das Antibiotikum Methicillin resistente Staphylococcus aureus ist da nur ein Beispiel.
Erreger der Tuberkulose im Blick
Bei der Suche nach neuen Wirkstoffen gelang der AG Schneider und einem Team aus den USA ein großer Schritt, nachzulesen im Fachmagazin "Nature": Die Entdeckung von Teixobactin.
"Das Teixobactin wirkt gegen grampositive Bakterien. Ein Beispiel wäre hier Staphylococcus aureus, die sogenannten MRSA, aber auch Enterococcus faecium oder faecalis. Und es hat auch eine besonders potente Wirkung gegen Mycobacterium tuberculosis. Das ist auch eine Anwendungsmöglichkeit für Teixobactin, weil es sehr effizient gegen diese Mykobakterien, die Erreger der Tuberkulose, wirkt."
Dazu kommt: Die Forschenden halten die Gefahr, dass Resistenzen gegen den Wirkstoff auftreten, auch langfristig für sehr gering:
"Es wirkt anders als viele andere, und es ist strukturell komplett etwas Neues, also so eine Substanz kannte man vorher nicht. Der Wirkmechanismus unterscheidet sich in Details von anderen – die allerdings extrem wichtig sind, um letztlich die Potenz der Substanz zu erklären."
Neuartige Wirkweise soll Resistenzen verhindern
Teixobactin verhindert, dass die krankheitserregenden Bakterien eine neue Zellwand aufbauen können, wenn sie sich teilen. Das tut auch Penicillin. Anders als Penicillin greift Teixobactin aber an Molekülen an, die für das Bakterium so wichtig sind, dass jede Veränderung tödliche Folgen hätte. Und Teixobactin tut das gleich an mehreren Stellen. Und doch wäre der Wirkstoff – wie auch damals Penicillin – beinahe nicht entdeckt worden. Zum Glück aber schauten die Forschenden in beiden Fällen genauer hin und zogen im richtigen Moment die richtigen Schlüsse. Tanja Schneider:
"Auf einer Konferenz habe ich einen Vortrag gehört von Doktor Kim Lewis aus Boston..."
Der Wissenschaftler präsentierte eine neue Substanz und deren chemische Struktur. Das lässt im besten Fall Rückschlüsse darauf zu, wo und wie sie wirkt. Im Publikum saß Tanja Schneider und hatte eine Idee. Sie fühlte sich an Moleküle erinnert, mit denen sie in der Vergangenheit gearbeitet hatte.
"Und dann bin ich nach dem Vortrag zu dem Kim Lewis hin und habe ihm gesagt, also das wäre eine schöne Substanz, und ich könnte mir gut vorstellen, dass ich jetzt wüsste, wie sie wirkt. Und daraufhin hat er, glaube ich, gedacht, ich hätte zu viel Alkohol getrunken. Hatte ich aber nicht."
Viele Hürden auf dem Weg
Es folgten: ein Päckchen mit einer Probe des mutmaßlichen Zielmoleküls von Bonn nach Boston, weitere Experimente und – auf Bostoner Seite – großes Erstaunen. Die Substanz griff tatsächlich an entscheidenden Stellen in den Aufbau der Zellwand bei bestimmten Bakterien ein – wie von Tanja Schneider vorhergesagt.
"Das war dann praktisch der Startschuss für unsere Kooperation. Und dann haben wir den Wirkmechanismus dann gemeinsam vollständig aufgeklärt."
Teixobactin zählt zu den vielversprechenden Kandidaten bei der Suche nach neuen Antibiotika. Der Weg zum Medikament ist dennoch weit – und scheitern kann das Projekt an jeder der vielen Hürden, die noch zu nehmen sind.
"Die Erfolgsrate, eine grampositive Substanz zu finden, die dann auch tatsächlich zugelassen wird, würde ich einschätzen irgendwas zwischen eins und zehn Prozent."
Besondere Herausforderung: Gramnegative Bakterien
Für gramnegative Bakterien wie Pseudomonas oder Legionellen, an die Wirkstoffe schlechter herankommen, schätzt Schneider die Chancen noch einmal um einen Faktor zehn geringer ein. Die Gründe sind vielfältig: Oft sind die Substanzen nicht nur für die Krankheitserreger giftig, sondern auch für menschliche Zellen. Oder umgekehrt: Ihre Wirkung ist zu schwach oder sie sind nicht aktiv genug. Für Wirkstoffe wie Teixobactin, die diese Hürden genommen haben, geht es etwa um die Fragen, wie stabil die Verbindungen im Körper sind und wie sie den Ort erreichen, an dem sie wirken sollen.
"Die Antibiotika an sich sind schon besondere Substanzen. Weil, es ist so, dass sie natürlich im Körper des Menschen wirken müssen und sich dort auch entsprechend verteilen müssen. Sie müssen aber dann am Infektionsort gegen die Bakterien wirken. Und hier sind dann wieder ganz andere Kriterien wichtig für das Molekül, um beispielsweise eine Membran zu überbrücken, als das jetzt beispielsweise für die Verteilung im Körper notwendig wäre."
Noch kann der Kandidat scheitern
Teixobactin ist noch im Rennen. Geprüft wird insbesondere ein Einsatz gegen den Erreger von Tuberkulose. In den USA finden zurzeit Untersuchungen statt, die klären sollen, ob sich die Substanz für klinische Studien eignet, das heißt: für den Einsatz am Menschen. Die Chancen, dass Teixobactin tatsächlich als Medikament zugelassen wird, bewertet Tanja Schneider vorsichtig optimistisch:
"Ich würde es mir wünschen. Aber ich habe keine Kristallkugel, um das vorherzusagen. Da gibt es so viele Möglichkeiten, an denen so eine Substanz scheitern kann."