Jürgen Liminski: Heute vor 15 Jahren, am 6. April 1994, um 20:23 Uhr, schossen vermutlich radikale Hutus den moderaten Präsidenten der Republik Ruanda in seinem Flugzeug vom Himmel. Der Mord war das Fanal für einen gigantischen Völkermord, denn schon eine Stunde später waren die Todesschwadronen unterwegs und töteten in den folgenden zwei Monaten mehr als zwei Millionen Menschen, fast alle vom Stamm der Tutsis. Diese Erinnerung ist tief in das kollektive Gedächtnis eingegraben. Rupert Neudeck, Chef der Hilfsorganisation Grünhelme, war seither oft in Ruanda und ist erst vor einigen Tagen von dort zurückgekommen. Mit ihm wollen wir nun über die Folgen der schrecklichen Ereignisse sprechen. Guten Morgen, Herr Neudeck.
Rupert Neudeck: Guten Morgen, Herr Liminski!
Liminski: Herr Neudeck, damals standen in Ruanda UN-Truppen, Blauhelme im Land. Sie griffen nicht ein. Hat das der UNO nachhaltig geschadet? Die UNO versucht doch immerhin, hier und da zu helfen.
Neudeck: Ich denke, das hat den Blauhelm-Operationen der UNO einen Knacks gegeben, von dem sie sich bisher nicht erholt hat. Es ist ja so gewesen, dass eben, wie Sie es schon gesagt haben, 2500 UNO-Blauhelme im Lande waren, und die wurden ausgerechnet in der Zeit, als der Völkermord tobte, als er gerade in den ersten Tagen war, unter Anleitung der Belgier, die ja die Leading Nation waren, abgezogen. Das muss man sich mal vorstellen, was das für eine Blamage bedeutet hat in den Augen der Bevölkerung. Die einzigen, die dann noch rausgehauen wurden aus dem Land, unter Anleitung der französischen Armee, die in der Lage waren, den Flughafen von Kigali einzunehmen, waren alle westlichen Diplomaten, Entwicklungshelfer, Nonnen, Patres und so weiter, und danach ließ man die Ruander in ihrem gegenseitigen Abschlachten allein und hat es nicht geschafft, dort wieder eine führende, schützende UNO-Macht, Blauhelmmacht wieder einzurichten. Das hat, glaube ich, den Blauhelmoperationen der UNO nachhaltig auf Dauer geschadet.
Liminski: 15 Jahre ist das nun her, eine halbe Generation. Gibt es Zeichen der Versöhnung im Land des Völkermords?
Neudeck: Es ist natürlich ganz schwierig, das zu behaupten und das zu bewahrheiten, denn man muss wissen: Die Regierung versucht, das einzige was, glaube ich, möglich ist in dieser Situation - und kein Mensch weiß eigentlich, was anderes, besseres zu machen -, sie hat das erste Dekret nach der Machtübernahme im Juli 1994 herausgegeben. Das bedeutet, in den Pässen der Ruander steht nicht mehr "H" und "T". Das waren diese Siegel, die bedeuteten, dass jemand Hutu oder Tutsi war, was eben auch für den Völkermord so furchtbare Wirkungen gehabt hatte. Dieser Versuch jetzt, Nation-building, wie wir englisch sagen, Nationbildung zu machen, der geht ganz radikal entlang und ich denke, das ist die einzige Möglichkeit, denn die Mehrzahl der Ethnologen und der Historiker des Landes haben mittlerweile doch herausbekommen, dass es wahrscheinlich gar nicht zwei große Völker sind, zwei große Ethnien, sondern es sind eher etwas, was Marx Klassen genannt hätte. Das war eben die vielbesetzte Klasse, das war die Klasse der Aristokraten, das waren eben die Tutsis, die herrschten über ein Proletariat von Kleinbauern, das waren die Hutus. So muss man sich gegenwärtig das vorstellen. Es spricht übrigens dafür, dass die Ruander eine Sprache haben. Alle einigt eine Sprache und das ist das Kinyarwanda. Deshalb sind alle Beobachter der Meinung, dass dieser Versuch auch gelingen kann, aber es wird Generationen dauern, es wird nicht sehr schnell gehen.
Liminski: Ruanda, das Land der tausend Hügel, gilt als sehr fruchtbar. Hat es sich wirtschaftlich einigermaßen erholt?
Neudeck: Es versucht. Es hat den Versuch unternommen und hat einen unglaublichen Ehrgeiz unter der jetzigen Regierung, etwas zu tun, was das Land in die Nähe von Singapur im Jahre 2020 bringen sollte. Das ist der Versuch des Präsidenten Kagame und seiner Führungsmannschaft, alles zu tun in Bezug auf das Anstacheln von Investoren, die auch aus Europa, auch aus Deutschland ins Land kommen sollen, diesem Land mit einer Beherztheit und einem berserkerhaftem Eifer zu helfen, dass man schon staunt. Es ist dort wirklich einiges im Gange. Wenn man sieht, was im Lande gegenwärtig aufgebaut wird, wenn man sieht, was alles für Versuche gemacht werden - es werden jetzt Versuche gemacht auch von Rheinland-Pfalz, das ja eine Partnerschaft mit dem Lande hat, große Solarkraftwerke einzurichten, weil das ja das Entscheidende ist. Ich denke, das Land hat bei schlechten Voraussetzungen, weil es ja eingeschlossen ist und keinen Hafen hat, dennoch große Aussichten, diese Agenda durchzuhalten und bis zum Jahre 2020 etwas zu erreichen, was wahrscheinlich innerhalb Afrikas von außerordentlicher Bedeutung ist.
Liminski: Welche politische Rolle spielt das Land in dieser gesamten Krisenregion?
Neudeck: Es hat eine starke Regierung. Der Chef der Regierung ist Totalherrscher der Armee und es hat ja bewiesen in letzter Zeit, dass es gegenüber schwachen Ländern wie zum Beispiel der sogenannten Demokratischen Republik Kongo, was ein riesengroßes Flächenland in Afrika ist, Konflikte in der Nachbarschaft lösen kann, wenn die beiden Regierungen, also die Regierungen von Kigali und die von Kinshasa gemeinsame Sache machen. Der berühmte Trouble Maker Nkunda, der noch vor wenigen Monaten uns bis hier nach Deutschland auch verunsicherte, der im Nord-Kivu in Goma und so weiter am Kivusee seine Bataillone aufmarschieren hat lassen, der wurde eben von Ruanda in einer gemeinsamen Operation mit der Kongo-Armee stillgestellt, der sitzt im Gefängnis in Ruanda. Ich denke, das Land hat eine große Stärke, hat auch im Sudan, in Darfur, mittlerweile Blauhelmtruppen der Afrikanischen Union stationiert. Man muss mit Ruanda als einem Faktor der afrikanischen Politik in der Gegenwart und der Zukunft ganz sicher rechnen.
Liminski: Ruanda 15 Jahre nach dem Völkermord. Das war Rupert Neudeck, Chef der Hilfsorganisation Grünhelme. Besten Dank für das Gespräch, Herr Neudeck.
Neudeck: Danke auch.
Rupert Neudeck: Guten Morgen, Herr Liminski!
Liminski: Herr Neudeck, damals standen in Ruanda UN-Truppen, Blauhelme im Land. Sie griffen nicht ein. Hat das der UNO nachhaltig geschadet? Die UNO versucht doch immerhin, hier und da zu helfen.
Neudeck: Ich denke, das hat den Blauhelm-Operationen der UNO einen Knacks gegeben, von dem sie sich bisher nicht erholt hat. Es ist ja so gewesen, dass eben, wie Sie es schon gesagt haben, 2500 UNO-Blauhelme im Lande waren, und die wurden ausgerechnet in der Zeit, als der Völkermord tobte, als er gerade in den ersten Tagen war, unter Anleitung der Belgier, die ja die Leading Nation waren, abgezogen. Das muss man sich mal vorstellen, was das für eine Blamage bedeutet hat in den Augen der Bevölkerung. Die einzigen, die dann noch rausgehauen wurden aus dem Land, unter Anleitung der französischen Armee, die in der Lage waren, den Flughafen von Kigali einzunehmen, waren alle westlichen Diplomaten, Entwicklungshelfer, Nonnen, Patres und so weiter, und danach ließ man die Ruander in ihrem gegenseitigen Abschlachten allein und hat es nicht geschafft, dort wieder eine führende, schützende UNO-Macht, Blauhelmmacht wieder einzurichten. Das hat, glaube ich, den Blauhelmoperationen der UNO nachhaltig auf Dauer geschadet.
Liminski: 15 Jahre ist das nun her, eine halbe Generation. Gibt es Zeichen der Versöhnung im Land des Völkermords?
Neudeck: Es ist natürlich ganz schwierig, das zu behaupten und das zu bewahrheiten, denn man muss wissen: Die Regierung versucht, das einzige was, glaube ich, möglich ist in dieser Situation - und kein Mensch weiß eigentlich, was anderes, besseres zu machen -, sie hat das erste Dekret nach der Machtübernahme im Juli 1994 herausgegeben. Das bedeutet, in den Pässen der Ruander steht nicht mehr "H" und "T". Das waren diese Siegel, die bedeuteten, dass jemand Hutu oder Tutsi war, was eben auch für den Völkermord so furchtbare Wirkungen gehabt hatte. Dieser Versuch jetzt, Nation-building, wie wir englisch sagen, Nationbildung zu machen, der geht ganz radikal entlang und ich denke, das ist die einzige Möglichkeit, denn die Mehrzahl der Ethnologen und der Historiker des Landes haben mittlerweile doch herausbekommen, dass es wahrscheinlich gar nicht zwei große Völker sind, zwei große Ethnien, sondern es sind eher etwas, was Marx Klassen genannt hätte. Das war eben die vielbesetzte Klasse, das war die Klasse der Aristokraten, das waren eben die Tutsis, die herrschten über ein Proletariat von Kleinbauern, das waren die Hutus. So muss man sich gegenwärtig das vorstellen. Es spricht übrigens dafür, dass die Ruander eine Sprache haben. Alle einigt eine Sprache und das ist das Kinyarwanda. Deshalb sind alle Beobachter der Meinung, dass dieser Versuch auch gelingen kann, aber es wird Generationen dauern, es wird nicht sehr schnell gehen.
Liminski: Ruanda, das Land der tausend Hügel, gilt als sehr fruchtbar. Hat es sich wirtschaftlich einigermaßen erholt?
Neudeck: Es versucht. Es hat den Versuch unternommen und hat einen unglaublichen Ehrgeiz unter der jetzigen Regierung, etwas zu tun, was das Land in die Nähe von Singapur im Jahre 2020 bringen sollte. Das ist der Versuch des Präsidenten Kagame und seiner Führungsmannschaft, alles zu tun in Bezug auf das Anstacheln von Investoren, die auch aus Europa, auch aus Deutschland ins Land kommen sollen, diesem Land mit einer Beherztheit und einem berserkerhaftem Eifer zu helfen, dass man schon staunt. Es ist dort wirklich einiges im Gange. Wenn man sieht, was im Lande gegenwärtig aufgebaut wird, wenn man sieht, was alles für Versuche gemacht werden - es werden jetzt Versuche gemacht auch von Rheinland-Pfalz, das ja eine Partnerschaft mit dem Lande hat, große Solarkraftwerke einzurichten, weil das ja das Entscheidende ist. Ich denke, das Land hat bei schlechten Voraussetzungen, weil es ja eingeschlossen ist und keinen Hafen hat, dennoch große Aussichten, diese Agenda durchzuhalten und bis zum Jahre 2020 etwas zu erreichen, was wahrscheinlich innerhalb Afrikas von außerordentlicher Bedeutung ist.
Liminski: Welche politische Rolle spielt das Land in dieser gesamten Krisenregion?
Neudeck: Es hat eine starke Regierung. Der Chef der Regierung ist Totalherrscher der Armee und es hat ja bewiesen in letzter Zeit, dass es gegenüber schwachen Ländern wie zum Beispiel der sogenannten Demokratischen Republik Kongo, was ein riesengroßes Flächenland in Afrika ist, Konflikte in der Nachbarschaft lösen kann, wenn die beiden Regierungen, also die Regierungen von Kigali und die von Kinshasa gemeinsame Sache machen. Der berühmte Trouble Maker Nkunda, der noch vor wenigen Monaten uns bis hier nach Deutschland auch verunsicherte, der im Nord-Kivu in Goma und so weiter am Kivusee seine Bataillone aufmarschieren hat lassen, der wurde eben von Ruanda in einer gemeinsamen Operation mit der Kongo-Armee stillgestellt, der sitzt im Gefängnis in Ruanda. Ich denke, das Land hat eine große Stärke, hat auch im Sudan, in Darfur, mittlerweile Blauhelmtruppen der Afrikanischen Union stationiert. Man muss mit Ruanda als einem Faktor der afrikanischen Politik in der Gegenwart und der Zukunft ganz sicher rechnen.
Liminski: Ruanda 15 Jahre nach dem Völkermord. Das war Rupert Neudeck, Chef der Hilfsorganisation Grünhelme. Besten Dank für das Gespräch, Herr Neudeck.
Neudeck: Danke auch.