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Neue Arbeitswelten
Virtuelle Realität am Arbeitsplatz

Chirurgen, die im virtuellen Operationssaal üben oder Ingenieure, die in schwindelerregender Höhe die Reparatur eines Windrads simulieren - die virtuelle Realität wird das Arbeiten und Lernen in Zukunft verändern. Mit dieser Technik lassen sich aber nicht nur Arbeitsabläufe effektiver nachbilden, sondern auch Kosten sparen.

Von Jan-Ole Niermann | 09.09.2016
    Ein Mann trägt eine VR-Brille und ist in eine räumliche, virtuelle Welt eingetaucht.
    Die Reise in die virtuelle Realität könnte schon bald Alltag werden. (picture-alliance/ dpa/ Maximilian Schönherr)
    "Wenn ich durch diese Brille schaue, befinde ich mich in diesem Operationssaal. Ich kann mich umdrehen. Ich kann mich auch frei bewegen. Und habe jetzt zumindest das Gefühl, ich befinde mich in einer Operation."
    Dabei studiert Lars Reisig nicht Medizin, sondern Informatik: An der Universität in Bremen hat er gemeinsam mit Kommilitonen einen virtuellen, interaktiven Operationssaal entwickelt. Jetzt trägt er eine große schwarze Brille, die ihn in die virtuelle Realität versetzt: Vor ihm liegt ein Patient, unter der grünen OP-Decke schauen zwei nackte Füße hervor. Der Bauch des Patienten ist geöffnet, animierte Organe sind zu sehen. In Zukunft könnte sich der Informatiker vorstellen, dass neue Chirurgen zuerst hier lernen:
    "Dieser virtuelle Operationssaal würde sich eignen, wenn man die Organe in diesem virtuellen Patienten jetzt noch ein bisschen realitätsgetreuer modelliert, dass dieser Anatomie-Kurs dann interaktiv stattfinden könnte. Und man den neuen Chirurgen dann dadurch die Chance gibt, so eine Operation, zumindest teilweise, vorher durchzuführen. Damit der Chirurg nicht in der richtigen Operation am realen Patienten trainieren muss und dann womöglich noch Fehler passieren."
    Lernen und Arbeiten in der virtuellen Realität – dazu forschen Lukas Reisig und viele weitere Informatiker im ganzen Land. Auf der Tagung an der Universität Bielefeld tauschen sie Erfahrungen aus und präsentieren ihre Projekte. Thies Pfeiffer forscht an der Universität Bielefeld und hat die Tagung organisiert:
    "Bei virtueller oder erweiterter Realität geht es darum, dass man digitale Inhalte einem Menschen so vermittelt, dass der Mensch glaubt, dass diese Inhalte Realität sind für ihn. Also, dass quasi die Wahrnehmungseindrücke die man hat zu einem für einen selbst realen Gegenstand wird."
    Virtuelle Realität kann helfen, Arbeitsabläufe effektiver zu simulieren
    Thies Pfeiffer und die anderen Wissenschaftler glauben, dass diese virtuelle Realität in Zukunft dabei helfen kann, Arbeitsabläufe effektiver zu simulieren und Kosten zu sparen. Außerdem soll die virtuelle Realität – kurz VR – Studium und Ausbildung revolutionieren. Thies Pfeiffer will durch die virtuelle Realität eine Lücke zwischen Theorie und Praxis schließen:
    "Viele Dinge sind ja auch Prozesse, die man lernen muss. Arbeitsprozesse, bei denen man die richtige Reihenfolge einhalten muss. Und diese Dinge kann man in solchen Sachen sehr gut eintrainieren. Man kennt das aus Spielen, wo man ja auch oft sehr schnell reagieren muss. Und genau diese Spielmechanik – das Pendant wäre jetzt der Arbeitsprozess, den man lernen muss – wenn man den jetzt in so einer spielerischen Weise in der VR schon einüben kann, ist man was die Abläufe angeht, dann schon trainiert und kann dann in die praktische Übung übergehen und muss weniger Zeit für die praktische Übung aufwenden."
    Überhaupt erinnert die virtuelle Realität ein bisschen an Videospiele: Der Nutzer bewegt sich subjektiv durch einen animierten Raum. Michaela Dierking sitzt vor einem großen Monitor, auf dem das realistische Modell eines Windrads abgebildet ist. Dierkings Firma "Virtalis" übersetzt solche Modelle in die virtuelle Realität. Mit ein paar Mausklicks ist sie oben auf dem Windrad, direkt in der Turbine:
    "Ich habe jetzt hier die Möglichkeit, mich innerhalb der Turbine beziehungsweise dem Windkraftrad zu bewegen. Sie haben die Möglichkeit innerhalb dieser Szenerie, Dinge zu manipulieren. Teile, die sie vielleicht für die Wartung ein oder ausbauen müssen, die Position zu verändern. Zu schauen, ob es irgendwo zu Kollisionen kommt, die vielleicht der Reparatur im Wege stehen. Das ist eben ein ideales Tool, um so etwas virtuell zu erlernen."
    An dem virtuellen Modell könnten also zum Beispiel Ingenieure lernen, wie man ein Windrad repariert, ohne jedes Mal in schwindelerregende Höhen klettern zu müssen. Ein weiterer Vorteil: Beim virtuellen Schrauben kontrolliert der Computer, ob alles richtig gemacht wird und zählt die Fehler. Und es ist beliebig oft wiederholbar – ohne zusätzliche Kosten. Thies Pfeiffer:
    "Mit so einem virtuellen Simulator können sie dann 30 Leute vorbereiten lassen. Und die Trainingszeit im realen Umfeld dann verkürzen. Und, davon abgesehen, macht's in der virtuellen Realität auch einfach mehr Spaß. Sodass man reale Handlungen mit einem spielerischen Anreiz verbindet. Sodass man nicht nur einen Lernerfolg gewinnt, sondern auch Punkte sammeln kann und sich dann mit den Kommilitonen vergleichen kann. Sodass dann vielleicht auch mehr Motivation aufgebaut werden kann, bestimmte Handlungen auch gut einzuüben."
    Virtuelle Realität wird unser Arbeiten und Lernen in Zukunft verändern – da sind sich die Experten in Bielefeld sicher. Und weil die Hightech-Geräte immer günstiger werden, könnte die Reise in die virtuelle Realität schon bald Alltag werden.