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Neuaufnahmen unbekannter Opern des 18. Jahrhunderts

Der Venezianer Baldassare Galuppi war einer der erfolgreichsten Komponisten des 18. Jahrhunderts - sowohl in der Oper, wo er von den späten 40er bis zu den frühen 60er Jahren die Szene europaweit beherrschte, als auch in der Kirchenmusik. Nachdem er sich - gegen einige Widerstände - in seiner Heimatstadt durchgesetzt hatte, entwickelte sich die venezianische Kirchenmusik zu einer Art Galuppi-Monokultur: Die Menge seiner geistlichen Werke ist schier unübersehbar und bis heute sind sie nicht vollständig katalogisiert. Aber auch als Opernkomponist war er geradezu ungeheuerlich fruchtbar: An die hundert Opern sind nachgewiesen - wobei nicht die heute zumindest dem Titel nach noch bekannten komischen Opern dominieren, sondern die Opere serie. Doch ob tragisch oder komisch - Galuppis Opernschaffen ist schon dadurch bemerkenswert, dass er in beiden Feldern über mehr als zwanzig Jahre mit einem der prominentesten Bühnenautoren seiner Zeit zusammenarbeitete: Carlo Goldoni. Und während Pietro Metastasio, der stilbildende Librettist der älteren Generation, dem galanten Leichtsinn von Galuppis Musik nichts abgewinnen konnte, scheint sie Goldonis Vorstellungen um so mehr entsprochen zu haben - etwa im folgenden Stück, einer Zorn- und Rache-Arie:

Von Ingo Dorfmüller |
    • Musikbeispiel: Baldassare Galuppi - 3. Akt, Aria Ergilda (Ausschnitt) aus: "Gustavo Primo":

    Mónika González mit der Arie der Ergilda aus der Oper "Gustavo primo, Re di Svezia" - "Gustav der Erste, König von Schweden" von Baldassare Galuppi. Diese 1740 in Venedig uraufgeführte Opera seria war die erste Zusammenarbeit von Goldoni und Galuppi. Die Wahl des Sujets ist ungewöhnlich: sein historischer Hintergrund ist die Rückkehr Gustav Wasas aus dem Exil , der die Vertreibung der Dänen aus Schweden und die Begründung des schwedischen Nationalstaates im Jahr 1523 folgten. Doch werden die historischen Fakten nur am Rande gestreift - und im Übrigen in die seriatypischen Liebesintrigen und Verwicklungen verpackt. So bleibt die Handlung von der mehr oder weniger zufälligen historischen Einkleidung im Kern unberührt und könnte ebensogut in irgendeinem mythologischen Königreich angesiedelt sein. Dazu passt, dass bei Goldoni im zwar protestantischen, aber doch immerhin christlichen Schweden unentwegt die Götter angerufen werden und die Personen gänzlich un-schwedische, dafür aber um so mehr seria-typische Namen wie Ergilda, Dorisbe und Learco tragen. Und auch im poetischen Detail weicht der Text kaum von den standardisierten Formeln der Seria ab - kurz: das Ding ist Meterware aus der Librettomanufaktur. Allenfalls in der etwas kruden Dramaturgie weicht der "Gustavo Primo" von der Vornehmheit älterer Seria-Libretti ab: so etwa, wenn Learco - das ist niemand anders als der kommende König Gustav incognito - wenn also Learco, wie schon so mancher Seria-Held vor ihm, von Pflicht und Neigung hin- und hergerissen, zwischen zwei Frauen steht und gleich in der ersten Szene des Stückes den beiden empörten Damen erklärt, er liebe sie eben beide. Das ist dann ein wenig, als habe sich das Personal der Opera buffa in die Seria verirrt.
    Es liegt auf der Hand, dass differenzierte Charakterportraits und auch der große, musikalisch extrem formulierte Affekt diesem Text nur mit Mühe abzugewinnen wären: insofern wird verständlich, warum beispielsweise Händel, als Galuppi sich für zwei Jahre in London aufhielt, sich mit so viel Verächtlichkeit über dessen Werke äußerte. Indessen ist es ungerecht, Galuppi an Ansprüchen zu messen, die er selbst an seine Musik gar nicht gestellt hätte: man kann auch so an seinem geschmeidigen, charmanten und melodisch ungemein erfindungsreichen Stil einigen Gefallen finden.
    Allerdings könnte man sich schon vorstellen, dass sein "Gustavo primo", anders musiziert, doch zumindest etwas mehr dramatische Wirkung entfalten könnte. Das Problem ist wohl vor allem eines der musikalischen Leitung: Fabio Pironas trockenes Dirigat planiert die Affekte zusätzlich, die Rezitative wirken karg und leblos, und wenn auch Striche in diesem Werk sicherlich berechtigt sind, sollten sie doch nicht ausgerechnet das Dacapo einer Bravourarie amputieren. Andererseits: nennenswerte Verzierungen in den Dacapos gibt es ohnehin nicht - insofern lässt sich auch dieser Verlust verschmerzen. Ansonsten wird durchweg ansprechend gesungen, werden auch die virtuosen und stilistischen Anforderungen von Galuppis Musik anstandslos bewältigt: sowohl von Mario Cechetti als Gustavo/Learco, als auch von Mónika González als Ergilda, die Sie eben schon hören konnten. Überzeugend auch Gabriela Letai Kiss als Dorisbe. Eine Besonderheit ist die Besetzung des Ernesto, im Stück der weise alte Ratgeber des Königs Gustav: Galuppi hat die Rolle für einen Sopran konzipiert, und zwar nicht für einen Kastraten, sondern - was in der späten Opera seria durchaus möglich war - für eine Sängerin, als Hosenrolle. Hier ist das Edit Károly, deren junge, mädchenhafte Stimme mit dem Rollenprofil noch zusätzlich kontrastiert.

    • Musikbeispiel: Baldassare Galuppi: 2. Akt, Aria Ernesto (Ausschnitt) aus: "Gustavo primo"

    Eine Arie aus der Oper "Gustavo Primo" von Baldassare Galuppi; es sang Edit Károly, begleitet vom Savaria Baroque Orchestra unter der Leitung von Fabio Pirona.

    Wird man Galuppis "Gustavo" auf der heutigen Opernbühne keine großen Repertoirechancen einräumen können, so ist das bei Antonio Salieris 1799 uraufgeführtem "Falstaff" ganz anders. Das Werk zählt zu den frühen Shakespeare-Adaptionen auf der Opernbühne. Der Librettist Carlo Prospero Defranceschi hat die Handlung des personenreichen Stückes "Die lustigen Weiber von Windsor" auf den Kern reduziert, etliche Personen gestrichen und das Ganze sehr geschickt den Konventionen der Opera buffa angepasst. Salieri hat eine witzige, manchmal geradezu geistsprühende Musik dazu geschrieben, der die bei diesem Komponisten gelegentlich zu beobachtende, etwas kurzatmige Kleinteiligkeit durchaus zum Vorteil gereicht. Kaum zu verstehen, dass dieses auch kleineren Bühnen durchaus zugängliche Werk den Weg zurück ins Opernrepertoire noch nicht gefunden hat. Schon die Ouvertüre hat Ohrwurm-Qualitäten:

    • Musikbeispiel: Antonio Salieri - Ouverture (Ausschnitt) aus: "Falstaff"

    Bereits die Ouverture lässt Vorzüge und Mängel der Neuaufnahme erkennen: Es handelt sich um einen Live-Mitschnitt, der zwar die Lebendigkeit der Bühnenaufführung sehr schön einfängt - allerdings auch alle Bühnengeräusche getreulich überträgt. Zudem ist die staubtrockene Akustik des Stadttheaters im nordfranzösischen Tourcoing ausgesprochen unvorteilhaft und stellt alle Mängel im Zusammenspiel gnadenlos bloß. Auch in puncto Klangkultur ist Jean-Claude Malgoires Orchester "La Grande Ecurie et la Chambre du Roy" in dieser Aufnahme eher im unteren Mittelfeld anzusiedeln.
    Die Sängerbesetzung hingegen ist durchaus überzeugend, wenn auch in den komischen Szenen auf Kosten der Musik dem Affen manchmal etwas zuviel Zucker gegeben wird. Hier die Szene zwischen Mrs. Ford und Falstaff, die zu den Höhepunkten der Oper zählt: Mrs. Ford geht, als deutsche Zofe verkleidet, zu Falstaff, und führt mit ihm einen schrägen Dialog halb in geradebrechtem Deutsch, halb in Italienisch. Als Falstaff hören Sie Pierre-Yves Pruvot, als Mrs. Ford Salomé Haller.

    • Musikbeispiel: Salieri: 1. Akt, Szene Falstaff - Mrs. Ford und Arie Mrs. Ford (Ausschnitt) aus: "Falstaff"

    Vergleicht man die neue Aufnahme mit der Erstaufnahme des Werks, bei Hungaroton erschienen und noch immer erhältlich, so stellt man fest, dass sie in jeder Beziehung antithetisch sind. Hungaroton bietet z.T. wunderbare Sängerdarsteller auf, etwa József Gregor und Támas Csurja als Falstaff und sein Diener Bardolfo. Vergleichbare Leistungen wird man in der neuen Aufnahme nicht finden, dafür aber jugendliches Temperament und frische unverbrauchte Stimmen. Für welche Aufnahme man sich entscheidet, ist letztlich Geschmackssache - vertretbare Versionen des Stücks bieten beide. Hier ist das Finale aus der neuen Aufnahme mit Jean-Claude Malgoire:

    • Musikbeispiel: Salieri - 2. Akt, Finale (Schluss) aus: Falstaff

    Die Neuaufnahme der Oper "Gustavo Primo, Re di Svezia" unter Fabio Pirona ist erschienen bei Hungaroton; Antonio Salieris "Falstaff", dirigiert von Jean-Claude Malgoire, ist auf dem Label Dynamic herausgekommen; beide im Vertrieb von Disco-Center Kassel. Am Mikrophon verabschiedet sich mit Dank für’s Zuhören Ingo Dorfmüller.

    Baldassare Galuppi: "Gustavo Primo"
    div. Solisten
    Orchester: Savaria Baroque Orchestra
    Leitung: Fabio Pirona
    Label: Hungaroton (Vertrieb: Disco-Center Kassel)
    Labelcode: LC 01181
    Bestellnr.: HCD 33104-04

    Antonio Salieri: "Falstaff"
    div. Solisten
    Orchester: La Grande Ecurie et la Chambre du Roy
    Leitung: Jean-Claude Malgoire
    Label: Dynamic (Vertrieb: Disco-Center Kassel)
    Bestellnr.: 405/1-2
    Antonio Salieri: "Falstaff"
    Antonio Salieri: "Falstaff" (Dynamic)