Archiv

Neubauer zu Weltklimakonferenz
"Die Klimakrise ist kein Zufall"

Die Klima-Aktivistin Luisa Neubauer hat die Weltklimakonferenz in Glasgow kritisiert. Dort werde zu viel geredet und zu wenig gehandelt, sagte sie im Dlf. Eine Wende in der Klimapolitik werde es nur geben, wenn die Regierungen ihre Versprechen hielten.

Luisa Neubauer im Gespräch mit Moritz Küpper |
Klimaaktivistin Luisa Neubauer (l.) spricht vor dem Willy-Brandt-Haus, der SPD-Zentrale, vor tausenden Protestierenden.
Klimaaktivistin Luisa Neubauer hat im Dlf die Proteste aller Generationen auf der Straße verteidigt. Es brauche diesen Druck, um überhaupt etwas zu erreichen. (dpa / picture alliiance / Annette Riedl)
Knapp eine Woche nach dem Beginn der Weltklimakonferenz im schottischen Glasgow hat die Aktivistin Luisa Neubauer eine gemischte Zwischenbilanz gezogen. Es sei zwar gut, dass dort so viele Menschen zusammengekommen seien, sagte sie im Deutschlandfunk. Letzlich werde aber zu viel geredet und zu wenig gehandelt. "Wir sehen, dass Facetten und Teile dieser Konferenz ganz hilfreich sein können", sagte Neubauer über den Gipfel in Glasgow. Unterm Strich bliebe aber die Beobachtung, dass Regierungen immer wieder zu Gipfeln kämen, Versprechen in die Welt sendeten, sich dann aber nicht daran hielten.
Braunkohlekraftwerk Neurath in  Grevenbroich
Klimabericht: Schlechte Bilanz beim Treibhausgas
Die Corona-Pandemie hat den Klimawandel nur kurz gebremst. Der weltweite Ausstoß des Treibhausgases CO2 ist schon annähernd wieder so hoch wie vor der Krise. Was sind Ursachen?
Eine Wende werde es nur geben, wenn die Regierungen ihre Versprechen hielten. Hier sei die Bilanz aber desaströs. "Jetzt sind 25 COPs vergangen, die Bilanz dieser Versprechen ist relativ desaströs, und dann fragt man sich: 'Was will man sich eigentlich noch vormachen'", so Neubauer. "Die Klimakrise ist kein Zufall, das ist nicht nebenbei passiert. Das ist eine politische Entscheidung und politische Entscheidungen kann man ändern", sagte die Klimaaktivistin im Deutschlandfunk.
Der zunehmende Protest der Zivilgesellschaft und der Klimabewegung mache jedoch Mut. "Das zeigt, dass immer mehr Menschen bereit sind, für den Wandel zu kämpfen, den sie in der Welt sehen wollen." Zudem betonte Neubauer, positiv sei, dass immer mehr Menschen ihre Rolle beim Klimaschutz ernst nähmen. Hier brauche es mehr Proteste aller Generationen.
"Es braucht offensichtlich immer mehr und immer wieder den Druck von der Straße, das sagen ja selbst Regierungen. Ich gehe davon aus, dass wir noch sehr, sehr viel zu streiken haben", sagte Neubauer. "Ohne uns, ohne uns Menschen aus allen Generationen auf den Straßen, passiert nichts."

Das Interview im Wortlaut:

Moritz Küpper: Frau Neubauer, die Zeichen, die Signale, die Ergebnisse sind gemischt bisher. Was überwiegt bei Ihnen? Kann Glasgow noch ein Erfolg werden?
Luisa Neubauer: Ich finde zunächst diese Schwarz- und Weiß-Betrachtung von Erfolg und Misserfolg in Glasgow nicht so richtig hilfreich. Wir sehen auf der einen Seite zum Beispiel, dass ganz, ganz viele Menschen erstmals zusammenkommen, nach einer langen Pandemie sich in die Augen gucken, gerade auch aus der Zivilgesellschaft, und gemeinsam für Klimagerechtigkeit kämpfen. Das ist ganz, ganz wichtig und da ist es erst mal dann auch zweitrangig, was genau diplomatisch passiert. Wir sehen, dass Fassetten und Teile dieser Konferenz ganz hilfreich sein können.
Unterm Strich bleibt aber die Beobachtung, dass Regierungen immer und immer wieder zu Gipfeln kommen, Versprechen in die Welt senden, sich dann nicht daran halten, dann wieder kommen und statt darüber zu sprechen, was man machen muss, um Versprechen einzuhalten, neue Versprechen in die Welt senden, von denen ja eigentlich alle wissen, sie werden wieder nicht eingehalten.
Kokerei Schwelgern ThyssenKrupp Steel in Duisburg Hamborn. Rechts im Bild sind Hochöfen zu sehen, hinten links, Kühlturm des Kohlekraftwerks Duisburg Walsum.
Wie kann die Industrie ihren CO2-Ausstoß reduzieren?
Die Industrie ist für knapp 200 Millionen Tonnen CO2-Ausstoß im Jahr verantwortlich. Angesichts des Klimawandels und des verschärften Klimaschutzgesetzes muss der Ausstoß drastisch reduziert werden.
Küpper: Das war jetzt aber auch eine Schwarz-Weiß-Betrachtung.
Neubauer: Na ja, das ist die Bilanz. Wir haben zum Beispiel in den letzten Tagen – das haben, glaube ich, viele Menschen mitbekommen – gehört, dass Staaten sich jetzt verpflichtet haben, Rodungen bis 2030 zu beenden, und das ist ja wirklich lächerlich. Genau dieses Versprechen wurde 2014 gegeben und man hat sich nicht daran gehalten. Man weiß auch, dass bis 2030 die Rodungen zu beenden vorne und hinten nicht reicht, und trotzdem erwartet man aber, dafür hier zelebriert zu werden. Das ist natürlich zynisch, wenn man bedenkt, was eigentlich gerade in der wirklichen Welt passiert.

"Die Bilanz dieser Versprechen ist relativ desaströs"

Küpper: Also kann Glasgow kein Erfolg mehr werden?
Neubauer: Wie gesagt: Die Frage ist, ob man das diplomatisch betrachtet. Da ist, glaube ich, die Logik dieser Gipfel mittlerweile so verfahren. Die funktionieren ja eigentlich nur, wenn man sich darauf verlassen kann, dass Staaten ihre Versprechen einhalten. Jetzt sind 25 Cops vergangen und die Bilanz dieser Versprechen ist relativ desaströs, und dann fragt man sich manchmal, was will man sich hier eigentlich noch vormachen.
Es gibt aber Dimensionen dieser Konferenzen, zum Beispiel das, was auf der Straße passiert, zum Beispiel das, was in der Zivilgesellschaft passiert. Das macht Mut und das inspiriert und das zeigt auch, dass immer mehr Menschen bereit sind, für den Wandel zu kämpfen, den sie in der Welt sehen wollen, und nicht länger still hoffen, dass Regierungen doch noch irgendwann so einen Erweckungsmoment haben. Denn dieser Zug ist anscheinend abgefahren.
Protestierende von Ocean Rebellion, verkleidet als Großbritanniens Premierminister Boris Johnson protestieren im Vorfeld des UN-Klimagipfels in Glasgow 
Weltklimagipfel - "Wie Russisch Roulette"
Der Klimaforscher Mojib Latif plädiert für eine "Allianz der Willigen". Einige Länder müssten beim Klimaschutz vorausgehen und dürften nicht auf die letzten warten, sagte er im Dlf.
Küpper: Sie haben es angesprochen: Seit gut drei Jahren gibt es nun den Schulstreik von Greta Thunberg, Fridays for Future. Bei der letzten Klimakonferenz gab es Ihre Bewegung noch nicht. Machen Sie nun den Unterschied, dieser Protest?
Neubauer: Ich finde es interessant, dass man von einer Jugend-Klimabewegung erwartet, einen riesengroßen, weltweit umspannenden diplomatischen Protest so weit zu bewegen, dass er selbst sich in irgendeiner Art von Wirkungsgrad reinsteigert. Ich finde, man sollte zunächst einmal erwarten können, dass Regierungen zu Gipfeln reisen, Versprechen machen und sie dann einhalten.
Ich weiß manchmal nicht, in welcher Welt wir leben, dass man das für normal findet, dass immer und immer wieder Versprechen gebrochen werden, auch an Wählerinnen und Wählern. Wo sind wir denn hier?
Was wir sehen ist auf der anderen Seite immerhin, dass Stimmen mehr gehört werden, Stimmen aus der Zivilgesellschaft, Stimmen aus der Bewegung, auch von Fridays for Future, aber natürlich nicht genug, und wir erleben hier auch eine Klimakonferenz, die wahnsinnig exklusiv ist, wo sehr viele Menschen überhaupt keine Möglichkeiten haben, gehört zu werden.
Viele hatten nicht mal mehr die Möglichkeit, hier anzureisen, weil es ein sehr, sehr diskriminierendes Verfahren gibt mit Visa und Corona-Impfung und so weiter und so fort, und das reicht natürlich nicht. Aber ganz ehrlich: Ich finde, wir sollten uns darauf verlassen können, dass Regierungen hier loslegen und mehr als leere Worte liefern. Das ist nach wie vor ein Skandal, dass man davon nicht ausgehen kann.
Hinweisplakat auf den UN-Klimagipfel COP26 in der Innenstadt von Glasgow
Nächster Anlauf im Kampf gegen die Klimakatastrophe
Die ehrgeizigen Beschlüsse im Pariser Klimaabkommen waren in der Rückschau nur Lippenbekenntnisse. Vom UN-Klimagipfel in Glasgow wird deshalb nichts weniger als eine echte Wende in der globalen Klimapolitik erwartet.

"Ohne uns Menschen aus allen Generationen auf den Straßen passiert nichts"

Küpper: Aber wenn ich Ihren Ausführungen folge und Glauben schenken darf, dann ist das ja nicht so. Dann brauchen wir ein neues Format, weil der Protest alleine an sich als Selbstzweck bringt ja auch nichts.
Neubauer: Na ja, Sie haben das eben gesagt. Ich werde ganz viel hier gefragt, ob wir nicht mal was Konstruktiveres machen wollen als Protest, und das ist so skurril, denn alle erkennen ja an, dass tatsächlich internationale Klimadiplomatie erst dann wirklich wieder ein bisschen Tempo bekommen hat, nachdem protestiert wurde.
Wandel ist ja keine lineare Veranstaltung und es braucht offensichtlich immer mehr und immer wieder den Druck von der Straße. Das sagen ja selbst Regierungen. Das heißt, ich gehe davon aus, dass wir noch sehr, sehr viel zu streiken haben, und wir appellieren entsprechend auch an die Menschen, mit uns auf die Straße zu kommen.
Wir gehen heute in Glasgow auf die Straße und auch morgen und es wird mehr davon brauchen. Es wird mehr von diesem Druck brauchen, denn was wir sehen und was die Bilanz der letzten 40 Jahre in der Klimapolitik ist, ohne uns, ohne uns Menschen aus allen Generationen auf den Straßen passiert nichts.
Windkrafträder bei Nauen (Brandenburg) hinter einem Solarpark.
Ausbau der erneuerbaren Energien - was ist machbar?
In Deutschland ist der Energiesektor für den größten Anteil der Emissionen verantwortlich. Er ist allerdings auch der Bereich, der zuletzt im Vergleich am meisten einsparen konnte.
Küpper: Aber das klingt eher hoffnungslos, verzweifelt. Nach dieser Logik müsste sich der Protest ja immer weiter radikalisieren, um immer wieder neu gehört zu werden.
Neubauer: Ich finde, das ist nicht hoffnungslos. Ich finde, das ist ermächtigend, weil wir die Möglichkeit haben, die Veränderungen zu erwirken. Wir sind nicht dem ausgesetzt, was da irgendwo mit der fremden Welt passiert.

"Noch nie war die Bereitschaft für Klimaschutz so groß"

Küpper: Aber es ändert sich ja nichts, wenn ich Ihnen glauben darf.
Neubauer: Wir sehen riesengroße Veränderungen. Noch nie war die Bereitschaft für Klimaschutz so groß. Wir sehen überall Initiativen, die auf die Straße gehen und sich organisieren. Wir sehen natürlich auch, dass innerhalb von Institutionen wie Regierungen immer zukunftsweisendere Entscheidungen getroffen werden. Die reichen noch nicht aus und ich glaube schon, dass es diesen klaren Blick auf die Zahlen braucht. Wir müssen uns ja auch ehrlich machen, wo wir stehen. Aber zu sagen, dass das alles nichts bringt, das wäre ja völlig unangemessen, wenn wir sehen, dass überall was in die Gänge kommt.
Wir wissen aber auch, noch reicht es nicht, und deswegen appellieren wir an die Menschen, dazuzukommen und wo immer sie auch sind mitzumachen. Die Klimakrise ist ja kein Zufall, es ist nicht nebenbei passiert, dass man am Nachmittag nicht aufgepasst hat. Das ist eine politische Entscheidung und politische Entscheidungen kann man ändern.
Küpper: Aber das heißt dann doch, dieser Protest, diese Bewegung Fridays for Future, Sie haben dann schon etwas verändert?
Neubauer: Ja, bestimmt. Ich glaube, das wäre jetzt eine komische Herangehensweise von mir zu sagen, wir haben da nichts verändert. Die Frage ist aber ein bisschen, was braucht es, und wir haben einen nie da gewesenen diskursiven Wandel erlebt in den letzten Jahren. Wir haben erlebt, wie immer mehr Menschen sich politisieren, wie immer mehr Menschen auch ihre eigene Rolle in der Klimakrise ernst nehmen und ihre eigene Verantwortung.
Was wir aber brauchen ist irgendwie eine Übersetzung in Emissionen, in die Ökologie, und das fehlt bisher. Wir sagen, wir werden nicht anfangen, unsere eigenen Erfolge zu glorifizieren, nur weil wir uns dann gut fühlen können, während wir ja sehen, dass es draußen stürmt und flutet und in der wirklichen Welt, die politisch viel zu selten betrachtet wird, es ganz schön krass aussieht und wir sehr, sehr, sehr wenig Zeit haben, das noch umzudrehen.
Die Delegierten der UN-Klimakonferenz während der Eröffnungsveranstaltung im Internationalen Kongreßzentrum (ICC)
Klimaforschung und Klimapolitik - Weltklimafrust - wie die Wissenschaft an der Politik verzweifelt
Treibhausgase aus der Nutzung fossiler Energieträger heizen die Erdatmosphäre auf. Doch so früh Forscherinnen und Forscher auch warnten – ihre Kassandra-Rufe verhallten.
Küpper: In Glasgow läuft diese Cop26. Da ist die alte Bundesregierung vertreten. Wieviel Hoffnung haben Sie an die neue Bundesregierung? Parallel in Deutschland laufen ja die Koalitionsverhandlungen und die scheinen, aktuell zu stocken. Da geht es wohl auch, so hören wir, um die Klimafragen. Macht Ihnen das Sorgen oder vielleicht dann doch eher Hoffnung, weil die Grünen sagen, es stockt, weil da noch nicht genug erreicht worden ist in dieser Frage?
Neubauer: Nee, ich mache mir natürlich riesengroße Sorgen um die Koalitionsverhandlungen. Ich meine, die Bundesregierung ist in einer einzigartigen Situation. Das hat keine andere Industrienation. Sie könnten oder sie müssten vor allem, während hier in Glasgow verhandelt wird, genau diese Stimmung, genau diese Zusagen, genau dieses Versprechen einarbeiten in die Regierungsarbeit, und das ist auch dieses Momentum, in dem sie gerade sind. Wir erleben, wie die großen Emittenten immer mehr in die Verantwortung gezogen werden. Deutschland ist einer der Hauptverursacher der Klimakrise. Und man fragt sich, wann man bei den Koalitionsverhandlungen anfängt, sich zu überlegen, in welcher Welt wir eigentlich leben. Statt alle Klimamaßnahmen, die man irgendwie organisieren kann, sinnvoll aneinanderzureihen und dann zu überlegen, wie man sie gerecht umsetzen kann, hören wir von den Verhandlerinnen und Verhandlern, dass sie sich gegenseitig die Klimamaßnahmen absprechen und abverhandeln. So wird das nichts und so wird das, was man im Wahlkampf alles glorreich versprochen hat, die Schilder, die man aufgehangen hat mit Klimakanzler hier und da, dermaßen ins Lächerliche gezogen.
Der Druck auf die Verhandlerinnen und Verhandler ist gigantisch. Der wird auch wachsen. Wir appellieren sehr, sehr, sehr an sie, die Augen aufzumachen und sich bewusst zu machen, in was für einer Menschheitsverantwortung sie doch gerade sind als eine der reichsten Industrienationen der Welt, endlich in die Pötte zu kommen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.