Es ist ein lauer Sommerabend in Duisburg-Rheinhausen, als Sören Link, der Oberbürgermeister der Stadt, hektisch aus seinem schwarzen Dienstwagen steigt, sich das graue Sakko überwirft – und angehetzt kommt:
"Ja, da isser er ja.
"Haben wir noch Zeit für eine Zigarette?"
"Ja, klar, eine noch."
Erstmal eine rauchen. Die wartenden Genossinnen und Genossen beruhigen ihren OB:
"Ganz ruhig, atme tief durch."
Willkommen zum Thekengespräch! So heißt das Format, mit dem die SPD in Duisburg wieder Tuchfühlung bekommen will, mit den Wählerinnen und Wählern. Heute geht es ins Haus Ettwig. Holzvertäfelt, stehen Jägermeister-Flaschen in Kopf-Höhe hinter der Theke, Deutschland-Wimpel hängen an der Decke, in der Ecke blinken Spielautomaten. Link hat sich mittlerweile durch die Gruppe der rund 60 Menschen, die gekommen sind, gekämpft, steht am Tresen, ein Bier in der Hand:
"Wir haben bei der Landtagswahl 2017 kein richtig herausragendes Ergebnis erzielt als Sozialdemokraten. Das war nicht so, wie wir uns das gewünscht haben. Und wir haben bei der Bundestagswahl auch nicht das Ergebnis erzielt, was wir erreichen wollten."
Sören Link, 42 Jahre alt, markante, schwarze Brille, Glatze, grauer Anzug, dagegen schon: Am Tag der Bundestagswahl wurde er direkt im Amt bestätigt, bekam knapp 57 Prozent der Stimmen - und ist seitdem so etwas wie der Hoffnungsträger der einst so mächtigen und kraftstrotzenden NRW-SPD. Jeder vierte Genosse bundesweit stammt von Rhein und Ruhr.
"Und wir haben uns gefragt: Wie kann das sein, dass wir als Sozialdemokraten in unserer Stadt Duisburg nicht mehr da bei den Ergebnissen sind, wo wir gerne sein möchten, wo uns viele Bürgerinnen und Bürger ansprechen und sagen: Ihr müsst Euch um unsere Probleme kümmern, aber offensichtlich gelingt es uns nicht, die dazu zu bringen, uns auch zu wählen, damit wird die Probleme lösen können."
Link ist derzeit so etwas wie der Vorzeige-Sozi
Bei der ersten Auflage ging es vor allem um die AfD, zu der viele einstige SPD-Stammwähler abgewandert sind. Man habe, so erzählt es ein Mitarbeiter stolz, die Stimmung dann drehen können. Jetzt also Rheinhausen:
"Und wir gehen mal so ein bisschen rum, damit auch jeder zu Wort kommt und uns auch sehen kann."
Link macht sich auf - und wird nach einem Schritt von einer kleinen Frau gestoppt. Es geht um eine Brücke in der Nachbarschaft:
"Und ich kann Ihnen nur sagen: Besorgen Sie uns in kürzester Zeit die Cölve-Brücke und Bergheim wird wieder SPD wählen."
In den nächsten gut zwei Stunden geht es um die Sauberkeit der Stadt, Unterstützung für junge Unternehmer und um den Zugang zu barrierefreien Toiletten und um den Zustand der Wohnungen, gerade für sozial Schwächere…
"Es passiert nix. Wir sind Hartz-VI-Empfänger. Es kann nicht sein, dass wir in der Woche dreimal heißes Wasser haben und die restliche Zeit nicht. Wir sind ein Staat, wo so etwas eigentlich gar nicht sein dürfte."
Nicken beim Oberbürgermeister. Wer hier den Abend mit Sören Link verbringt, seine zupackende, souveräne Art erlebt, bekommt eine Idee davon, warum mehr als die Hälfte der Bürger ihn, den SPD-Mann gewählt haben. Klare Sprache, kein Verstecken, sich kümmern, um die Sorgen, aber auch anecken, wie kürzlich beim Vorstoß das Kindergeld für Ausländer zu begrenzen. Doch wenn Link so etwas wie der Vorzeige-Sozi aktuell ist, hat sich der Landesverband inzwischen - gut ein Jahr nach der Landtagswahlniederlage - zwar personell neu aufgestellt, doch noch sind viele Fragen offen:
"Dreht euch mal um, da ist die Kamera."
Ein Kindergarten, ebenfalls in Duisburg. Foto-Termin mit Thomas Kutschaty. Der 50-jährige Jurist aus Essen, dichter Vollbart, ruhiges Gemüt, war einst NRW-Justizminister, ist nun neugewählter SPD-Fraktionschef im Landtag.
"Soll ich Dich da jetzt auch reinsetzen?"
Ein Kopfschütteln bei dem Jungen.
"Du kannst das schon selber, ne?"
"Entschuldigung, Entschuldigung, wie konnte ich fragen."
Der SPD-Landtagsfraktionschef fordert das Ende von Hartz IV
Kutschaty, selbst Vater dreier Kinder, weiß um das Selbstbewusstsein kleiner Jungs. Er will nun seiner Partei helfen und wieder Fuß fassen, im einstigen Stammland, in dem über die Jahre und Jahrzehnte erst die Grünen, dann die Linken und inzwischen auch die AfD am sozialdemokratischen Wählerpotential knabbern, wenn nicht sogar kräftig zubeißen:
"Im Bereich der inneren Sicherheit haben wir, glaube ich, die gefühlte Sicherheitslage vor Ort falsch eingeschätzt, wir haben uns zu sehr auf die objektiven Zahlen verlassen, wonach die Kriminalität runtergegangen ist. Ich glaube, im Schulbereich ist in der Inklusion einiges nicht so richtig gelaufen, wie es sollte, da haben wir viele Menschen eher verunsichert, als dass wir Verbesserungen für die betroffenen Kinder geschaffen haben. Auch das sind Sachen, wo wir jetzt nochmal kritisch rangehen. Ich glaube, das gehört jetzt auch mal dazu, zu sagen: Entschuldigung, da haben wir irgendwie etwas nicht richtig gesehen."
Auf dem letzten Parteitag vor zwei Monaten machte Kutschaty – eher wenig beachtetet – einen Vorstoß, Hartz IV abzuschaffen:
"Parteiintern stößt das auf große Resonanz. Ich merke, dass bei vielen Veranstaltungen, dass dieser Mühlstein, der seit 13 Jahren um unseren Hals hängt, glaube ich, gerne mal abgelegt werden möchte. Glaube schon, dass wir hier in Nordrhein-Westfalen in der Sozialdemokratie eine große Mehrheit dafür finden, dieses System zu reformieren, generell über ein neues Sozialstaatsmodell nachzudenken."
Mehr Staat, mehr Rot pur. Das ist auch die Haltung von Sebastian Hartmann. Der 41-Jährige ist seit Juni neuer Parteichef an Rhein und Ruhr und muss so in die großen Fußstapfen von Johannes Rau oder Hannelore Kraft treten. Er steht auf dem Sommerfest der SPD in Hennef, nahe Bonn:
"… als örtlicher Bundestagsabgeordneter bin ich natürlich gerne da und wie immer, wenn die SPD einlädt, scheint die Sonne, aber auch nicht so, als das man es nicht aushalten kann."
Alles perfekt also? Später spielt eine Band. Und Hartmann, qua Amt neben Link, Kutschaty und auch Bundesumweltministerin Svenja Schulze, einst Generalsekretärin in NRW, Teil der neuen NRW-SPD-Führungsfiguren, spricht über die personelle Neuaufstellung:
"Moderne Organisationen haben einen Teamgedanken. Natürlich ist es klar, dass man als Vorsitzender auf dem Platz eins ist. Aber: Das Zusammenspiel ist entscheidend."
Neue Tonlage der einst so stolzen NRW-SPD
Aber nicht einfach. Denn: Wer mit Lobbyisten, Interessensvertretern und anderen Gruppen spricht, bekommt schnell das Gefühl, dass man sich dort eher an Kutschaty hält, den Oppositionschef im Landtag, Vorsitzender des Kraftzentrums Fraktion. Zumal es noch ein weiteres, absehbares Dilemma gab und gibt: Denn Hartmann in Berlin ist Teil der Großen Koalition, genauso wie Schulze und Link, gehörte er zu einem Befürworter dieser Konstellation. Kutschaty, wie viele führende NRW-Landespolitiker, war dagegen - und muss nun den Berliner Koalitionspartner auf Landesebene kritisieren. Nicht einfach, vor allem weil gerade die Sozial-Ressorts auf Bundes-Ebene ja in SPD-Hand sind. Dennoch: Kutschaty und Hartmann trimmen den NRW-Landesverband, eigentlich einst immer eher realistische Regierungspartei, nun auf einen linken Kurs – auch wenn Kutschaty sagt:
"Ich möchte modern werden, ich möchte die Zukunftsfragen beantworten. Wenn Sie meinen, das wäre eher eine linke Politik, dann kann ich da durchaus mit leben."
Bei Hartmann klingt das so:
"Und so werden wir auch wieder in Nordrhein-Westfalen auf Platz eins kommen, in dem wir nämlich Politik mit den Menschen, für die Menschen machen. Ihre Sorgen und Nöte des Alltages ernst nehmen und in einer verständlichen Sprache sprechen."
Und in Duisburg, beim Thekengespräch im Haus Ettwig mit Sören Link, meldet sich zum Abschluss der einstige SPD-Hoffnungsträger in NRW:
"Vielen Dank, dass sie alle gekommen sind."
Ex-Innenminister Ralf Jäger, der Duisburger Partei-Chef:
"Und ich hoffe, dass rübergekommen ist, dass wir tatsächlich diejenigen sind, die Sie ansprechen können. Wir sind da. Nehmen Sie uns wirklich in Anspruch: Das ist unser Job."
Es klang fast flehentlich - und somit nach einer neuen Tonlage der einst so stolzen NRW-SPD.