Neue Köpfe, andere Inhalte und mehr Frauen an der Spitze - das sind nur einige Forderungen aus den Reihen der CDU als Folge der Wahlniederlage. Welchen Weg wird die CDU einschlagen – und mit welchem Personal an der Spitze?
Nach der Wahlniederlage bei der Bundestagswahl konzentriert sich die CDU auf die Neuaufstellung an der Parteispitze. So wie der Zustand momentan sei, könne es nicht weitergehen, betonte Parteichef Armin Laschet beim Deutschlandtag der Jungen Union am 15. Oktober – und gab sich eine Mitschuld am aktuellen Zustand der Partei: "Den Wahlkampf, die Kampagne habe ich alleine zu verantworten." Beim Wechsel an der Parteispitze soll die Basis eine entscheidende Rolle spielen. Das hatten vor allem junge CDU-Politiker wie der Parlamentarier Philipp Amthor oder der Junge-Union-Chef Tilman Kuban gefordert. Eine Mitgliederbefragung sei dabei eine Option, sagte Amthor im Deutschlandfunk. Die endgültige Entscheidung habe dann schon aus Satzungsgründen der Parteitag zu treffen.
Auf der Konferenz der Kreis- und Bezirksvorsitzenden der CDU in Berlin am 30. Oktober sprachen sich die Teilnehmenden deutlich für eine Mitgliederbefragung zum künftigen Parteivorsitz aus. Vor der Konferenz forderte auch der Vorsitzende des Kreisverbands Neunkirchen/Saar, Roland Theis, eine Mitgliederbefragung.
"Die Basis will mitreden"
, sagte der CDU-Politiker im Dlf. Das betreffe nicht nur die künftige Führung der Partei, sondern auch das neue Grundsatzprogramm. Norbert Röttgen, der als möglicher Kandidat für den Vorsitz gilt, begrüßte am 1. November 2021 im Dlf die Entscheidung, die Mitglieder in die Wahl miteinzubeziehen.
Die 400.000 Mitglieder der CDU wollten Teil eines Neuanfangs sein.
"Das ist also eine positive Botschaft des Dabeiseins, des Mitgestaltens."
Am 2. November werden das Präsidium und Vorstand der CDU dann entscheiden, wann der Bundesparteitag zur Wahl eines neuen Vorstands zusammentreten soll. Für die Neuwahl der gesamten CDU-Führung soll es spätestens Anfang des kommenden Jahres einen Sonderparteitag geben. Das Ziel: Bis Anfang 2022 soll die Laschet-Nachfolge beschlossen sein.
Doch Basisdemokratie will geübt sein, kommentierte der Journalist und ehemalige Leiter des Hauptstadtbüros der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" Günther Bannas am 16. Oktober im Dlf. "Das war noch nie die Sache der CDU". Deshalb sei nicht zu erwarten, dass die CDU ihren Kandidaten per Urabstimmung auswählt.
Laschet selbst hatte zuletzt als Konsequenz aus dem schwachen Abschneiden seiner Partei eine personelle Neuaufstellung angekündigt und erklärt, diesen Prozess zu moderieren. Nach Umfragen in den Wochen nach der Wahl waren rund zwei Drittel der Menschen in Deutschland dafür, dass Armin Laschet als CDU-Vorsitzender zurücktritt. Norbert Röttgen wurde sehr deutllich: "Die fehlende Akzeptanz des Kandidaten war der Hauptgesprächsgegenstand im Wahlkampf. Das weiß auch Armin Laschet." Das müsse man ehrlich aussprechen.
Es gebe aber auch gute Gründe dafür, dass Laschet nicht sofort vom Amt des CDU-Vorsitzenden zurückgetreten sei, sagte die Politikwissenschaftlerin Julia Reuschenbach im Dlf. Damit wären Personaldebatten losgebrochen, die die CDU nach Außen in ein noch schlechteres Licht gerückt hätten - auch gegenüber potenziellen politischen Partnern. Laschet versuche jetzt, ein Stück weit im Interesse der Partei zu handeln, "wenn er sagt: Ich signalisiere meinen Rückzug, aber ich lasse jetzt auch nicht einfach den Dingen ihren Lauf." Ob ihm das aus seiner geschwächten Position heraue gut gelingen werde, sei aber fraglich.
In der Diskussion um die Nachfolge von Armin Laschet als CDU-Chef tauchen einige Namen immer wieder auf:
Ins Gespräch gebracht hat sich nach Informationen der "Bild" erneut der CDU-Wirtschaftsexperte Friedrich Merz, Anfang der 2000er-Jahre Fraktionsvorsitzender der Union im Bundestag. Er war Laschet Anfang 2021 bei der Wahl um den Parteivorsitz unterlegen. Merz formulierte allerdings Bedingungen: Bei einem Mitgliedervotum würde er sich zur Wahl stellen, bei einer Parteitagsabstimmung nicht. Der Düsseldorfer Politologe Ulrich von Alemann sagte im Dlf, bei einem Mitgliederentscheid über einen neuen CDU-Vorsitzenden seien Merz’ Chancen "sehr hoch".
Auch der Name Jens Spahn ist immer wieder zu vernehmen. Er war beim Parteitag der CDU im Januar 2021 noch im Team mit Laschet angetreten. Der 41-Jährige selbst sagte nach der Bundestagswahl, CDU-Mitglieder seiner Altersgruppe sollten eine größere Rolle spielen: "Die nächste Generation nach Angela Merkel muss jetzt stärker sichtbar werden, in Positionen und in Verantwortung kommen."
Als mögliche Nachfolgekandidaten außerdem im Gespräch: Norbert Röttgen, der wie Friedrich Merz bereits eine Kandidatur gegen Laschet hinter sich hat, Ralph Brinkhaus, der seit 2018 das Amt des Vorsitzenden der Bundestagsfraktion von CDU und CSU innehat, sowie Carsten Linnemann, der als Chef der CDU-Mittelstandsvereinigung starken Rückhalt im Wirtschaftsflügel der CDU genießt.
"Die CDU steht vor dem Abgrund, dass sie die Staatsführung verliert",
sagte der Düsseldorfer Politologe Ulrich von Alemann im Dlf (02.10.2021)
. "Das macht sie hektisch, das macht sie unklar." Die Partei brauche nicht unbedingt einen starken Mann wie damals Konrad Adenauer, aber einen starken Fokus an der Spitze.
Auch CDU-Präsidiumsmitglied Norbert Röttgen forderte eine umfassende Erneuerung seiner Partei bei den Punkten "Fraktion, Inhalte, Kommunikation, Personal". Der CDU müsse klar sein, dass sie die Bevölkerung nicht mit Schlagworten wie "Modernisierung", "Entfesselung" und "Ökonomie plus Ökologie" abspeisen könne. CDU-Bundestagsabgeordnete Friedrich Merz sagte beim Deutschlandtag der Jungen Union, dass mit Blick auf die nächste Wahl eine "Agenda 2025" nötig sei. Die Regierung sei in den letzten Jahren denkfaul geworden.
Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier empfahl im Dlf hingegen
, den Kurs der Mitte beizubehalten und vor allem von einer stärkeren Rechtsorientierung abzusehen. Die CDU müsse den von Kanzlerin Merkel eingeschlagenen Kurs forsetzen und sich klar von der AfD abgrenzen. Er halte nichts von einer "persönlichen Schlammschlacht" bei der Aufarbeitung der Niederlage seiner Partei. Es bringe die Erneuerung einer Partei nicht voran, wenn man einzelne Personalentscheidungen rückwirkend betrachte. Man müsse jetzt vielmehr auf die inhaltlichen Fragen schauen.
Veränderung innerhalb der Partei fordern auch die Frauen. Die stellvertretende CDU-Vorsitzende Julia Klöckner kritisierte, dass Frauen in der Partei zu wenig sichtbar seien. Nötig sei "schlichtweg Normalität, eine Selbstverständlichkeit auch beim ersten Hinschauen", dass Frauen in der CDU in der Breite keine Seltenheit seien. Ähnlich sieht das auch die Vorsitzende der Frauen-Union Annette Widmann-Mauz. Im Interview mit dem RND sagte sie, eine Erneuerung der Partei könne inhaltlich, personell und strukturell nur mit den Frauen der Partei gelingen.
Ole von Beust, der von 2001 bis 2010 Erster Bürgermeister von Hamburg war, betont, dass die CDU eine liberalere Politik brauche, um in den Städten punkten zu können, mit starrem Konservatismus sei dort nichts zu holen: "Großstädte gewinnt man nicht mit 'CDU pur'", sagte von Beust. Unter ihm als Bürgermeister hatte sich die Hamburger CDU zu einer liberalen Großstadt-Union gewandelt. 2008 nahm unter seiner Führung die erste schwarz-grüne Koalition auf Länderebene ihre Arbeit auf. Beust positioniert sich inzwischen auch für eine Frauenquote, die Hamburger CDU habe ein Frauenproblem, sagt er.
Was heißt das konkret?
Bei der konkreten Ausgestaltung der Veränderung der CDU gibt es Potenzial für einen Richtungsstreit: Röttgen mahnte an, sich auf die Nöte in der Mitte der Gesellschaft zu besinnen. "Hier, bei den Leistungsträgern unserer Gesellschaft, entstehen Sorgen, Ärger und auch Ängste. Sie stehen morgens im Stau, können kaum Wohneigentum bilden, brauchen Kinderbetreuung und haben kein Verständnis für den Qualitätsmangel an öffentlichen Schulen. Das ist die große gesellschaftliche Gefahrenzone."
Gesundheitsminister Jens Spahn fordert dagegen eine Profilschärfung bei klassischen Unionsthemen wie innere Sicherheit, wirtschaftliche Stärke, Jobs, Krisenkompetenz, gutes Regieren. "Wir sind die Partei der Polizistinnen und Polizisten, der Handwerker und Mittelständler, der Familien, derjenigen, die den Laden am Laufen halten", sagte Jens Spahn im Dlf. Der "Welt am Sonntag" sagte er, die Partei brauche einen ideologiefreieren Blick. "Themen taktisch abzubügeln, weil sie angeblich andere Parteien stark machen, gehört ab sofort in die Mottenkiste."
Der Arbeitnehmerflügel der CDU glaubt wiederum, eine konservativere Ausrichtung führe in die Sackgasse. Es brauche "ein positives sozial- und klimapolitisches Profil, um an alte Wahlerfolge anknüpfen zu können".
"Wir sind die Next-Generation-Union. Und wir wollen auch in vier Jahren wieder Verantwortung für unser Land übernehmen". So wie Christian Doleschal, Vorsitzender der Jungen Union in Bayern, wünschen sich auch andere Mitgelieder der Nachwuchsorganisation einen inhaltlichen wie personellen Neuanfang. Beim Deutschlandtag der Jungen Union sprach JU-Vorsitzender Tilman Kuban von einer "beschissenen Lage" seiner Partei und forderte eine Debatte für ein Grundsatzprogramm der Union. Es sei Zeit "für junge Köpfe und für eine neue Programmatik". Ähnlich sieht es auch CDU-Vorstandsmitglied Wiebke Winter. Die Grundsatzdebatte, die von der früheren Parteichefin Annegret Kramp-Karrenbauer angestoßen, aber nicht zu Ende gebracht worden sei, müsse wieder aufgegriffen werden, sagte sie im Dlf. Zudem müssten mehr weibliche Köpfe in die Bundestagsfraktion. Als einen ersten Schritt einer Erneuerung sehen viele JU-Politiker eine Mitgliederbefragung für den neuen Parteivorsitz.
Quellen: dlf.de, Paul Vorreiter, Axel Schröder, pto, fmay, kho, dpa