Friedbert Meurer: Sieben Monate lang war der syrische Präsident Baschar Al-Assad nicht mehr in der Öffentlichkeit aufgetreten. Vorgestern, am Sonntag, hat er sich dann zurückgemeldet mit einem denkwürdigen Auftritt in der Oper von Damaskus. Die Art und Weise, wie begeistert und mit Standing Ovations ihn seine Anhänger dort im Opernhaus gefeiert haben, die wirkte auf uns ziemlich skurril, denn das Land steht am Abgrund. Eins hat Assad aber klar gemacht: Er will bis zum Schluss kämpfen und nicht einlenken. – Rupert Neudeck ist der Chef der Hilfsorganisation "Grünhelme", gerade soeben von einer Reise aus Syrien zurückgekehrt, jetzt wieder zurück in Deutschland. Guten Morgen, Herr Neudeck!
Rupert Neudeck: Guten Morgen, Herr Meurer!
Meurer: Warum feiern so viele Politiker Assad bei dieser Szene im Opernhaus in Damaskus?
Neudeck: Ich kann das nicht verstehen. Ich kann nur berichten, was ich selbst gesehen habe. Ich habe diese Rede über Al-Dschasira mitbekommen im Keller – dem einzigen Raum, in dem es noch warm ist – des Krankenhauses von Asas, und alle, die das gesehen haben, haben sich abgewendet voller Ekel und Entsetzen. Ekel ist das richtige Wort dazu, denn dieser Mann bombardiert und zerstört sein eigenes Land, vor den Augen der Weltöffentlichkeit, vor den Augen der syrischen Öffentlichkeit. Und sie haben den Fernseher ausgemacht, der noch gerade lief. Kein Mensch kann das noch verstehen, wieso ein Baschar Al-Assad selbst ins Unglück rennt, denn jeder kann sehen, dass es am Ende nicht ausreichen wird. Es wird nur die Zahl der Todesopfer, die Quantität der Mordaktionen, die wird zunehmen in den nächsten Tagen und Wochen.
Meurer: Sie waren, Herr Neudeck, vor allen Dingen im Norden Syriens, dort, wo Assads Einfluss nicht mehr vorhanden ist, in den sogenannten befreiten Gebieten. Wie ist dort die Situation?
Neudeck: Das ist erst mal ein Zustand von Anarchie im Wortsinne, im ursprünglichen Wortsinne des Griechischen. Es ist Abwesenheit von staatlicher Herrschaft. Es gibt keinen Staat mehr und diese Opposition, die versucht etwas, daraus eine Herrschaftsstruktur, eine Zivilverwaltung zu machen, hat es natürlich sehr schwer. Nach über 50 Jahren einer totalen Geheimdienst-Diktatur mit 16 Geheimdiensten und 260.000 Agenten, so schätzt man, ist das ganz wahnsinnig schwer, weil das Vertrauen unter den Menschen ist natürlich nicht gewachsen, sondern eher das Misstrauen. Dennoch versuchen diese Menschen der Opposition, ein Gerüst zu geben. Das ist aber wahnsinnig schwer. Ich kann es nur beschreiben an der konkreten Situation. Es wurde jetzt von Damaskus aus der Strom abgeschaltet für diese Gebiete, in denen ich gewesen bin, sowohl für Aleppo, wo noch Kämpfe toben, als auch in Asas, wo es keine Kämpfe mehr gibt, und das bedeutet für die Menschen, die jetzt in einer Situation von drei bis vier Grad plus sind, natürlich eine unglaubliche Härteperiode, zusätzlich zu den eineinhalb oder fast zwei Jahren, in denen sie schon keine normale zivile Ordnung mehr gehabt haben. Es ist ein grauenhaftes Spiel, was die Regierung und Assad dort mit ihren eigenen Menschen, mit den Syrern, der Bevölkerung treibt.
Meurer: Das ist eine gezielte Sanktion für den Norden, dass der Strom abgeschaltet wird?
Neudeck: Es ist eine gezielte Sanktion. Es finden auch weiter gezielte Bombenangriffe statt. Es findet nichts mehr mit der Armee statt. Die kann nicht mehr, die ist auch gefährdet für das Regime, weil sie zu Haufen desertiert, wenn es da zu Kämpfen kommen sollte. Aber aus der Luft: Am Heiligabend – das war mein grauenhaftestes Erlebnis -, an dem Tag, an dem wir Heiligabend in Deutschland gefeiert haben, ist noch mal mit drei Bomben das zweite Hospital von Asas, ein 20 Jahre lang gebautes großartiges, technologisch auf höchstem Niveau ausgerüstetes Krankenhaus bombardiert und zerstört worden und sechs Insassen, die einzigen die dort waren – das waren die Dialyse-Patienten -, wurden schwer verletzt und konnten noch gerade geborgen werden aus den Trümmern dieser Zerstörung.
Meurer: Waren Sie jetzt da, haben Sie das gesehen?
Neudeck: Das habe ich alles gesehen. Und ich meine, was die Leute mich dann fragen, wo ich da total unsicher und total hilflos bin, warum das nicht mehr Entsetzen in der westlichen Öffentlichkeit, die so viel von Menschenrechten und von Humanismus predigt und redet, warum das nicht mehr Reaktion hat wenigstens, damit diese Menschen überleben können. Jetzt könnte zum Beispiel etwas – man muss nicht immer gleich an Waffen oder so etwas denken -, jetzt könnte Mehl geschickt werden über die Türkei. Es könnte Treibstoff geliefert werden, damit die Generatoren, die großen Generatoren für diese Städte, in denen es bitter kalt ist, laufen können. Man kann sich das ja vorstellen mit Familien mit vielen Kindern dort. Oder in den Schulen: in den Schulen wird auch gefroren. Es gibt null Reaktionen vonseiten der internationalen Staatengemeinschaft.
Meurer: Wäre denn die Situation jetzt gekommen? Könnte die internationale Staatengemeinschaft, könnten die Entwicklungsorganisationen, die Hilfsorganisationen jetzt in den Norden Syriens reingehen? Es wird ja noch gekämpft, sagen Sie.
Neudeck: Entwicklungsorganisationen im Sinne der staatlichen Agenturen halte ich für ausgeschlossen, dafür sind alle möglichen Bedingungen nicht erfüllt. Was aber dennoch geschehen könnte, und zwar leicht geschehen könnte, wäre das, was in Gesprächen, die ich mit der Zivilverwaltung in Asas und Tall Rifat geführt habe: Man braucht wirklich dringend, es fehlt jetzt mittlerweile auch an Mehl. Mehl ist das Grundnahrungsmittel der Syrer. Wenn die Bäckereien nicht mehr genug Mehl haben, dann geht es wirklich ans Eingemachte in Bezug auch auf Hunger. Und der Treibstoff, Heizöl, das wäre das zweite. Das könnte man ganz leicht an die Grenze bringen und an der Grenze von den syrischen Partnern abholen lassen, da könnten wir auch hilfreich sein.
Es gibt nicht eine Reaktion! Das, was die Menschen auch verlangen ist, dass Assad endlich als Kriegsverbrecher nominiert wird und gesucht wird und vor das internationale Tribunal kommt. Denn in jedem Dorf, in dem ich jetzt gewesen bin – das kann ich beschwören und sagen -, ist jede Schule und jedes Hospital ausdrücklich absichtlich von der syrischen Luftwaffe auf Geheiß von Assad getroffen worden und zerstört.
Meurer: Deswegen sind Sie auch in Syrien, um Krankenhäuser und Schulen wieder mitzuhelfen aufzubauen. Ist das jetzt die Aufgabe der Grünhelme?
Neudeck: Ja, das ist die einzige Aufgabe, die wir haben, wirklich Schulen wieder ans Netz zu bringen, die vom Militär benutzt wurden und in grauenhaftem Zustand sind, und auch Hospitäler, wo die Scheiben, wo die Fenster alle zerstört sind, wo auch das Innere zum Teil zerstört ist, so wieder in Gang zu setzen, damit verletzte Kranke dort wieder behandelt werden können. Das haben wir in Asas gemacht, das machen wir jetzt in Tall Rifat und das machen wir in Keljebrin, also an drei Orten in dem befreiten Syrien. Das ist ein großes Gebiet geworden, sehr viel größer, als ich das Anfang September zum ersten Mal erlebt habe.
Meurer: Rupert Neudeck, der Vorsitzende der "Grünhelme", über die Situation in Nordsyrien und das Engagement seiner Organisation dort. Herr Neudeck, danke und auf Wiederhören!
Neudeck: Auf Wiederhören!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Rupert Neudeck: Guten Morgen, Herr Meurer!
Meurer: Warum feiern so viele Politiker Assad bei dieser Szene im Opernhaus in Damaskus?
Neudeck: Ich kann das nicht verstehen. Ich kann nur berichten, was ich selbst gesehen habe. Ich habe diese Rede über Al-Dschasira mitbekommen im Keller – dem einzigen Raum, in dem es noch warm ist – des Krankenhauses von Asas, und alle, die das gesehen haben, haben sich abgewendet voller Ekel und Entsetzen. Ekel ist das richtige Wort dazu, denn dieser Mann bombardiert und zerstört sein eigenes Land, vor den Augen der Weltöffentlichkeit, vor den Augen der syrischen Öffentlichkeit. Und sie haben den Fernseher ausgemacht, der noch gerade lief. Kein Mensch kann das noch verstehen, wieso ein Baschar Al-Assad selbst ins Unglück rennt, denn jeder kann sehen, dass es am Ende nicht ausreichen wird. Es wird nur die Zahl der Todesopfer, die Quantität der Mordaktionen, die wird zunehmen in den nächsten Tagen und Wochen.
Meurer: Sie waren, Herr Neudeck, vor allen Dingen im Norden Syriens, dort, wo Assads Einfluss nicht mehr vorhanden ist, in den sogenannten befreiten Gebieten. Wie ist dort die Situation?
Neudeck: Das ist erst mal ein Zustand von Anarchie im Wortsinne, im ursprünglichen Wortsinne des Griechischen. Es ist Abwesenheit von staatlicher Herrschaft. Es gibt keinen Staat mehr und diese Opposition, die versucht etwas, daraus eine Herrschaftsstruktur, eine Zivilverwaltung zu machen, hat es natürlich sehr schwer. Nach über 50 Jahren einer totalen Geheimdienst-Diktatur mit 16 Geheimdiensten und 260.000 Agenten, so schätzt man, ist das ganz wahnsinnig schwer, weil das Vertrauen unter den Menschen ist natürlich nicht gewachsen, sondern eher das Misstrauen. Dennoch versuchen diese Menschen der Opposition, ein Gerüst zu geben. Das ist aber wahnsinnig schwer. Ich kann es nur beschreiben an der konkreten Situation. Es wurde jetzt von Damaskus aus der Strom abgeschaltet für diese Gebiete, in denen ich gewesen bin, sowohl für Aleppo, wo noch Kämpfe toben, als auch in Asas, wo es keine Kämpfe mehr gibt, und das bedeutet für die Menschen, die jetzt in einer Situation von drei bis vier Grad plus sind, natürlich eine unglaubliche Härteperiode, zusätzlich zu den eineinhalb oder fast zwei Jahren, in denen sie schon keine normale zivile Ordnung mehr gehabt haben. Es ist ein grauenhaftes Spiel, was die Regierung und Assad dort mit ihren eigenen Menschen, mit den Syrern, der Bevölkerung treibt.
Meurer: Das ist eine gezielte Sanktion für den Norden, dass der Strom abgeschaltet wird?
Neudeck: Es ist eine gezielte Sanktion. Es finden auch weiter gezielte Bombenangriffe statt. Es findet nichts mehr mit der Armee statt. Die kann nicht mehr, die ist auch gefährdet für das Regime, weil sie zu Haufen desertiert, wenn es da zu Kämpfen kommen sollte. Aber aus der Luft: Am Heiligabend – das war mein grauenhaftestes Erlebnis -, an dem Tag, an dem wir Heiligabend in Deutschland gefeiert haben, ist noch mal mit drei Bomben das zweite Hospital von Asas, ein 20 Jahre lang gebautes großartiges, technologisch auf höchstem Niveau ausgerüstetes Krankenhaus bombardiert und zerstört worden und sechs Insassen, die einzigen die dort waren – das waren die Dialyse-Patienten -, wurden schwer verletzt und konnten noch gerade geborgen werden aus den Trümmern dieser Zerstörung.
Meurer: Waren Sie jetzt da, haben Sie das gesehen?
Neudeck: Das habe ich alles gesehen. Und ich meine, was die Leute mich dann fragen, wo ich da total unsicher und total hilflos bin, warum das nicht mehr Entsetzen in der westlichen Öffentlichkeit, die so viel von Menschenrechten und von Humanismus predigt und redet, warum das nicht mehr Reaktion hat wenigstens, damit diese Menschen überleben können. Jetzt könnte zum Beispiel etwas – man muss nicht immer gleich an Waffen oder so etwas denken -, jetzt könnte Mehl geschickt werden über die Türkei. Es könnte Treibstoff geliefert werden, damit die Generatoren, die großen Generatoren für diese Städte, in denen es bitter kalt ist, laufen können. Man kann sich das ja vorstellen mit Familien mit vielen Kindern dort. Oder in den Schulen: in den Schulen wird auch gefroren. Es gibt null Reaktionen vonseiten der internationalen Staatengemeinschaft.
Meurer: Wäre denn die Situation jetzt gekommen? Könnte die internationale Staatengemeinschaft, könnten die Entwicklungsorganisationen, die Hilfsorganisationen jetzt in den Norden Syriens reingehen? Es wird ja noch gekämpft, sagen Sie.
Neudeck: Entwicklungsorganisationen im Sinne der staatlichen Agenturen halte ich für ausgeschlossen, dafür sind alle möglichen Bedingungen nicht erfüllt. Was aber dennoch geschehen könnte, und zwar leicht geschehen könnte, wäre das, was in Gesprächen, die ich mit der Zivilverwaltung in Asas und Tall Rifat geführt habe: Man braucht wirklich dringend, es fehlt jetzt mittlerweile auch an Mehl. Mehl ist das Grundnahrungsmittel der Syrer. Wenn die Bäckereien nicht mehr genug Mehl haben, dann geht es wirklich ans Eingemachte in Bezug auch auf Hunger. Und der Treibstoff, Heizöl, das wäre das zweite. Das könnte man ganz leicht an die Grenze bringen und an der Grenze von den syrischen Partnern abholen lassen, da könnten wir auch hilfreich sein.
Es gibt nicht eine Reaktion! Das, was die Menschen auch verlangen ist, dass Assad endlich als Kriegsverbrecher nominiert wird und gesucht wird und vor das internationale Tribunal kommt. Denn in jedem Dorf, in dem ich jetzt gewesen bin – das kann ich beschwören und sagen -, ist jede Schule und jedes Hospital ausdrücklich absichtlich von der syrischen Luftwaffe auf Geheiß von Assad getroffen worden und zerstört.
Meurer: Deswegen sind Sie auch in Syrien, um Krankenhäuser und Schulen wieder mitzuhelfen aufzubauen. Ist das jetzt die Aufgabe der Grünhelme?
Neudeck: Ja, das ist die einzige Aufgabe, die wir haben, wirklich Schulen wieder ans Netz zu bringen, die vom Militär benutzt wurden und in grauenhaftem Zustand sind, und auch Hospitäler, wo die Scheiben, wo die Fenster alle zerstört sind, wo auch das Innere zum Teil zerstört ist, so wieder in Gang zu setzen, damit verletzte Kranke dort wieder behandelt werden können. Das haben wir in Asas gemacht, das machen wir jetzt in Tall Rifat und das machen wir in Keljebrin, also an drei Orten in dem befreiten Syrien. Das ist ein großes Gebiet geworden, sehr viel größer, als ich das Anfang September zum ersten Mal erlebt habe.
Meurer: Rupert Neudeck, der Vorsitzende der "Grünhelme", über die Situation in Nordsyrien und das Engagement seiner Organisation dort. Herr Neudeck, danke und auf Wiederhören!
Neudeck: Auf Wiederhören!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.