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Neuausgabe von Charles Platts „Weltenschöpfer“
Stimmen aus der Vergangenheit der Zukunftsliteratur

Charles Platt, selbst Science-Fiction-Autor, ist seit Jahrzehnten an den Machern der Zukunftsvisionen interessiert und hat diese interviewt. Dieser Klassiker ist nun neu erschienen, erheblich erweitert und ergänzt um Notizen zum historischen Kontext.

Von Hartmut Kasper |
Charles Platt: "Die Weltenschöpfer"
Zu sehen sind der Autor und das Buchcover von Band 3
Charles Platt: "Die Weltenschöpfer" - Völlig neu sind die Anmerkungen zum „Historischen Kontext“, die Charles Platt im Jahr 2021 exklusiv für diese Ausgabe verfasst hat. (Buchcover und Foto: Memoranda Verlag)
"Ich wollte etwas über Science-Fiction-Autoren wissen", schreibt Charles Platt in der Einführung zu seinem Werk "Die Weltenschöpfer", im Original: "Dream Makers":
"Ich fragte mich, wer sie waren, wo sie waren und wie sie ihre Werke veröffentlicht bekamen. Wie entscheiden sie, was sie schreiben wollten, was zahlten ihnen die Verlage - und wer setzte ihnen diese schrecklichen Titelbilder auf die Bücher?"

Gute Fragen an die Science Fiction

Gute Fragen, allesamt. Wären die Antworten ähnlich gut, gründlich, ehrlich, offen und durchdacht, die Nachfragen präzise und systematisch, so würden sie zu einer literatursoziologischen Analyse der Science Fiction führen, wenigstens ihrer in englischer Zunge vorgetragenen Zukunftsträume.
Denn das Inhaltsverzeichnis liest sich wie ein "Who is Who" der klassischen Science Fiction anglofoner Provenienz: Genregrößen von Paul Anderson und Alfred Bester über Philip K. Dick, Harlan Ellison und Harry Harrison, bis zu Jack Vance, A. E. van Vogt und Kurt Vonnegut Jr. bevölkern diese Ahnengalerie, dieses Walhalla oder Panoptikum.
"Kommentierte Gespräche mit Science-Fiction-Autorinnen und -Autoren" heißt die Sammlung im Untertitel, weswegen auch die weiblichen Stars der Szene im Gespräch sind, Schriftstellerinnen wie Joanna Russ, Janet E. Morris oder die große Alice B. Sheldon, CIA-Urgestein, Hühnerzüchterin und Psychologin, die, nicht zuletzt weil das Genre so männlich konnotiert war, sich das maskuline Pseudonym James Tiptree jr. zulegte.

Ein ungeschriebenes Regelwerk

Charles Platt kennt sich aus in diesem Kreis, zu dem er als Autor selbst gehört. Unparteilichkeit sollte man von ihm nicht erwarten, sondern Engagement, Verständnis und mehr für die "ungeschriebene(n) Regeln" des Genres; demnach war erlaubt:
"eine spekulative Idee, oft definiert als Frage ‚Was wäre, wenn …?‘ Etwa: ‚Was wäre, wenn Zeitreisen möglich wären?‘ Dann musste man sich in einem rational plausiblen Szenario die Konsequenzen der Idee vorstellen. Mit anderen Worten, die Idee musste sinnvoll sein."
Die gesamte Kollektion kann eine gewisse Nähe zur Fan-Szene nicht leugnen. Science Fiction - das ist und bleibt für Platt vor allem das, was sie in den 1950er, 1960er und 1970er-Jahren in den USA und in Großbritannien gewesen ist, eine Ideenliteratur. Es braucht eine zündende Idee, einen Einfall, um den sich die Geschichte dreht, gerne kurz und pointiert.
Platt favorisiert Erzählungen, in denen die Charaktere wie in einem immateriellen Experiment in den Kontext einer Welt gestellt werden, die sich von der unsrigen vor allem durch die eine technische Innovation unterscheidet. In solchen Konstrukten erscheint der Mensch fixiert, ein weitgehend unveränderliches Wesen, eine anthropologische Konstante in einem literarischen Spiel darüber, was die Zukunft bringen könnte.
Anderweitige Science Fiction zum Beispiel aus Europa? Zumal osteuropäische Autoren, Lem, die Brüder Strugatzki? Weitgehend Fehlanzeige.

Moderierte Monologe

Sicher ist es nie Leitgedanke der Science Fiction gewesen, die sich ja im Kern als Zukunftsliteratur versteht, ein Gefühl der Nostalgie hervorzurufen. Aber Zeit vergeht, Zukunft passiert, und die Gegenwart entrückt in die Vergangenheit.
So lesen sich viele der Interviews wie Erinnerungen an alte Freunde. Diese Gespräche sind kein schlichtes Frage-Antwort-Spiel, sondern ähneln moderierten Monologen. Platt leitet ein und aus, rafft und deutet. Manchmal geraten die Darstellungen der Lebensumstände seiner Gesprächspartner*Innen zu Homestories. Das Anekdotische macht den Reiz der Porträts aus, sie sind das Pfund, mit dem ihr Autor wuchert.
Völlig neu sind die Anmerkungen zum „Historischen Kontext“, die Charles Platt im Jahr 2021 exklusiv für diese Ausgabe verfasst hat und in der englischsprachigen Originalausgabe nicht vorliegen. Hier erreicht Platt durchaus eine andere Reflexionshöhe als in den menschelnden Porträts, ohne ganz vom Erlebnisaufsatz zu lassen.

Science Fiction-Autor auf Abwegen - der Fall L. Ron Hubbard

Bizarr allerdings das Gespräch mit  L. Ron Hubbard, das aus einem schriftlichen Fragenkatalog Platts und einem Antwortbrief besteht; der, von einem Ghostwriter verfasst, von dem Erfinder der Scientology-Sekte für gut befunden sein soll. Hier lesen sich Plattitüden, die eines höhergeistigen Wesens würdig sind:
"Die Fantasy gab es schon vor der SF. (…) Das Eine ist nicht notwendigerweise besser als das Andere. Sie sind halt verschieden."

Literatursoziologie? Schmöker!

Nein, die verheißene literatursoziologische Schau der Science Fiction ist "Die Weltenschöpfer" nicht geworden. Dazu sind Platts Fragen zu wenig distanziert, zu wenig systematisch, zu wenig analytisch.
Aber die auf drei Bände aufgeteilten Kollektion bilden insgesamt einen überaus amüsanten Schmöker, den der Hauch der frühen Jahre umweht, als die Dream Makers noch nicht umfangreiche Trilogien schrieben, sondern Kurzgeschichten oder Romane, die hierzulande in den sogenannten Leihbuchhandlungen vorrätig gehalten wurden, wo man sich für 50 Pfennig Gebühr eine Portion Zukunft kaufen konnte.
Insgesamt 18 Übersetzer haben an diesem Mammutprojekt gearbeitet, eine passende Vielzahl für diese verschiedenen Stimmen aus der Vergangenheit der Zukunftsliteratur.
Charles Platt: "Die Weltenschöpfer. Kommentierte Gespräche mit Science-Fiction-Autorinnen und Autoren", Band 3, Aus dem Englischen übersetzt von Frank Böhmert, Horst Illmer, Bernhard Kempen u.a., Memoranda Verlag, Berlin, 338 Seiten, 21,90 Euro.