Dirk-Oliver Heckmann: Seit Samstag ist das in Rekordzeit verschärfte Asylrecht in Deutschland in Kraft. Länder wie Albanien, das Kosovo und Montenegro wurden zu sicheren Herkunftsländern erklärt. Gleichzeitig wurde die Abschiebung abgelehnter Asylbewerber erleichtert. So sollen die sogenannten Rückführungen nicht mehr grundsätzlich angekündigt werden. Thomas Zitzmann vom Kölner Flüchtlingsrat - er ist dort Leiter einer Beratungsstelle -, ihn habe ich vor der Sendung gefragt: Wie haben denn die Flüchtlinge, die er kennt, auf diese Ankündigungen reagiert?
Thomas Zitzmann: Bei Menschen aus den Balkan-Staaten, zum Beispiel aus Albanien, stellen wir ja schon länger fest, dass viele verängstigt sind, dass beispielsweise auch Flüchtlinge, die sich in der Vergangenheit auch öffentlich engagiert haben, sich das nicht mehr trauen, auch teilweise ihr Engagement zugunsten von anderen Flüchtlingen eher zurückfahren, weil sie sehr mit der eigenen Situation beschäftigt sind. Das heißt, das bemerken wir schon seit zwei, drei Monaten verstärkt, dass das gerade bei den Flüchtlingen aus den Balkan-Staaten stärkere Auswirkungen hat.
Heckmann: Eine Maßnahme, die jetzt greifen soll, ist auch, dass jetzt nicht mehr in jedem Fall Abschiebungen angekündigt werden sollen. Ist das nicht aber auch sinnvoll, denn vorher scheint es ja so gewesen zu sein, dass viele abgelehnte Asylbewerber sich einer solchen Abschiebung entzogen haben?
Zitzmann: Wir können nicht feststellen, dass sich viele der Abschiebung entziehen, sondern das, was wir feststellen, ist, dass es häufig Hindernisse gibt, und die sind auch dann vorzubringen, wenn eine Abschiebung angekündigt wird. Anders herum: Gerade die Flüchtlinge, die psychisch stark belastet sind, für die birgt dieser Verzicht auf die Ankündigung noch viel mehr Unruhe. Wir haben Menschen, die oft über sehr lange Zeiträume unter sehr schlechten Bedingungen leben müssen in der Aufnahmesituation, und dann auch mit dem ständigen Gefühl, mir droht die Abschiebung. Das ist eine zunehmende psychische Belastung. Also ich sehe das ganz anders.
Kinder müssen unter einem besonderen Schutz stehen
Heckmann: Jetzt hat der Innenminister Nordrhein-Westfalens, Herr Jäger, bei uns im Deutschlandfunk am Wochenende gesagt, wir hier in Nordrhein-Westfalen, wir werden jetzt nicht dazu übergehen, Kinder mitten in der Nacht aus den Betten zu ziehen und dann Abschiebungen vorzunehmen. Bei alleinstehenden jungen Männern wäre das allerdings auch ein bisschen was anderes. Ist das aus Ihrer Sicht nachvollziehbar in einem gewissen Rahmen?
Zitzmann: Für mich ist nachvollziehbar, dass die Situation von Kindern eine andere ist als die von Erwachsenen. Das auf jeden Fall. Kinder müssen unter einem besonderen Schutz stehen. Ich sehe aber auch nicht bei jungen Männern, dass sie nicht belastet wären durch die Flucht und die Aufnahmesituation, und ich halte es auch dort für nicht vertretbar, das so zu handhaben. Noch mal: Das was wir feststellen ist, dass Menschen tatsächlich unter sehr hohem Druck stehen, mit sehr viel Ängsten beladen leben, und wir erleben es nicht, dass sich Menschen der Abschiebung entziehen und dann wieder auftauchen. Das kann ich nicht als Regel bestätigen.
Heckmann: Aber auch, wenn es so ist, dass diese Menschen, deren Asylantrag abgelehnt wurde, unter Druck stehen und Ängste haben, ist es aus Ihrer Sicht nicht auch nachvollziehbar in einem gewissen Sinne, dass jetzt die Politik versucht, diese Abschiebungen, die Zahl der Abschiebungen zu erhöhen, um Platz zu schaffen für diejenigen, die wirklich schutzbedürftig sind?
Zitzmann: Ja noch mal: Im Asylverfahren wird entschieden über die Frage, ob internationaler Schutz gewährt werden muss. Das ist richtig. Das Asylverfahren muss dafür fair sein. Durch die Liste der sicheren Herkunftsstaaten ist ein faires Verfahren für Menschen aus diesen Staaten schon nicht gewährleistet. Aber wenn ein Asylverfahren fair durchgeführt wird und wenn eine faire Chance darin besteht, dann kann dann eben festgestellt werden, es besteht ein Anspruch auf internationalen Schutz, oder er besteht nicht. Und wenn kein Anspruch auf internationalen Schutz besteht, dann liegt es auch in der Logik, dann festzustellen, dass dann eine Ausreiseverpflichtung besteht. Aber das ist nur ein Teil des Verfahrens.
Danach muss die Ausländerbehörde prüfen, ob nicht dem immer noch Hindernisse entgegenstehen. Das sind dann andere Prüfungen, die da vorgenommen werden müssen. Ich kann durchaus in einem Verfahren zum Schluss kommen, es besteht kein Anspruch auf internationalen Schutz, aber es liegen andere Hindernisse vor, die bei der Prüfung der Ausländerbehörde deutlich werden, und da geht es insbesondere um Fragen von Erkrankungen, es geht aber auch um den Schutz der Familie, also um Grundrechte, die hier geschützt werden müssen, auch für Ausländer, die ausreisepflichtig sind.
Danach muss die Ausländerbehörde prüfen, ob nicht dem immer noch Hindernisse entgegenstehen. Das sind dann andere Prüfungen, die da vorgenommen werden müssen. Ich kann durchaus in einem Verfahren zum Schluss kommen, es besteht kein Anspruch auf internationalen Schutz, aber es liegen andere Hindernisse vor, die bei der Prüfung der Ausländerbehörde deutlich werden, und da geht es insbesondere um Fragen von Erkrankungen, es geht aber auch um den Schutz der Familie, also um Grundrechte, die hier geschützt werden müssen, auch für Ausländer, die ausreisepflichtig sind.
Genaue Antragsprüfung ist fraglich
Heckmann: Glauben Sie denn vor diesem Hintergrund, dass diese Gesetzesverschärfungen, die jetzt vorgenommen worden sind, überhaupt dazu führen wird, dass die Zahl der Abschiebungen erhöht wird? Denn wenn festgestellt wird, dass Abschiebehindernisse vorliegen, dann kann ja auch in diesem Fall nicht abgeschoben werden.
Zitzmann: Das ist richtig. Ich befürchte, dass hier nicht mehr so genau geprüft wird, gerade in den Fällen, in denen Menschen jetzt festgehalten werden sollen bis zur Abschiebung in Erstaufnahmeeinrichtungen, dass diese Erstaufnahmeeinrichtungen dann eigentlich zu Ausreisezentren werden. Das haben schon Kollegen festgestellt, dass gerade bei diesen Menschen Schwierigkeiten bestehen beispielsweise im Zugang zur medizinischen Versorgung und infolgedessen gerade Aspekte, die ja geprüft werden müssen auch von der Ausländerbehörde, dann gar nicht mehr richtig vorgetragen werden können und auch gar nicht mehr richtig geprüft werden können.
Wenn der Behörde keine aussagekräftigen Atteste vorgelegt werden kann im Falle von Erkrankungen, dann kann sie auch nicht vernünftig prüfen, ob hier gegebenenfalls ein Hindernis besteht. Das ist so oder so natürlich nicht etwas, was alle betrifft. Missverstehen Sie mich nicht. Ich sage nicht damit, keiner darf abgeschoben werden in dem Sinne, dass in keinem Fall festgestellt werden kann, dass kein Hindernis besteht. Aber umgekehrt: Die Chance für das faire Verfahren für diejenigen, die den Schutz brauchen, ob es nun ein internationaler Schutz ist oder ein nachgeordneter nationaler Schutz, die darf nicht verbaut werden durch Verfahren, die letztendlich als Beschleunigung bezeichnet werden, aber in meiner Sicht vor allen Dingen eine Verschärfung und eine Verschlechterung des Schutzes darstellen.
Existenzminium ist rechtlich nicht verhandelbar
Heckmann: Sie haben es gerade gesagt: Die Asylbewerber, die sollen ja jetzt in Zukunft länger in diesen Erstaufnahmeeinrichtungen bleiben, nämlich bis der Antrag auf Asyl entschieden ist. Das heißt, sie werden nicht auf die Kommunen verteilt, sondern bleiben erst mal in diesen zentralen Einrichtungen. Wie sinnvoll ist das aus Ihrer Sicht vor dem Hintergrund, dass die Kommunen ja völlig überfordert sind, die ganzen Flüchtlinge, die ganzen Menschen aufzunehmen, und was bedeutet das, bis zu sechs Monate in einer Erstaufnahmeeinrichtung zu verbleiben?
Zitzmann: Wenn die Länder selbst Flüchtlinge unterbringen würden und nicht einfach an die Kommunen weiterreichen würden - so ist das jedenfalls die Situation in Nordrhein-Westfalen -, dann hätten die Kommunen auch weniger Probleme darin. Ich glaube, da macht das Land es sich dann doch oft einfach. Nein, die Regelung zielt vor allen Dingen darauf, Flüchtlinge aus sogenannten sicheren Herkunftsländern festhalten zu können in den Erstaufnahmeeinrichtungen, um sie von dort aus direkt abschieben zu können. Für diese Gruppe ist das eine massive Verschlechterung der Lebenssituation, denn es geht einher mit einem Arbeitsverbot, es geht einher mit der Streichung des Taschengeldes, das zur Sicherung des sozio-kulturellen Existenzminimums gedacht ist, und das ist aus unserer Sicht ganz klar verfassungswidrig, denn das Bundesverfassungsgericht hat 2012 in der Entscheidung zum Asylbewerber-Leistungsgesetz ausgeführt, dass das Existenzminimum nicht verhandelbar ist. Das darf keinen migrationspolitischen Erwägungen unterliegen, sondern das ergibt sich direkt aus dem Grundgesetz. Es ist als Menschenrecht definiert, so das Bundesverfassungsgericht, und eine höhere Instanz gibt es in Deutschland nicht, was diese Frage angeht.
Heckmann: Einerseits soll ja die Zahl der Abschiebungen erhöht werden. Andererseits soll für diejenigen, die bleiben dürfen in Deutschland, die Integration verstärkt werden. Ist davon eigentlich aus Ihrer Sicht was zu spüren?
Zitzmann: Jetzt in dem Gesetzespaket sind enthalten der frühere Zugang zu Integrationskursen für die Flüchtlinge mit einer guten Bleibeperspektive. Das ist grundsätzlich zu begrüßen, wenn das sich ändert oder wenn das erweitert wird. Die Frage ist nur, sind die Kapazitäten tatsächlich vorhanden, und das sehen wir im Moment nicht. Aber grundsätzlich ist es richtig. Es fehlt daran, frühzeitig Flüchtlinge sprachlich zu fördern und dann auch frühzeitig den Arbeitsmarktzugang zu gewähren. Das sind Ansätze, die es bisher lediglich gibt, und man muss sagen, in diesem Gesetzespaket gibt es beide Tendenzen. Es gibt einerseits eine Öffnung, aber nur für die sogenannten guten Flüchtlinge, und für die, die als schlecht von vornherein definiert werden, gibt es die Verschärfungen, das längere Arbeitsverbot, Streichung der Geldleistungen. Das geht miteinander Hand in Hand hier.
Heckmann: Thomas Zitzmann war das vom Kölner Flüchtlingsrat.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.