Karin Fischer: In der Architektur spielt das Thema Flüchtlinge eine immer größere Rolle. Die Frage, wo sollen Flüchtlinge leben, oder was bedeutet die neue Situation für den Wohnungsmarkt, ist auch das Thema des deutschen Beitrags für die Architektur-Biennale in Venedig. Heute wurden der deutsche Pavillon und viele Entwürfe dazu in München vorgestellt. Frage an den Kurator Oliver Elser: Wie sehen die zum Beispiel denn aus?
Oliver Elser: Die sehen komplett unterschiedlich aus. Wir haben uns um das ganze Spektrum gekümmert der Bauten, die jetzt gerade entstehen, von der Traglufthalle, die es in Berlin gibt, oder der Leichtbauhalle in München bis hin zu eigentlich wirklich ganz normalen Wohnungsbauten.
Fischer: Ein Schwerpunkt des deutschen Pavillons wird die Stadt Offenbach sein. Warum das denn?
Elser: Offenbach ist eine sogenannte Arrival City. Das heißt, die hat innerhalb des Rhein-Main-Gebietes die Funktion, dass sehr viele Migranten dort ankommen. Ich rede jetzt aber gar nicht von Flüchtlingen, sondern das war schon immer so. Das war schon seit den Hugenotten so. Die Stadt Offenbach hat eine einschlägige Vergangenheit.
"Schlechte Viertel müssen eine ganz bestimmte Funktion erfüllen"
Offenbach hat keinen guten Ruf, das ist so die Position im Rhein-Main-Gebiet, ist aber ein ganz wichtiger Durchlauferhitzer. Es sind Leute, die dort ankommen, die von dort aus dann auch weiterziehen und die im Grunde für diese These von Doug Saunders, einem kanadischen Autor, der das Prinzip der Arrival City formuliert hat, stehen.
Dafür steht, das quasi schlechte Viertel - und über schlechte Viertel muss man auch reden, dass es da nicht darum geht, dass man die architektonisch unbedingt aufwertet -, sondern dass die einfach eine ganz bestimmte Funktion erfüllen. Da schauen wir uns einige an und unter anderem auch Viertel in Offenbach.
Fischer: Und wie kriegen Sie diese "schlechten Viertel" jetzt mit Ihren neuen Modellen zusammen?
Elser: Ich meine, diese Ausstellung, die wir machen, hat zwei Pole. Der eine Pol ist, was passiert jetzt gerade aktuell in Deutschland, spielt da überhaupt Architektur eine Rolle bei der Unterbringung von so vielen Menschen, die hier herkommen. Und dann, und das, finden wir, ist eigentlich ein ganz logischer Schritt: Was passiert eigentlich danach? Was passiert eigentlich, wenn der Flüchtling dann hier angekommen ist und die Verhältnisse in seiner Heimat sich auf absehbare Zeit kaum ändern werden?
"Containerartiges Aussehen ist der unmittelbaren Not geschuldet"
Das heißt, dann wird er zum Einwanderer, dann wird er möglicherweise zu einem neuen Mitbürger, und was passiert eigentlich dann. Dann setzt auch diese staatliche Versorgung irgendwann aus und die Leute können sich frei bewegen und können den Ort anstreben, der ihnen am vielversprechendsten erscheint, und das ist dann in der Regel dort, wo auch andere ihrer Gruppe bereits wohnen, und dann entstehen solche Arrival Cities, Orte, wo man ankommt.
Fischer: Im Mai in Venedig geht es unter dem Titel "Making Heimat - Germany Arrival Country" ja tatsächlich nicht nur um das Wo und Wie, sondern auch um das Thema Integration. Da ist Fantasie gefragt, kluge Durchmischung. Das haben Sie angekündigt bei diesen Durchgangsstationen. Warum sehen so viele Ihrer Wohnräume, mindestens das, was ich jetzt im Netz gesehen habe, doch so containerartig und gut auf die grüne Wiese zu stellen aus? Wie wird das integrative Moment in diesem Wohnungsbau denn eingelöst?
Elser: Ja man muss sich das schon sehr genau anschauen, wo diese Dinge dann stehen. Dass viele Sachen so containerartig oder modulhaft aussehen, das ist natürlich der unmittelbaren Not geschuldet. Viele Kommunen müssen einfach wahnsinnig viele Menschen unterbringen und greifen dort auf solche Lösungen zurück, wobei man sagen muss, es muss wirklich schnell baubar sein.
Wobei wenn man sich jetzt daran erinnert: Wir hatten in Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg auch schon eine Wohnungskrise. Da wurde quasi unter der Flagge der Bauhaus-Architektur, würde man heute sagen, das Wohnen für das Existenzminimum ausgerufen. Da sind in Frankfurt innerhalb kürzester Zeit 15.000 Wohnungen entstanden.
"Wohnungskrise gehört ganz oben auf die Tagesordnung"
Die haben damals auch die Zeitgenossen geschaut, die waren auch industriell gebaut und die wurden genau mit denselben Begriffen durchaus auch negativ belegt, das sieht so modulhaft aus, das sieht so aus, als würde es gerade aus der Fabrik kommen, und heute finden wir, dass das unglaublich gute Beiträge waren zur modernen Architektur. Insofern muss man sich da auch daran erinnern, dass der Zeitgenosse von heute anders auf diese Dinge blickt als vielleicht in 20 Jahren jemand.
Fischer: Das Thema des deutschen Pavillons kommt vom Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit, das das Deutsche Architekturmuseum beauftragt hat. Schön, dass ein Ministerium so in die Zukunft denkt. Aber wie unabhängig sind Sie da in Ihrer Projektierung?
Elser: Das gibt die Tradition, dass das Bauministerium immer für die Architektur-Biennalen zuständig ist und das Auswärtige Amt für die Kunst-Biennalen. Wir sind da aber komplett unabhängig.
Fischer: Wenn das Thema schon so politisch ist - letzte Frage -, was ist Ihre Forderung an die Politik heute?
Elser: Die Forderung ist, dass man im Wohnungsbau tatsächlich nicht den Fehler machen sollte, jetzt nur das Wohnen für Flüchtlinge in den Blick zu nehmen, sondern man könnte sagen, wir haben genauso gut eine Wohnungskrise. Und die Wohnungskrise, die schwelt schon ganz lange, und die Forderung an die Politik ist eindeutig, dass die Schaffung von günstigem gutem Wohnraum in der richtigen Lage in den Ballungszentren - und da wollen ja wirklich alle wohnen -, dass die auf die Tagesordnung gehört. Da ist sie seit einigen Jahren, aber da gehört sie ganz oben hin.
Fischer: Oliver Elser, vielen Dank, Kurator des deutschen Pavillons auf der Biennale von Venedig, über neue Ideen für Unterkünfte nicht nur für Flüchtlinge.
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